Am Donnerstag, 24. Mai, veröffentlichte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin eine Studie, die sogar in großen konservativen Zeitungen für Aufmerksamkeit sorgte. Denn sie belegt anhand der realen Einkommenszahlen, dass die unteren Einkommen seit 1991 regelrecht stagniert haben, während die hohen Einkommen deutlich zugelegt haben. Und das liegt nicht nur an der seit 2007 gewachsenen Zahl der Flüchtlinge im Land.
Dann hätte die Entwicklung vorher eine andere sein müssen. Aber die Entwicklungskurve bei den niedrigen Einkommen zeigt ab 1999 etwas völlig anderes: Sie haben ab diesem Zeitpunkt sogar drastisch an Kaufkraft verloren und sich erst in den letzten Jahren wieder langsam der Null-Linie angenähert. Die sogenannten „Arbeitsmarktreformen“ aus der Kohl-Ära zeigten schon ab 1999 ihre negativen Effekte – die bestanden vor allem in einer massiven Ausweitung der Zeitarbeit, einer Verminderung des Kündigungsschutzes und der Herstellung neuer prekärer Beschäftigungsmodelle.
Das Ergebnis aus Sicht des DIW: „Die realen verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte sind in Deutschland im Zeitraum von 1991 bis 2015 um 15 Prozent gestiegen. Die meisten Einkommensgruppen haben davon profitiert, die untersten aber nicht.“
Aber eindeutig zeigen die Zahlen auch, dass es nicht nur die zunehmende Zahl von Flüchtlingen ist, die ja naturgegebenermaßen erst einmal mit „Hartz IV“ ins Erwerbsleben einsteigen, die die Werte für die unteren Einkommensgruppen bestimmen, und auch nicht die gewachsene Zahl von Senioren.
Ein anderer Faktor hat viel heftiger ins Kontor geschlagen. Das DIW formuliert: „Von den Personen ohne Migrationshintergrund waren im Jahr 2015 weitaus weniger, nämlich 13 Prozent, von Armut gefährdet, im Vergleich zu zwölf Prozent im Jahr 2005 und rund zehn Prozent Mitte der 1990er Jahre.“
Aber tatsächlich beschreibt das ein sichtbares Anwachsen der Armut bei Menschen ohne Migrationshintergrund.
Und das passt natürlich nicht die Bohne zu den seit 2006 deutlich fallenden Arbeitslosenzahlen.
„Angesichts der stark rückläufigen Zahl von Arbeitslosen hätte man auch einen Rückgang der Armutsrisikoquote erwarten können“, gibt Studienautor Markus Grabka zu bedenken.
Es ist also ziemlich offensichtlich, dass hier die massive Ausweitung des Niedriglohnsektors dazu geführt hat, dass immer mehr Menschen in die Armut abrutschten, obwohl sie einer Erwerbstätigkeit nachgingen und nachgehen. Denn für viele erwies sich dieser Weg in eine prekäre Beschäftigung als Karrierefalle, aus der sie nicht mehr herauskommen.
Für Daniela Kolbe, Generalsekretärin der SPD Sachsen, bestätigt sich damit der Ansatz, politisch mit dem Hohelied auf den Niedriglohn ein Ende zu machen.
„Die Studie des DIW belegt: Zwar ist das Haushaltseinkommen in Deutschland von 1991 bis 2015 im Durchschnitt deutlich gestiegen, bei den Gruppen am unteren Ende der Einkommensverteilung ist dieser Anstieg aber nicht angekommen. Die Einführung des Mindestlohnes 2015 war ein absolut richtiger und notwendiger Schritt. Um Niedriglöhne zu bekämpfen, brauchen wir dringend weitere Maßnahmen, die für weitere Lohnsteigerungen im unteren Lohnbereich sorgen. Dafür müssen wir die Tarifbindung erhöhen, die im Osten besonders niedrig ist. Wo Tarifverträge gelten, werden Niedriglöhne zurückgedrängt“, sagt die Bundestagsabgeordnete.
Ein weiteres besorgniserregendes Ergebnis der Studie zeigt sich aus ihrer Warte im Anstieg der Armutsrisikoquote.
„Dabei sind die Zahlen für zwei Gruppen der Bevölkerung besonders dramatisch: Menschen mit Migrationshintergrund haben mit 29 Prozent eine Armutsrisikoquote, die mehr als doppelt so hoch ist wie die Quote der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Besonders von Armut gefährdet sind außerdem Mieterinnen und Mieter.“
Und damit ist man mitten in der Wohnungsmarkt-Misere der deutschen Großstädte, in denen sich gerade die Menschen mit niedrigen Einkommen immer öfter aus den noch bezahlbaren Wohnungen verdrängt sehen.
„Bei ihnen ist die Quote von 16 Prozent im Jahr 1991 auf 29 Prozent im Jahr 2015 gestiegen“, stellt Daniela Kolbe fest. „Für Eigentümer hingegen liegt die Quote konstant zwischen zwei und sechs Prozent.“
Die Hoffnung für Daniela Kolbe: „Die Ergebnisse bestärken uns als SPD in unserer Politik der letzten Jahre. Wir müssen Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, den Zugang zu Arbeit, Sprache und Bildung erleichtern. Mieterinnen und Mietern müssen wir mit Investitionen in den sozialen Wohnungsbau unter die Arme greifen. Für ein Deutschland, in dem alle vom Wohlstand profitieren, ist es unentbehrlich, Migrantinnen und Migranten zu integrieren und das Problem der steigenden Mietpreise endlich in den Griff zu kriegen.“
Bleibt nur die Frage: Wie? Denn die Wohnungspolitischen Programme, die derzeit in Sachsen gelten, sind ein Witz. Oder mal so formuliert: Sie erweisen sich als ein weiterer Versuch, die zunehmenden Probleme der einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen weiter zu ignorieren und zu tabuisieren.
Über 82.000 Kinder in Sachsen leben in „Hartz IV“
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