Die Leipziger Bürgerumfragen fragen auch jedes Jahr aufs Neue die Problemsicht der Leipziger ab. Welches sind – aus Sicht der Bewohner – die größten Probleme der Stadt? Das könnte eine sehr gute Orientierung für die Verwaltung sein, wo sie in den nächsten Jahren ihre Schwerpunkte setzen sollte. Aber die Tabellen verraten dann auch sehr deutlich, dass es 1. darauf ankommt, wen man fragt, und 2. was für einen Medienkonsum die Befragten haben.

Letztes wurde in den vergangenen Jahren am Beispiel „Kriminalität, Sicherheit“ sehr deutlich. Ein Thema, das bekanntlich einige Medien in Leipzig reiten wie einen feurigen Gaul – und dabei auch auf Übertreibungen und Skandalisierungen nicht verzichten. Deshalb rangierte das Thema jahrelang auf Rang 1, überstrahlte alle anderen Probleme und animierte auch Ratsfraktionen, das Thema mit immer neuen Forderungen nach Aufstockung und Ausrüstung der Stadtpolizeibehörde, mehr Überwachung und mehr Kontrollen zu besetzen. Das traf dann immer die beiden gern ausgewählten Ortsteile, von denen Medienberichterstatter und breite Kreise der Bevölkerung meinen, dass dort die Leute besonders kriminell und gewalttätig sind.

Ab 2015 war das Thema dann auch noch mit dem Thema Zuwanderung gekoppelt. Auch hier befleißigten sich ja etliche Medien, die Angst vor Menschen aus anderen Ländern zu schüren. Ergebnis: Der Anteil der Leipziger, die Kriminalität als größtes Problem der Stadt betrachteten, wuchs von 41 Prozent (2011) auf 49 Prozent (2015) und 48 Prozent (2016). 2017 schnellte der Wert gar auf 50 Prozent hoch, obwohl die Polizei schon längst wieder zurückgehende Kriminalitätszahlen meldete. Kaum ein Thema ist so leicht mit Emotionen zu besetzen wie dieses.

Was nun das Jahr 2018 deutlich zeigte: Nur noch 42 Prozent der Leipziger nannten das Thema als das größte Problem. Junge Erwachsene nannten es gar nur zu 21 Prozent, Eltern mit Kindern zu 32 Prozent. Nur bei den über 55-Jährigen lag der Wert über 60 Prozent. Was garantiert nicht nur damit zu tun hat, dass sich ältere Menschen eher unsicherer fühlen im öffentlichen Raum, sondern auch mit ihrem Medienkonsum. Verunsicherung kommt nicht nur auf, wenn Unrat, Graffiti oder laute Jugendliche im öffentlichen Raum vermehrt auftreten, sondern auch, wenn man mit einem von beängstigenden Nachrichten dominierten Medienkonsum eher passiv daheim sitzt.

Und der Blick auf die jüngeren Bevölkerungsgruppen, die für den Schnellbericht zur Bürgerumfrage besonders beleuchtet wurden, zeigt, dass andere Betroffenheiten auch zu einer anderen Problemsicht führen.

Und ein OBM wäre wahrscheinlich gut beraten, die Problemsichten junger Eltern sehr ernst zu nehmen. Bei denen rangieren Kriminalität und Sicherheit zwar mit 32 Prozent der Nennungen auch weit oben – aber die anderen drei Spitzenprobleme sind sehr handfester Natur, allen voran das Thema mit den (noch immer nicht ausreichenden) Kindertagesstätten (47 Prozent) gleich auf Platz 1, gefolgt von den Wohnkosten, die gerade Familien mit Kindern richtig zu schaffen machen (43 Prozent) auf Rang 2 und den (nun auch oft nicht ausreichenden) Schulen (31 Prozent) auf Platz 4.

Eigentlich hätte ich in der Spitzengruppe noch den Öffentlichen Nahverkehr vermutet, aber der taucht bei den Leipziger Eltern mit 17 Prozent der Nennungen erst auf Rang 6 auf, ganz ähnlich wie bei den älteren Leipzigern, wo er mit 16 Prozent auf Platz 8 auftaucht.

