Auch Statistiker beschenken sich zu Weihnachten. Zum Beispiel mit so einem 260 Seiten dicken, frisch geruckten „Statistischen Jahrbuch 2018“. Das enthält zwar vor allem Zahlen bis 2017. 2018 ist nun noch nicht wirklich zu Ende. Aber dafür sind fürs Vorjahr nun so langsam alle Zahlen beisammen. Es kann endlich abgehakt werden. Ein echtes Weihnachtsgeschenk natürlich für die Freunde belastbarer Zahlen.
Es ist der 49. Band eines Leipziger Jahrbuchs – nur erschienen diese dicken Zahlenwerke vor 1990 recht sporadisch. Ab den 1970er Jahren ja schon gar nicht mehr, weil die harten Fakten zum Zustand der Stadt und zur Wirtschaft ab da zur Geheimsache gemacht wurden, Umweltdaten sowieso. Dafür hatten bis dahin auch Daten im Jahrbuch gestanden, die man heute vergeblich suchte. Etwa solche zu „Fernsehrundfunkempfangsgenehmigungen“.
30 Stück kamen im fernen Jahr 1962 auf 100 Leipziger Haushalte, 1965 waren es schon 54 und 1968 75. Man sieht regelrecht, wie sich die Leipziger für die so selten erwerbbaren Fernsehempfänger aus Staßfurt in die Schlange stellten.
Besser als Leipzig war damals übrigens nur noch Eisenhüttenstadt mit 88 ausgestattet. Alles nachzulesen im „Statistischen Jahrbuch der Stadt Leipzig 1969“, das mir ein aufmerksamer Kollege besorgt hat. Da steckt so einiges Futter drin, wenn man denn mal so vergleichen will. Was ja immer notwendiger wird, seit ein paar vergrätze Mitsachsen wieder glauben, früher sei alles besser gewesen.
Ist der Mensch so vergesslich?
Scheinbar ja. Da helfen wirklich nur Fakten.
Etwa zu Telefonanschlüssen, die heute ebenso wenig noch extra gezählt werden wie die Fernseher. Nur zum Erinnern, Freunde: Auf 1.000 Leipziger kamen 1962 nur 65 Telefonanschlüsse. Und damals konnte man wirklich nur im Festnetz telefonieren. Etwas anderes gab es nicht. Und deshalb stand an jeder größeren Kreuzung auch mindestens eine Fernsprechzelle – seligen Angedenkens, muss man sagen.
Denn heute, wo praktisch jeder Leipziger ein tragbares Telefon in der Tasche hat, verschwinden auch die 1990 von der Post aufgestellten Telefonzellen wieder aus der Stadt. Die am Connewitzer Kreuz wurde gerade dieser Tage abgebaut, die Spuren restlos beseitigt.
Natürlich muss ein heutiges Statistisches Jahrbuch nicht mehr jedes Telefon zählen und nicht mehr jede Tonne Wäsche, die in Leipzigs Wäschereinigung gewaschen wurde (obwohl das nun wieder spannend wäre), aber allein die Standards, die Leipzigs Statistiker jedes Jahr in dicken Kapiteln auswerten, sind natürlich lehrreich. Immerhin beschreibt das dicke Jahrbuch nun seit dem Jahr 2000 eine wachsende Stadt.
Was sich Leipzigs Statistiker in den 1990er Jahren so auch noch nicht vorstellen konnten. Da mussten sie über hinschmelzende Bevölkerung, abgesoffene Geburtenzahl, zunehmende Vergreisung und das berichten, was dann die Stadtsanierer in den nächsten Jahren „schrumpfende Stadt“ nennen sollten. Leipzig galt sogar weltweit als exemplarisches Beispiel einer „shrinking city“.
Von der schrumpfenden Stadt zur Stadt mit Wachstumsschmerzen
Das Bild verhakte sich so fest in den Köpfen von Stadtplanern und Politikern, dass sie selbst 2005 noch nicht wirklich registrierten, was da passierte, als der damalige Verwaltungsbürgermeister Andreas Müller den 500.000. Leipziger in der Kinderklinik begrüßte. Denn dass das nun auch wieder steigende Kinderzahlen und Baubedarf bedeutete, war der Leipziger Politik noch bis weit nach 2010 ganz schwer beizubiegen.
