Die Debatte um die von der SPD ins Spiel gebrachte Grundrente hat ja die Fronten klar aufgezeigt: Während die Parteien und Interessenverbände der Reichen und Besserverdienenden tobten und behaupteten, diese Grundrente ließe sich gar nicht bezahlen, bekam die SPD gerade von Betroffenen und Sozialverbänden positive Signale. Denn die Argumente zum Nicht-Bezahlen-Können sind erstunken und erlogen. Harte Worte? Leider passende Worte.
Denn der größte Teil der Kosten, die dadurch entstehen, dass Menschen nach 35 Arbeitsjahren keine auskömmliche Rente bekommen, wird heute schon längst vom Staat übernommen. Denn der muss heute schon einspringen, wenn die Rente nicht zum Leben reicht. Grundsicherung nennt sich das. Und dieser Posten steigt seit Jahren ständig an, weil immer mehr Menschen jetzt in Rente gehen, die in ihrem Arbeitsleben mit miesen Löhnen abgespeist wurden.
Worüber wir am 11. Februar berichteten. Denn genau das ist die Verlogenheit der Argumentation: Erst sparen sich Unternehmen mit miesen Gehältern an der Arbeit ihrer Angestellten reich und rund, lassen also den Staat jetzt schon massiv ihre Billigheimer-Arbeitsplätze subventionieren – und dann ignorieren ihre Interessenvertreter auch noch ganz bewusst, dass genau das die Rentenlasten des Staates heute schon massiv steigen lässt. Und in den nächsten Jahren noch viel mehr.
Und die gute Botschaft: Zumindest die SPD hat das begriffen. Nicht erst mit ihrem Vorschlag zur Grundrente, sondern auch schon mit ihrem Vorstoß zum Mindestlohn, gegen den die Lobbyvereinigungen der Schwerverdiener und die neoklassischen Wirtschaftsinstitute vor dessen Einführung am 1. Januar 2015 genauso wetterten und „Alarm!“ schrien wie jetzt bei der Grundrente. Das Totschlagargument: Ausgerechnet der Mindestlohn würde jene Menschen „vom Arbeitsmarkt fernhalten“, die schlechter ausgebildet und qualifiziert sind. Für den Osten verhießen diese Propheten ja sogar einen massiven Arbeitsplatzabbau.
Das Gegenteil ist passiert. Die seriösen Institute bescheinigen dem Mindestlohn sogar einen positiven Effekt für den Arbeitsmarkt, denn wer mehr Geld verdient, kann auch wieder mehr konsumieren und in Auftrag geben, schafft also Raum, weitere neue Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Davon profitieren sogar jene Branchen, die vorher schon den Untergang beschworen – beispielhaft Gastronomie und Hotellerie. Die haben nämlich mittlerweile ein ganz anderes Problem: Sie finden immer schwerer qualifizierte Arbeitskräfte.
Und das bei einem gesetzlich garantierten Mindestlohn, der seit dem 1. Januar 2019 gerade mal bei 9,19 Euro pro Stunde liegt.
Ein Wert, den in diesem Fall die Linkspartei bezweifelte, dass der nun reichen könnte, um ein auskömmliches Leben zu ermöglichen.
Im Herbst 2018 fragten deshalb Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag einmal konkret nach der „Erforderlichen Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zur Armutsbekämpfung bei Alleinerziehenden-Haushalten“.
Das ist immerhin die Bevölkerungsgruppe, die auf dem Arbeitsmarkt die schlechtesten Angebote vorfindet, weil Arbeitgeber meist eben doch keine Rücksicht darauf nehmen, ob ihre Beschäftigten eine ganze Familie zu managen haben. Wo Eltern in Partnerschaft das meist noch irgendwie organisieren können und ein Elternteil auch mal besser bezahlte Jobs annehmen kann mit allen zeitlichen Risiken, haben Alleinerziehende keine Wahl. Sie können nur Arbeitsangebote annehmen, die ihnen Luft lassen, die kleine Familie am Laufen zu halten.
Ergebnis etwa für Leipzig: Während nur 5 Prozent aller Haushalte auf Leistungen aus ALG II angewiesen sind, liegt dieser Wert bei Alleinerziehenden bei 19 Prozent. Was eben dazu führt, dass auch ihre Kinder in der Arbeitslosenstatistik auftauchen und über 16.000 der rund 60.000 Leistungsberechtigten in Leipzig Kinder sind.