Es sind die jungen Leipziger (18 bis 25 Jahre), die den ÖPNV als zweitgrößtes Problem sehen mit 27 Prozent der Nennungen. Ob es da eher um die Fahrpreise geht oder das (fehlende) Angebot, wurde nicht abgefragt. Aber dass die Fahrpreise eine Rolle spielen könnten wird deutlicher wenn man sieht, dass die Wohnkosten für die jungen Leute mit 35 Prozent der Nennungen das am häufigsten genannte Problem sind.

Und noch etwas fällt jetzt auf: Bis 2015 fragten Leipzigs Statistiker ja immer allein den Topos „Zusammenleben mit Ausländern“ ab. Er landete damals mit 24 Prozent der Nennungen auf Rang 3 der Problemliste und die Kritik war entsprechend groß, denn darunter konnte man sich völlig verschiedene Dinge vorstellen.

Worauf das Amt für Statistik und Wahlen 2016 reagierte und neben dem Topos „Zusammenleben mit Ausländern“ (14 Prozent) auch den klareren Topos „Fremdenfeindlichkeit“ abfragte, der nun auch die problematischen Einwohner mit fremdenfeindlichen Ansichten thematisierte. Hier machten immerhin 18 Prozent der Leipziger ihr Kreuz, auch weil in den Medien über ziemlich viele fremdenfeindliche Vorfälle berichtet wurde.

2017 veränderte sich dieses Verhältnis schon leicht, nannten 16 Prozent der Leipziger Fremdenfeindlichkeit als Problem und 15 Prozent das „Zusammenleben mit Ausländern“. Eine Tendenz, die sich 2018 noch einmal verstärkte, denn auf 14 Prozent der Befragten, die Fremdenfeindlichkeit als Problem nannten, kamen jetzt 16 Prozent, die das „Zusammenleben mit Ausländern“ problematisierten. Und während die jungen Leipziger etwas öfter die Fremdenfeindlichkeit als stärkeres Problem sahen, sahen Eltern mit Kindern und ältere Leipziger eher Probleme beim Zusammenleben mit Ausländern.

Was ja eigentlich bedeutet: Von einem ganz und gar reibungslosen Integrationsprozess kann keine Rede sein. In der Realität gibt es Konflikte, die von den Betroffenen durchaus als problematisch gesehen werden.

Aber auch hier fehlt leider das Detail: Welche Konflikte sind das und wo treten sie am häufigsten auf? Denn die Werte um 15 Prozent bedeuten ja auch, dass ein Großteil der Leipziger hier eher kein Problem sieht, während es punktuell Probleme geben muss, die für die Betroffenen auch als belastend wahrgenommen werden. Das Befragungsergebnis ist zumindest ein Hinweis darauf, dass hier ein paar Daten erhoben werden sollten. Denn die braucht man, wenn man konkret handeln möchte.

Möglicherweise korrespondieren sie auch mit genau den Problemen, die 2018 in der Wahrnehmung der Leipziger deutlich stärker geworden sind: den Wohnkosten (als Folge zunehmender Konkurrenz um knappen und bezahlbaren Wohnraum) und dem ÖPNV, dessen Problemwahrnehmung 2018 auch deshalb um 7 Prozentpunkte gestiegen ist, weil immer mehr Leipziger erleben wie es sich anfühlt, mit anderen Menschen in überfüllte Straßenbahnen gequetscht zu werden und nicht nur Ausländer, sondern auch andere Leipziger aus einer Nähe kennenzulernen, die nicht immer angenehm ist.

Wobei auch Punkt 8 in der Problemliste zu beachten ist: Noch immer sehen 17 Prozent der Leipziger in Armut ein Problem für die Stadt, trotz aller schönen Geschichten von Aufschwung und sinkender Arbeitslosigkeit.

Leipzigs Mietpreisansteig macht gerade jungen Leipzigern und Familien mit Kindern immer größere Sorgen

Leipzigs Mietpreisansteig macht gerade jungen Leipzigern und Familien mit Kindern immer größere Sorgen

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar