Auch der neue Quartalsbericht beschäftigt sich mit der Beschäftigungssituation in Leipzig. Die Zahl der Beschäftigten wächst ja seit 2006 kontinuierlich. Das hat viele Gründe. Wahrscheinlich heißt kein einziger „Hartz IV“. Im Grunde markiert das Jahr 2005 den Zeitpunkt, an dem die gravierendsten Folgen der deutschen Vereinigung endlich überstanden waren. Auch wenn die üblichen Kommentatoren damals lieber über „den kranken Mann Europas“ philosophierten.
Ab 2006 klangen die Folgen der damaligen Wirtschaftskrise ab, die ihren Gipfelpunkt ja 2000/2001 in der Krise der Neuen Medien hatte. Man kann nur den Kopf schütteln, wenn heute über „Hartz IV“, dessen Gründe und Wirkungen geredet wird. Und es wird ja geredet. Auch die SPD traut sich endlich vorsichtig darüber nachzudenken, diese seltsame Gängelungs-Praxis zu beenden und den Menschen einfach zuzutrauen, dass sie alle nur zu gern ihres Glückes Schmied wären. Wenn sie nur dürfen.
Und können.
Und können dürfen sie erst, wenn auch die Arbeitsplätze dafür existieren. Aber Arbeitsplätze entstehen nicht, wenn die Bundeskanzlerin mit dem Finger schnippt oder Landesregierungen einfach mal Millionen zur Förderung ausgeben. Arbeitsplätze entstehen, wenn die Infrastrukturen dafür gewachsen sind, dass sich Unternehmen ansiedeln oder erweitern oder neu erfinden.
Das hat auch in Leipzig gedauert und der Start fällt nicht ohne Grund mit der Produktionsaufnahme bei Porsche und BMW zusammen – ein Wirtschaftsstandort braucht auch starke Zünder, die ganze Ketten von Sub-Aufträgen und Dienstleistungen auslösen, die wieder Sub-Aufträge und Dienstleistungen auslösen. Oder mal so formuliert: Es braucht viel, viel mehr als nur ein neu gebautes Gewerbegebiet, damit der Motor in einer Region zündet.
Vor allem braucht es Zeit. Und im Grunde kann man für Leipzig wirklich sagen: Es hat genau 15 Jahre gedauert von Null auf Start.
Und vor allem: Die Produktionsaufnahme bei Porsche und BMW hat 2005 den permanenten Rückgang der Industriearbeitsplätze überhaupt zum ersten Mal gestoppt. Der ging nämlich auch nach dem Wirken der Treuhand munter weiter. Bis 2005.
Was man in der aktuellen Treuhand-Debatte ebenfalls mitbedenken sollte: Nicht alles, was dann nach dem wilden Wirken der Treuhand überlebte, war auch wirklich dauerhaft überlebensfähig. Auch der Osten musste sich unter den neuen, globalisierten Verhältnissen erst einmal finden als Wirtschaftsregion und neu positionieren auf den hart umkämpften Märkten. Die wirklich wettbewerbsfähigen Unternehmen mussten sich erst herauskristallisieren. Auch das hat gedauert.
Und es bedeutete eben eindeutig ein deutlich niedrigeres Niveau an Industriearbeitsplätzen. Alle großen Subventionen auch der Landesregierung haben nicht geholfen, das zu ändern – man denke nur an die vielen Versuche, Sachsen zu einem neuen „Silicon Valley“ zu machen oder später dann zu einem Zentrum der Solarindustrie. So etwas lässt sich nicht künstlich schaffen, es sei denn, man hat eine gigantische technische Universität wie die Stanford University und einen riesigen Start-up-Park gleich daneben – und vor allem lauter reiche Investoren, die in neue Techniken schon deshalb investieren, weil eine davon ja ein Glückstreffer sein könnte.
In der Mischung gab es das in Sachsen nie.
