Bittersüß sind meist die kleinen Meldungsschnipsel, die Leipzigs Statistiker immer gleich in den vorderen Teil ihres Quartalsberichts packen. Und diesmal haben sie sich erstaunlicherweise mal für den Alkoholgenuss in Ost und West interessiert. Denn „König Alkohol“ kann zwar zuweilen ein kleiner Tröster sein. Wer sich aber stets und ständig trösten muss mit lustigen Tröpfchen, der büßt deutlich an Lebenszeit ein.
Oder mit den Worten des Quartalsberichts: „Wer viel und häufig zur Flasche greift, stirbt in der Regel früher – das ist bekannt. In den ost- und zentraleuropäischen Staaten büßen die Menschen im Schnitt 2,15 Jahre ihrer Lebenserwartung aufgrund von übermäßigem Alkoholkonsum ein.“
Dabei ist es in den wirklich trinkfreudigen Ländern noch schlimmer. Männer aus Osteuropa verlieren auf diese Weise zwischen 4 bis 15 Jahren im Vergleich mit westdeutschen Männern. „Bei den Frauen sind die Unterschiede mit 2,5 bis 8 Jahren kleiner“, schreiben die Statistiker.
Und auch im Westen ist noch Luft nach oben: „In Westeuropa könnten Männer ca. elf und Frauen gut fünf Monate Lebenszeit gewinnen, würden sie auf starken Alkoholkonsum verzichten. Die höchsten Zugewinne wären mit 3,7 Jahren bei weißrussischen Männern möglich. Auch Russen und Ukrainer könnten fast drei bzw. zweieinhalb Jahre länger leben, wenn sie öfter auf Alkohol verzichten würden.“
Die Statistiker weisen freilich auch darauf hin, dass Alkohol nur ein Teil des Problems ist. Der Zustand des Gesundheitswesens, die Ernährung, die Wohnbedingungen usw. tragen ihren Teil dazu bei, wie lange ein Mensch gesund bleibt.
Denn lang leben für sich ist ja Käse. Ein langes Leben macht nur Sinn, wenn man es bis zuletzt auch bei vollen Kräften erleben kann.
Manchmal säuft man ja, weil einem das nicht möglich ist.
Und die Statistik übersieht hier, dass sich die Lebenserwartung seit dem 19. Jahrhundert weltweit massiv erhöht hat. Und zwar nicht, weil die Menschen weniger saufen, sondern weil mehr Menschen einen Zugang zu einem funktionierenden Gesundheitswesen haben. Ein Thema, das Hans Rosling in seinem Buch „Factfulness“ sehr akribisch herausgearbeitet hat. Die meisten Länder auf der Erde haben heute eine Lebenserwartung, die deutlich über der Lebenserwartung der Deutschen etwa in der „guten alten Zeit“ liegt.
1871/1881 starben die Deutschen im Durchschnitt mit 40 Jahren. Und das nicht nur, weil die Kindersterblichkeit noch extrem hoch war, sondern weil für viele Deutsche schon mit 30 Jahren der körperliche Verfall aufgrund schlechter Ernährung, fehlender Gesundheitsvorsorge und knochenzermalmender Arbeit begann. Von den zumeist auch noch mit großen Familien in winzigen Wohnungen lebenden Proletariern (die es damals tatsächlich noch gab) erlebten die wenigsten ihr 50. Lebensjahr. Wer sich die Sterbetafeln des Bundesamtes für Statistik anschaut weiß, warum die SPD damals so einen riesigen Zulauf hatte und Bismarck regelrecht gezwungen war, Sozialgesetze zu machen.
Was dann schon bis zum 1. Weltkrieg einen deutlichen Anstieg des durchschnittlichen Sterbealters um zehn Jahre auf rund 50 Jahre brachte. Und dann kamen die ganzen Erfindungen der Neuzeit, die Kommunen zu regelrechten Grundversorgern des Lebens machten: Elektrizität, zentrale Wasserversorgung, kommunale Krankenhäuser. Und nicht einmal der 1. Weltkrieg konnte die Wirkungen dieser lebenserhaltenden Maßnahmen bremsen. 1932/1933 lag das durchschnittliche Sterbealter schon bei 60 Jahren. Das heißt: Die jetzt als Greise geltenden alten Leute hatten 20 Jahre mehr von der Welt erlebt als die „Greise“ von 1870.
Wir haben, wenn wir an alte Leute denken, meist Bilder von 70- und 80-Jährigen vor uns. Aber die waren im 19. Jahrhundert in deutschen Dörfern und Städten selten. Menschen, die so ein Alter erreichten, galten als echtes Unikum. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurden immer mehr Menschen so alt. Um 1970 wurde ein durchschnittliches Sterbealter von 70 Jahren erreicht. Und um 2015 wurde dann die Schwelle von 80 Jahren ereicht. Zumindest liegen wir knapp drunter. Und nicht nur die Deutschen mit 78,3 Jahren (Wert von 2015), sondern alle Westeuropäer.
Die Tschechen lagen 2015 bei 75,7 Jahren. Da sieht man schon das oben genannte Gefälle. Aber es trifft auch auf West- und Ostdeutschland zu. Während die westlichen Bundesländer eher bei 78 und 79 Jahren lagen, mit Baden-Württemberg mit 79,5 Jahren an der Spitze, fanden sich die ostdeutschen Bundesländer eher bei 77 Jahren ein, Sachsen-Anhalt nur bei 76,3.
Ob das freilich noch aus alten Trinkgewohnheiten resultiert, wird wohl niemand sagen können. Obwohl das bei den Männern wohl schon eine Rolle spielt.
Die Lebenserwartung der Männer in Leipzig lag 2016 immerhin bei 77,8 Jahren, die der Frauen bei 83,8 Jahren.
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