Tatsächlich war Oberbürgermeister Burkhard Jung 2006 mit einem ganz anderen Haupt-Thema in seine erste Amtszeit gestartet: Der Haushalt der Stadt sollte saniert und der Schuldenberg von über 900 Millionen Euro abgebaut werden. Diese Abbauarbeit ist bis heute im Gang. Die letzten Zahlen stehen alle im Jahrbuch: 2013 hatte Leipzig noch Kredite von 695 Millionen Euro, was einer Pro-Kopf-Verschuldung von 1.308 Euro entsprach. 2014 waren es noch 669 Millionen, 2015 dann mal kurz wieder 686 Millionen, 2016 dafür nur noch 626 Millionen und am 31. Dezember 2017 nur noch 580 Millionen, pro Nase also nur noch 997 Euro.
Noch neuere Zahlen findet man ja im jeweiligen Quartalsbericht. Die Nr. 3/2018 haben wir ja gerade besprochen – per Juni war der Kreditstand dann sogar schon auf 552 Millionen Euro gesunken. Und das, obwohl der Stadtrat eigentlich beschlossen hatte, die Schuldentilgung auszusetzen, um mehr Geld zum Schulenbauen freizuhaben.
Aber – das bedauert Finanzbürgermeister Torsten Bonew selbst: Leipzig bekommt seine vielen Investitionsprojekte nicht im geplanten Jahr verbaut. Deshalb wachsen die investiven Ausgabereste seit Jahren an, betragen längst mehr als 250 Millionen Euro.
Da bleibt dem Finanzbürgermeister gar nichts anderes übrig, als weniger Kredite neu aufzunehmen. Die Bezeichnung Schulden ist ja irreführend. Hinter Leipzigs „Schulden“ stecken ordentliche Kredite mit langen Laufzeiten und mittlerweile recht niedrigen Zinsen. Und Leipzig hat ein gutes Rating, könnte also eigentlich noch viel mehr Kredite aufnehmen. Was aber wieder keinen Sinn macht, wenn man das Geld nicht verbaut bekommt.
Obwohl das dringend wäre.
Denn auch 2017 ging das Wachstum der Bevölkerung ja weiter. Man sah Peter Dütthorn, der das neue Jahrbuch am Mittwoch, 12. Dezember, vorstellte, regelrecht an, wie er sich über die Zahlen freute. Als Statistiker registriert er sie ja nur – beeinflussen kann er sie nicht. Bei niemandem wäre ein gewisser Donald Trump mit seinen „alternative facts“ so sehr an der falschen Adresse wie bei Peter Dütthorn, der von Schätzen, Interpretieren und Umdeuten wirklich nichts hält.
Ins Jahrbuch kommt nur, was belegt ist. Auch wenn ständig Bewegung drin ist.
Was Leipzigs Statistiker im neuen Jahrbuch besonders wichtig finden:
– Ende letzten Jahres wohnten laut Melderegister insgesamt 590.337 Menschen in der Stadt. Das sechste Jahr in Folge gibt es einen Zuwachs von über 10.000 Personen innerhalb eines Jahres, wie aus dem Statistischen Jahrbuch 2018 hervorgeht. Wobei Peter Dütthorn auch betont: Es gibt auch noch die amtliche Einwohnerzahl, die das Statistische Landesamt berechnet.
Die weicht von der Melderegisterzahl aus einem kühlen und nicht sehr sinnvollen Grunde ab: Deutsche Melderegister dürfen nicht direkt mit den Zahlen der Statistikämter abgeglichen werden. Keiner darf dem anderen verraten, welche Zahlen man aus welchen Gründen bereinigt hat – „Karteileichen“ entfernt zum Beispiel von Leuten, die einfach weggezogen sind, ohne sich abzumelden.
