Vielleicht hat Peter Bohlmann mit seinem Gastbeitrag im „Weser-Kurier“ am 28. April nur deutlich gemacht, warum die führenden SPD-Politiker beim Diskutieren über „Harzt IV“ nicht aus den alten Denkschleifen herauskommen. Bohlmann ist Landrat im niedersächsischen Kreis Verden und Mitglied der SPD. Und Paul M. Schröder widmet ihm einen beinah emotionalen Kommentar. Natürlich erst, nachdem er ihm seine falschen Zahlen unter die Nase gerieben hat.
Bohlmann behauptete im „Weser-Kurier“: „Gleich im ersten Jahr stiegen die Ausgaben durch das neue Gesetz um fünf auf 48 Milliarden Euro, weil die ehemaligen Sozialhilfeempfänger und eine hohe Zahl der Arbeitslosenhilfeempfänger besser gestellt worden sind. Auch in den vergangenen fünf Jahren erhöhten sich die Ausgaben für die Regelsätze und Mehrbedarfe um 14 Prozent. Abgesenkt wurden hingegen die Mittel für die Arbeits- und Qualifizierungsmaßnahmen, die nur noch acht Prozent der Gesamtausgaben ausmachen – das ist das Hauptproblem von Hartz IV.“
Wer erinnert sich heue noch an die Zahlen von 2005? Und wer ordnet sie richtig ein?
Klar, Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) tut es. Darauf hat er sich spezialisiert. Und wahrscheinlich war er der Einzige im Verbreitungsgebiet des „Weser-Kuriers“, der bei dem Zahlen-Unfug, den Bohlmann niedergeschrieben hatte, stutzte und so ein blödes Déja-vu-Gefühl hatte.
Auf seine Weise wird er dann sogar emotional, wenn er von einer aufgewärmten Falschinformation spricht: „Warum der im Gastkommentar folgenden Kritik der Kürzung von ‚Mittel(n) für die Arbeits- und Qualifizierungsmaßnahmen‘ eine solche ‚aufgewärmte‘ Falschinformation vorangestellt wird oder werden, bleibt ein Rätsel. Oder vielleicht auch nicht, denn es handelt sich eine Woche nach einem SPD-Parteitag, bei dem viel über Erneuerung und Neuanfang gesprochen und diskutiert wurde, um den Gastkommentar eines SPD-Landrats in einem niedersächsischen Landkreis, der ‚die Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) in alleiniger Verantwortung‘ (www.sgb2.info) wahrnimmt.“
Was aber nicht bedeuten kann, dass der SPD-Landrat falsche Zahlen zum Übergang von der alten Arbeitslosenhilfe zu „Hartz IV“ liefern darf. Denn im Gegenzug schmolzen ja „alte“ Ausgabeposten wie Arbeitslosenhilfe (Bund), Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz und Sozialhilfe – Hilfe zum Lebensunterhalt (Nettoausgaben) ab, weil ja bisherige Sozialhilfeempfänger ins „Hartz IV“-System integriert wurden.
Im Ergebnis erhöhten sich die Ausgaben für die nun im SGB II Versammelten gegenüber dem ursprünglichen Zustand nicht. „Im Haushaltsjahr 2006 standen den ‚Zahlungsansprüchen der SGB-II-Bedarfsgemeinschaften‘ und ‚Leistungen zur Eingliederung in Arbeit‘ in Höhe von knapp 45,0 Milliarden Euro, Ausgabensenkungen beim Wohngeld, der Sozialhilfe (Hilfen zum Lebensunterhalt), dem beitragsfinanzierten Arbeitslosengeld und der ‚aktiven Arbeitsförderung‘ (SGB III) in Höhe von 44,7 Milliarden Euro gegenüber.“
Im ersten Jahr war es also eine Art Nullsummenspiel, mit dem die eigentlich schon aus dem Arbeitsmarkt Ausgegliederten nun irgendwie in „Hartz IV“ zurückgeholt wurden, auch wenn sich 13 Jahre später alle Experten darüber wundern, dass viele Menschen trotzdem dauerhaft in diesem System feststecken und keine Chance haben, vor dem Renteneintritt je wieder rauszukommen.
Was auch an dem liegt, was Bohlmann benannte: Die Mittel zur aktiven Arbeitsförderung sind all die Jahre über abgeschmolzen. Man hat also immer weniger Mühe darauf verwendet, die Menschen tatsächlich wieder fit zu machen für den Arbeitsmarkt. So schmolz die Arbeitsförderung, die im alten System noch 18,7 Milliarden Euro betrug, schon im ersten „Hartz-IV“-Jahr auf 13,6 Milliarden Euro ab und bis 2017 dann auf knapp 8 Milliarden. Das kann man nicht wirklich noch als staatliches Bemühen um „Fördern“ begreifen.
Logisch, dass Paul M. Schröder am Ende sogar ein bisschen sarkastisch wird, wenn er aus der Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem World Economic Forum am 28. Januar 2005 in Davos zitiert, als „Hartz IV“ gerade gestartet war: „Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“
Dass diese Niedriglohnjobber dann oft – trotz Arbeit – nicht aus „Hartz IV“ herauskommen, mit dem Geld kaum über den Monat kommen und absehbar auch keine lebenssichernde Rente bekommen, beschreibt die ganze Konsequenz dieser Niedriglohn-Politik, die man in den Chefetagen der SPD augenscheinlich nicht wirklich begreift.
Die „Zeit“ lieferte am Mittwoch, 2. Mai, ein paar Zahlen, die auch das Ausmaß an Bedürftigkeit etwas deutlicher machen, das dadurch entsteht, dass für viele Menschen Vollzeitarbeit eben nicht bedeutet, endlich aus der finanziellen Bedürftigkeit herauszukommen.
Ein Fakt: „Fast jeder zehnte Haushalt erhält immer noch ganz oder teilweise Leistungen aus Hartz IV. Rund sechs Millionen Deutsche sind in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit als Hilfebedürftige erfasst und beziehen Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Darunter fallen Arbeitslosengeld oder Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II, also auch unterstützende Leistungen wie Wohngeld oder gesonderte Kinderzuschläge (zusätzlich zum Kindergeld), die an Geringverdiener gezahlt werden.“
Wer den „besten Niedriglohnsektor“ Europas aufbaut, müsste eigentlich nach 13 Jahren einmal anfangen darüber nachzudenken, was das für die Betroffenen heißt und was das für soziale Auswirkungen hat.
Leipziger Zeitung Nr. 54: Schärfere Polizeigesetze ersetzen keinen aufrechten Gang
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