Die AfD hat ja ihre Lieblingsthemen, seien es nun Mehrfach- und Intensivstraftäter (MITAS), „Sozialleistungsbetrüger“ oder Ausländer, die für ihre Kinder da unten irgendwo auf dem Balkan in Deutschland Kindergeld beziehen. Das findet man irgendwie illegal. Und da große Zeitungen irgendwie so tun, als sei das wieder so eine Masche, den armen deutschen Staat ausplündern, wollte der AfD-Abgeordnete André Wendt jetzt gern mal wissen, ob das Sachsens Behörden eigentlich überprüfen.
Als Grundlage diente ein Artikel aus der „Welt“ vom 9. August 2018, wo Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) zitiert wird: „Das Beantragen von Kindergeld ist denkbar einfach. Man meldet sich als Familie in Deutschland mit einem festen Wohnsitz an. Dann geht die Meldung an die Familienkasse, die überprüft das Vorliegen von Kindern und zahlt das Geld aus. ‚Ob die Kinder in Deutschland leben, ob sie in Rumänien oder Bulgarien leben, ob sie überhaupt existieren, das ist dann noch mal eine ganz andere Frage‘, sagt OB Link.“
Der Artikel bezog sich auf eine Bundestagsanfrage der AfD. Die – für sich genommen – scheinbar massiven Missbrauch zu belegen scheint. Aber selbst die Bundesarbeitsagentur konnte der Stimmungsmache so nicht folgen.
Die „Tagesschau“ ging ebenfalls am 9. August auf das Thema ein und zitierte einen Sprecher der Bundesarbeitsagentur: „Eine Gesamtsumme möglicher Missbrauchsfälle lasse sich nicht seriös schätzen, sagte der Sprecher. Um Missbrauch zu bekämpfen, gebe es bereits einen verstärkten Datenaustausch mit ausländischen Sozialleistungsträgern, um ungerechtfertigte Kindergeldzahlungen zu vermeiden.“
Es ist also wieder so eine – in diesem Fall auch von der „Welt“ gehypte – Geschichte über „Staatsversagen in Deutschland“. Es ist ja nicht so, dass die AfD in einigen konservativen Medien der Republik keinen Nachhall hätte. Dort werden die wilden Thesen zum Beispiel zum „Staatsversagen“ immer wieder gern aufgenommen.
Dass sich die Zahlungen von Kindergeld an im Ausland lebende Kinder seit 2010 verdoppelt haben, hat einen wesentlichen Grund: Die Zahl der Arbeitskräfte aus Polen, Tschechien, Bulgarien und Rumänien usw. hat seitdem stark zugenommen. Sie sind in der Baubranche gefragt, im Hotelwesen und in der Pflege. Ohne sie würde dort vieles schlicht nicht mehr funktionieren. Und als EU-Bürger haben sie nun einmal Anspruch auf Kindergeld. Und zwar in dem Land, in dem sie arbeiten, Steuern und Sozialabgaben zahlen. Sie werden genauso zur Kasse gebeten wie deutsche Arbeitnehmer – und haben im Grunde dieselben Rechtsansprüche.
Das ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die für alle EU-Mitglieder gilt. Dass das von einzelnen Cleverles ausgenutzt wird, gehört zum Dilemma der menschlichen Natur: Es gibt immer Schlitzohren, die einen Trick finden, auch die Staatskassen auszunehmen.
Aber wie ist das mit der von Sören Link so locker hingeworfenen Behauptung „Ob die Kinder in Deutschland leben, ob sie in Rumänien oder Bulgarien leben, ob sie überhaupt existieren, das ist dann noch mal eine ganz andere Frage“?
Sie ist mehr oder weniger Mumpitz. Es sei denn, in seiner Verwaltung in Duisburg geht es drunter und drüber und wird nicht mehr kontrolliert.
Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) dröselt für André Wendt die Antragsbedingungen fürs Kindergeld in ihrer Antwort auseinander:
„Eine Prüfung des Kindergeldanspruchs im Hinblick auf die Existenz der Kinder erfolgt unabhängig von der Nationalität der Antragsteller. Jedem Kindergeldantrag sind anspruchsbegründende Unterlagen und Nachweise anzufügen. Neben der Angabe der Steueridentifikationsnummer der Eltern und des Kindes sind einem Antrag auf Kindergeld folgende Unterlagen anzufügen:
– Geburtsurkunde bzw. Geburtsbescheinigung (mit Angabe Wohnort)
– zum späteren Nachweis: Haushaltsbescheinigung der Meldebehörde für Kinder, die in dem Haushalt leben
– für volljährige Kinder müssen zusätzliche Unterlagen vorgelegt werden, die belegen, dass sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung bzw. Studium befindet (Schulbescheinigung, Ausbildungsbescheinigung, Immatrikulationsbescheinigung)
– für volljährige behinderte Kinder ist ein amtlicher Nachweis der Behinderung vorzulegen (Behindertenausweis, Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes oder Rentenbescheid)
– für Kinder in einem freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahr, einem Europäischen Freiwilligendienst, dem Bundesfreiwilligendienst oder einem anderen geregelten Freiwilligendienst muss die mit dem Träger geschlossene Vereinbarung vorgelegt werden
– für ein Kind mit abgeschlossener Erstausbildung oder für Kinder ohne Arbeits- oder Ausbildungsplatz sind je nach genannter Lebenssituation weitere Angaben und Nachweise erforderlich.
Die Familienkasse unterzieht die Anträge in Zweifelsfällen einer erneuten Überprüfung und fordert entweder neue Unterlagen an bzw. nimmt Kontakt mit der zuständigen Behörde im Ausland auf.“
Es ist also journalistisch ziemlich unredlich, diese Entwicklung – wie die „Welt“ – auf die Überschrift „Rekordzahlen. Starker Anstieg ausländischer Kindergeld-Empfänger“ zu reduzieren. Denn der größte Teil des Anstiegs geht auf den tatsächlichen Anstieg der Zahl ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland zurück. Und es werden noch mehr werden.
Das wagt man ja den Grenzschützern der AfD kaum noch zu erzählen. Immer mehr Branchen legen inzwischen große Werbekampagnen für Arbeitskräfte bevorzugt aus dem europäischen Ausland auf, weil ihnen die Arbeitskräfte fehlen. Und zwar gerade in den Dienstleistungsbranchen.
Die Kindergeld-Geschichte ist also nur ein Teil der „deutschen Erfolgsgeschichte“. Und je mehr ausländische Arbeitnehmer Deutschland beschäftigt, umso mehr Kindergeld wird logischerweise auch ins Ausland gezahlt. Das Perfide ist nur, dass selbst deutsche Finanzminister wie damals Wolfgang Schäuble meinen, man könne den Leuten, die in Deutschland arbeiten, einfach mal ihren Anspruch auf Kindergeld senken und ihn nach dem Armutsniveau ihrer Herkunftsländer zahlen.
Das hat mit europäischer Solidarität nichts mehr zu tun.
Und wie sieht das nun mit dem Missbrauch in Sachsen aus? Das war ja die letzte Frage von André Wendt.
Barbara Klepsch: „Der Staatsregierung liegen keine Erkenntnisse über einen Bezug von Kindergeld für nicht existierende Kinder vor. Die Familienkasse bei der Bundesagentur für Arbeit führt darüber hinaus keine Statistik über Missbrauchsfälle.“
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