Also schlug eine andere Entwicklung zu, die es so auch im Westen gibt: die Metropolisierung. Die neuen Industrie-Ansiedlungen sorgten vor allem dafür, dass ringsherum neue Dienstleister Fuß fassten, die wieder für andere Dienstleister Arbeit machten und letztlich auch die Stadt zum Wachsen brachten. Die Industrie allein hätte das Leipziger Bevölkerungswachstum um über 90.000 Menschen in so kurzer Zeit nie ermöglicht. Es waren die Dienstleistungsarbeitsplätze, die ab 2005 für die rasant steigende Arbeitskräftenachfrage sorgten.
Sie allein haben sich seit 2005 um 40 Prozent vermehrt, während die Zahl der Industriearbeitsplätze auch 2017 noch deutlich unter dem Wert von 1999 lag.
Allein von 2008 bis 2017 wuchs die Zahl der Arbeitsplätze in der Stadt Leipzig von 206.162 auf 261.537.
Und Lars Kreymann kann in seinem Beitrag im Quartalsbericht noch eine Besonderheit feststellen: Der Zuwachs an Arbeitsplätzen ist vor allem durch die Zunahme von Teilzeitbeschäftigung entstanden. Er bedauert zu Recht, dass es keine Datengrundlage dafür gibt, es nach genauem Zeitbudget und Branche zu sortieren. Aber es ist unübersehbar: Von rund 60.000 Teilzeitarbeitsplätzen bis ungefähr 2005 stieg diese Zahl mittlerweile auf fast 160.000. Und es steht zu vermuten, dass das eben nicht nur lauter Arbeitsplätze für Frauen sind, die damit Familie und Beruf unter einen Hut kriegen, sondern dass auch viele Männer in Teilzeit arbeiten – ob freiwillig oder gezwungen, das verrät die Statistik auch nicht.
Aber Teilzeit ist nun einmal auch ein Arbeitsmodell, das sich mit Dienstleistungen am besten vereinbaren lässt. Und Kreymann betont natürlich, dass der Dienstleistungssektor in Leipzig mit 84,2 Prozent deutlich dominiert. Das Produzierende Gewerbe folgt mit 15,7 Prozent erst weit dahinter. Land- und Forstwirtschaft verschwinden fast in der Statistik.
Und er kann auch zeigen, dass das Arbeitspotenzial in Leipzig fast ausgeschöpft ist. 58,2 Prozent aller 15- bis 65-Jährigen in Leipzig waren 2017 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Man darf ja auch nicht vergessen, dass auch noch einmal ein Viertel obendrauf kommt mit nicht sv-pflichtig Beschäftigten. Und junge Leute treten auch nicht erst mit 15 ins Berufsleben ein und Frauen und Beamte scheiden auch nicht erst mit 65 aus.
Weshalb Quoten von 65 Prozent SV-Pflichtigen gerade am Leipziger Stadtrand nichts Ungewöhnliches sind. Eher der Normalzustand, den jetzt immer mehr Ortsteile erreichen, wie Kreymann feststellt. Ausnahmen sind nur noch die sehr jungen Ortsteile in Mitte und Leipzig-Ost.
Und Kreyman geht noch weiter und weist mit zwei Grafiken zu den Jahren 2016 und 2017 nach, dass in allen Ortsteilen zwar die Arbeitslosenquote sank, die Beschäftigtenquote aber nicht weiter anstieg.
Was eben auch bedeutet, dass die Arbeitsmarktreserve eigentlich aufgebraucht ist. Die vielen übrigbleibenden Menschen im scheinbar noch arbeitsfähigen Alter sind in der Regel Jugendliche, die noch in Ausbildung sind, oder Ältere, die das Karussell schon verlassen haben. Oder künftig verstärkt in den Teilzeitjobs auftauchen, die überall entstehen in einer Stadt, deren Lebenselixier nun einmal Dienstleistung heißt.
Das kleine Bonbon dabei: Endlich treten auch wieder ein paar Jahrgänge ins Berufsleben ein, die nicht mehr ganz so ausgedünnt sind wie die ab 2010. Die Zahl der Beschäftigten unter 25 Jahre steigt wieder.
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