Das Fazit ist eindeutig: Leipzigs Arbeitsmarkt ist nach wie vor nicht familienfreundlich.
Aber die Frage der Bundestagsabgeordneten der Linken war ja: Wie hoch müsste der Mindestlohn von Alleinerziehenden sein, damit sie nicht mehr auf Jobcenter-Almosen angewiesen sind? Im Dezember gab es schon eine erste Antwort. Aber die musste die Bundesregierung korrigieren, stellt jetzt Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) fest, der auch solche Anfragen sehr aufmerksam verfolgt.
Denn hier wird sichtbar, wo unsere Gesellschaft nicht richtig funktioniert und wer am Ende die Zeche zahlt.
Schröder: „Der Fehler: Bei der Auswertung für die erste Fassung der Antworten in Drucksache 19/6250 waren nicht nur Haushalte Alleinerziehender mit genau einem Kind im Alter von unter sechs Jahren einbezogen, sondern alle Alleinerziehenden-Haushalte mit mindestens einem Kind unter sechs Jahren. Das heißt, es waren auch Haushalte mit mehr als einem Kind und damit Haushalte mit in der Regel höheren KdU (Kosten der Unterkunft, d. Red.) einbezogen. Die Anfang Dezember 2018 berichteten anerkannten Kosten in Höhe von durchschnittlich 538 Euro in der Bundesrepublik Deutschland (Juli 2018) wurde auf 478 Euro (ebenfalls Juli 2018) reduziert. Das in der Tabelle 1 rechnerisch ermittelte ‚bedarfsdeckende Stundenentgelt‘ wurde von 10,97 Euro auf 10,35 Euro im Bundesdurchschnitt reduziert.“
Das heißt: 10,35 Euro wäre mindestens der Stundensatz, den Alleinerziehende mit einem Kind bräuchten, um mit den staatlichen Leistungen für das Kind zusammen so viel zu verdienen, damit sie nicht beim Jobcenter vorstellig werden müssen. Und das bei einer angenommenen Bruttomiete von 478 Euro, etwas, was in immer mehr deutschen Großstädten geradezu utopisch klingt. Was eben auch bedeutet: Wenn die Mieten selbst um die oft beschworenen 10 oder 15 Prozent steigen, werden Alleinerziehende mit so einem Einkommen sofort wieder zu Jobcenter-Kunden.
Und so stellt auch Paul M. Schröder eine nur zu berechtigte Frage: „Offen wäre noch die Frage: Warum werden von der Bundesregierung (BMAS) auf die Frage nach den ‚tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung‘ (Frage 3) lediglich die ‚anerkannten Kosten‘ genannt? Abgesehen natürlich von der Frage: Reicht bei der gegenwärtigen Bedarfsberechnung ‚bedarfsdeckend‘ zur ‚Armutsbekämpfung‘?“
Denn wenn die Bundesregierung nur mit „anerkannten Kosten“ rechnet, bleiben ja die Alleinerziehenden-Haushalte auf höheren Miet- und Heizkosen sitzen und müssen dieses Geld bei anderen Bedarfen abzwacken. Also wieder eine Knauserei auf Kosten der Kinder. Oder eben ein Bettelgang zum Amt.
Aber zumindest bestätigt die Antwort – bei allen makabren Einschränkungen in der Berechnungsgrundlage – dass 9,19 Euro Mindestlohn nicht ansatzweise bedarfsdeckend sind. Oder anders formuliert: Da die Bundesregierung davon ausgeht, dass ein Alleinerziehendenhaushalt mindestens 1.444 Euro brutto im Monat verdienen muss, fehlen Alleinerziehenden (mit einem Kind) beim derzeitigen Mindestlohn von 9,19 Euro je Stunde am Monatsende 162 Euro, um über die Runden zu kommen. Der oder die Alleinerziehende ist regelrecht gezwungen, einen Teil der KdU beim Jobcenter zu beantragen.
Die Ausgaben des Bundes für die Grundsicherung liegen heute schon deutlich über 6 Milliarden Euro
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