Also bereinigt jeder auf seine Weise so gut es geht. Mit dem Zensus 2011 kam eine nächste Verwirrung ins Spiel. Seitdem zählen Sachsens Landestatistiker weniger Leipziger als das Leipziger Melderegister: 2017 stieg danach die amtliche Einwohnerzahl von 571.088 auf 581.980. Amtlich deshalb, weil die Schlüsselzuweisungen an Finanzen in Sachsen nicht nach den Melderegisterzahlen verteilt werden, sondern nach der als offiziell geltenden Zahl des Landesamtes. 581.980 also.
Und weil’s so schön ist, die Zahl für 1967: 591.538.
– Auch die Zahl der Geburten ist weiter angestiegen. Mit insgesamt 6.976 geborenen Kindern wurde das vierte Jahr in Folge ein Geburtenüberschuss von 689 registriert. Sophie, Marie und Emil sind dabei noch immer die beliebtesten Vornamen für neugeborene Mädchen bzw. Jungen. Damit wurde aber die Geburtenzahl von 6.983 von 2016 nicht ganz erreicht. Es sieht also so aus, dass die Geburtenzahlen in Leipzig nicht weiter wachsen und auch auf Jahre hinaus nicht dahin gelangen, wo Leipzig mal war – nämlich zum Ende der DDR, als jedes Jahr über 10.000 Kinder in Leipzig geboren wurden und die Geburtenzahl pro Frau tatsächlich bei 2 Kindern lag, nicht nur bei 1,4 wie heute.
Und weil’s so schön ist, die Geburtenzahl für 1967: 8.517.
-Und trotzdem kam Leipzig ab 2010 in Not beim Bau der notwendigen Kindertagesstätten. Eine Not, aus der die Stadt bis heute nicht wirklich herausgekommen ist. Aktueller Stand: Leipzigs Kindertageseinrichtungen betreuten 2.247 mehr Kinder als noch 2016. 2017 waren insgesamt 45.156 Kinder in den Kitas angemeldet. Damit verbunden verzeichneten auch die allgemeinbildenden Schulen im Schuljahr 2017/18 rund 1.746 Schüler mehr als im Vorjahr.
Die geburtenstärkeren Jahrgänge sind also auch längst schon in den Schulen angekommen. Und sie kommen jetzt in Oberschulen und Gymnasien. Der Druck zum Schulenbauen wird immer größer. Und niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst, denn die Zahlen für diese Entwicklung stehen jedes Jahr im Jahrbuch. Da genügt ganz einfache Mathematik, um auszurechnen, wann man wo eine neue Schule braucht.
Und dass Leipzig wächst, hat eher nichts mit dem netten Ruf als „Hypezig“ zu tun. Das spielt eher nur im Tourismus eine Rolle. Leipzig wächst, weil Unternehmen hier die Strukturen finden, die sie brauchen, um ihr Geschäft auf- und auszubauen. Es entstehen immer mehr Arbeitsplätze, für die qualifizierte Bewerber gebraucht werden.
– Ergebnis: Immer mehr Menschen haben in Leipzig einen festen Job. Wie in den Jahren zuvor ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sowohl am Arbeitsort (auf 262.537 Personen) als auch am Wohnort Leipzig (auf 226.578 Personen) weiter angestiegen. Die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen verringerte sich hingegen. 20.921 arbeitslose Personen führten zu einer Arbeitslosenquote von 7,0 Prozent.
Was auch Auswirkungen auf die Landkreise hat. Denn Menschen müssen auch wohnen. Aber wem sagt man das?
Das aktuelle Statistische Jahrbuch kann im Internet unter www.leipzig.de/statistik unter „Veröffentlichungen“ eingesehen werden und ist für 25,- Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) beim Amt für Statistik und Wahlen in gedruckter Version erhältlich. Die aktualisierte Neuauflage des Statistischen Jahrbuchs „Statistisches Jahrbuch aktuell“ mit Zahlen für das Jahr 2018 wird voraussichtlich ab Januar 2019 unter statistik.leipzig.de online geschaltet und im Laufe des Jahres weiter ergänzt.
Postbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, 04092 Leipzig Direktbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, Burgplatz 1, Stadthaus, Zimmer 228
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