Sogar Sachsen fällt auf in der Einlaufliste der Bundesländer nach Arbeitslosenquoten. Schon 2017 hat der Freistaat danach das Saarland überholt, ein Jahr zuvor schon Hamburg. Alle ostdeutschen Flächenländer marschieren in der Grafik, die das BIAJ jetzt wieder mit den neuesten Endjahreswerten erstellt hat, seit 2013 ungefähr immer weiter nach oben und überholen, wie es scheint, ein reiches Westland nach dem anderen.

Aber ganz so ist es nicht, auch wenn es Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) nicht extra betont. Er überlässt die Interpretation der Grafiken und Tabellen, die er aus dem Zahlenmaterial der Bundesarbeitsagentur gewinnt, in der Regel den Redaktionen, die er mit dem Material versorgt, das sich so deutlich vom Pressematerial der Bundesagentur selbst unterscheidet.

Denn deutsche Behörden zeigen ungern die Rückseite dessen, was sie nach außen hin als Erfolgsmeldung verkaufen. Und sie erklären die Zahlen auch nicht. Was ein großes Problem ist, denn damit fehlt natürlich all jenen (Arbeitsmarkt-)Politikern, die mit den Zahlen irgendwie arbeiten müssen und Reformen und Gesetze schreiben, wesentliches Material für wirklich kluge Entscheidungen.

Wenn in den Tabellen der Arbeitsagentur alles paletti aussieht – warum sollte man dann das Sozialgesetzbuch II ändern? Bekanntlich sträubt sich ja Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dagegen, neigt eher dazu, nur ein paar wenige Menschen zu sanktionieren. Aber Sanktionieren muss sein. Sagt er.

Tatsächlich schrumpfen überall im Land die offiziellen Arbeitslosenzahlen. Und das natürlich auch, weil tatsächlich mehr Arbeitsplätze entstehen. Der Hunger nach Arbeitskräften ist gewaltig. Es fehlt bei der Polizei, in der Pflege, in den Krankenhäusern, im Transport, bei der Bahn, in den Schulen … eigentlich überall. In manchen Branchen ist wieder von „Schweinezyklus“ die Rede.

Der entsteht, wenn Politik und Wirtschaft erst jahrelang bremsen und vor diversen Fachkräfteschwemmen warnen, die Unternehmen Einstellungsstopps erlassen und die jungen Menschen im Land sich dann lieber für ein Studium oder eine Ausbildung in einer anderen Branche entscheiden – meist in der, wo Arbeitsagenturen, Behörden und Arbeitgeber jammern, sie fänden nicht genug Leute. Und dann gehen vier oder sieben Jahre ins Land und alle wundern sich, dass es in diesen Branchen eine „Schwemme“ gibt, während jetzt die anderen barmen und keine Leute finden.

Und da in Deutschland seit 1990 auch noch mehrere neoliberale „Reformen“ und „Unternehmenssanierungen“ hinzukamen, bei denen „überflüssiges Personal“ zu Tausenden aus den Unternehmen gestrichen wurde, haben wir sozusagen einen doppelten und dreifachen Schweinezyklus. Der leider auch davon erzählt, dass vor 15 Jahren ein falsches Gejammer die Medien beherrschte und Zampanos als große Sanierer gefeiert wurden, die am Ende leider nur beängstigende Löcher beim Personal produziert haben.

Ohne Leute geht nun mal nichts. Weder in der Schule noch bei der Bahn.

Und dazu kommt die demografische Falle, in die nicht nur die fünfeinhalb Ostländer sehenden Auges hineinmarschiert sind. Aber hier macht sich der Geburtenabsturz in den 1990er Jahren besonders stark bemerkbar. Die Arbeitslosenraten fallen im Osten deutlich schneller als im Westen, aber nicht, weil mehr neue Arbeitsplätze entstehen, sondern weil der Nachwuchs viel stärker fehlt.

Ergebnis: Sachsen ist vom 13. Platz in diesem Ranking, das es im Hartz-IV-Jahr 2005 noch eingenommen hatte, mittlerweile auf Platz 8 vormarschiert, Brandenburg krabbelte von Platz 14 auf Platz 9. Primus im Osten ist im Grunde Thüringen, das sich von Rang 11 auf Rang 7 vorgearbeitet hat, während Bremen von Platz 10 auf Platz 16 hinunterfiel. Aber auch Hamburg rutschte von Platz 6 auf Platz 11.

Die drei Stadtstaaten fallen durch besonders schlechte Raten auf. Was aber auch wieder nichts mit ihrem Arbeitsplatzangebot zu tun hat. Sie versorgen alle drei eine ganze umliegende Region in den Bundesländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg mit, sind genauso wie Leipzig Motor für ihre Region. Aber gleichzeitig profitieren vor allem die Einpendler von den neu entstehenden Arbeitsplätzen, während die Großstädte den Puffer ihrer sozial Bedürftigen nicht wirklich abschmelzen können. Denn sie können ja den Wettbewerb um die Arbeitsplätze nicht abstellen – wenn aus den ländlichen Räumen immer mehr Hochqualifizierte einpendeln, haben die Niedrigqualifizierten in den Jobcentern der Großstädte trotzdem keine besseren Karten.

Und der Nachwuchsmangel im Osten macht sich auch im Ranking der Großstädte bemerkbar. Denn da es hier deutlich weniger Neufälle in der Jobcenterbetreuung gibt, schmilzt hier die amtlich gemessene Arbeitslosigkeit schneller als im Westen. Was vor allem für drei Großstädte erstaunliche Kurven ergibt.

Die sächsische Landeshauptstadt Dresden hat sich zum Beispiel unter den 15 größten Städten seit 2008 von Rang 10 auf Rang 5 hochgearbeitet, hat dabei Städte wie Hannover, Düsseldorf, Köln oder Bremen hinter sich gelassen. Auch Leipzig – 2008 noch eindeutig das Schlusslicht unter den Großstädten – hat seither seinen Arbeitslosenpuffer deutlich geschrumpft und liegt nun auf Rang 9.

Und unübersehbar hat auch die Millionenstadt Berlin sich von Rang 14 auf Rang 11 hinaufgearbeitet. Alle drei Städte sind Arbeitsplatzmotoren für den Osten, haben aber längst genauso mit Fachkräftemangel in wichtigen Branchen zu kämpfen. Das Abschmelzen der Arbeitslosenquoten immer nur als Erfolg zu feiern, ist sichtlich sehr einäugig. Erst recht, wenn dahinter echte Probleme bei der Besetzung gesellschaftlich wichtiger Stellen stecken.

Je mehr hochqualifizierte Arbeitsplätze in einer Stadt, umso niedriger die Arbeitslosigkeit

Je mehr hochqualifizierte Arbeitsplätze in einer Stadt, umso niedriger die Arbeitslosigkeit

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