Man kann ja verzweifeln, wenn man bei Hans Rosling liest, wie falsch die Mehrheit von uns über die Welt denkt. Und wie sehr Politiker und Medien davon profitieren, dass sie Ängste und Panik schüren. Da hilft wohl nur eins: Fakten, Fakten, Fakten. Aber nicht so wie einst bei Helmut Markwort. Sondern jeden Tag. Und richtig. Und verstörend. Denn falsche Bilder von der Welt korrigiert man wohl nur mit beharrlichem Beharren auf Fakten. Heute Nr. 1: Sachsen und seine Zuwanderung.

Gerade WEIL das Thema scheinbar die Agenda bestimmt und der Umgang mit Flüchtlingen oder Ausländern oder egal, wie man die neu Ankommenden nennt, in Ostdeutschland und Sachsen die Agenda zu bestimmen und der fremdenfeindlichen AfD die Wähler zuzutreiben scheint.

Gerade deshalb.

Auch wenn Martin Machowecz in der „Zeit“ meint, die AfD profitiere davon, dass Die Linke beim Thema Migration eben nicht auf Abschottung, Abschiebung und Einmauern setze. „Als das Thema Flüchtlinge aufkam, offenbarte sich ein Riss. Viele Linke sehen es so: Seit viele im Osten glauben, dass die Flüchtlinge ihnen wegnehmen könnten, was sie sich mühsam aufgebaut haben, wenden sie sich eher der AfD zu“, schreibt Machowetz.

Kann sein.

Das hat aber auch ein paar Folgerungen. Auch für die Linke. Da erinnere ich nur an die Streitschrift von Albrecht von Lucke „Die schwarze Republik und das Versagen der deutschen Linken“.

Was ja nicht nur Die Linke betrifft, sondern mindestens auch die SPD. Und alle ihre Schwesterparteien in den benachbarten europäischen Ländern. Im Grunde reißt das, was wir so gern „Populismus“ nennen, nur den Widerspruch auf, in dem wir heute alle leben: Unsere Wirtschaft ist längst globalisiert.

Sachsens Export-Industrie würde überhaupt nicht funktionieren ohne die intensiven Handelsbeziehungen in alle Welt. Sachsens Hochschulen profitieren vom internationalen Interesse am Studium im Freistaat. Und wenn der Ministerpräsident auf Reisen geht, nimmt er alles mit, was an Wirtschaftsköpfen gerade mal Zeit hat, um neue Verträge einzutüten.

Und der Blick auf die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der Steuereinnahmen zeigt: Sachsen entwickelt sich tatsächlich. Und zwar auffällig und spürbar. Es nimmt nur kaum einer wahr. Denn alle Augen sind auf das Lebensniveau im Westen gerichtet. Man vergleicht sich mit dem dortigen Lebensstandard und hält sich immer noch für arm, obwohl 80 Prozent der Sachsen mittlerweile gut leben und verdienen.

Die meisten haben keinen Grund, sich mit den 20 Prozent der tatsächlich Armen zu vergleichen. Die wählen auch nicht wirklich AfD. Und die gehen auch mit Sprechchören nicht auf die Straße, in denen sie irgendwelche dummen Ressentiments gegen Flüchtlinge und Muslime verbreiten. Denn: Sie haben keine „German Angst“ vor dem Abstieg. Um das bisschen, was sie haben, müssen sie jeden Tag kämpfen. Möglich, dass auch bei ihnen die dummen Ressentiments lebendig sind. Aber sie haben auch nicht die Zeit und die Geduld, sich stundenlang in den Foren auszutoben und dumme Sprüche zu verbreiten.

Kommen wir also zu den Ausländern.

In diesem Fall wirklich Ausländer. Da unterscheidet auch die deutsche Statistik zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und Ausländern. Zu Ersteren gehören auch die, die längst einen deutschen Pass besitzen und in den Statistiken meist nicht mehr auffallen, gut integriert, so lebend wie die ganze heimische Bevölkerung.

Ausländer sind Menschen im Zwischenstadium – (noch) ohne deutschen Pass, oft mit Asylstatus, aber nicht immer. Viele Ausländer kommen auch einfach zum Arbeiten und Studieren nach Sachsen.

Eine Extra-Betrachtung ist die Zuwanderung wert. Dazu kommen wir noch.

Aber ein Hauptargument der Rechtsradikalen, das in den letzten drei Jahren massiv von rechten und konservativen Politikern übernommen wurde, lautet ja: „Die bekommen alles geschenkt, wofür WIR immer malochen müssen.“ Und – das peinlichste Argument: „Die wandern in UNSERE Sozialsysteme ein.“

Das Argument ist peinlich – aber auch verständlich. Denn es gehört zum oben benannten Problem der Linken: Sie haben auch noch keine Idee, wie der moderne Sozialstaat die nationalstaatlichen Grenzen überschreiten kann. Eine globalisierte Wirtschaftsweise liegt augenscheinlich im ungelösten Konflikt mit der nationalen Begrenzung von Sozialsystemen.

Das wird ganz bestimmt noch ein Thema, das uns richtig beschäftigen wird. Denn was den neuen Nationalisten nicht wirklich eingehen will, ist die Tatsache, dass sich die Wiedererrichtung alter nationaler Mauern und Grenzen mit der globalen Wirtschaftsweise nicht mehr verträgt. Es würde nicht funktionieren. Deutschland würde sich abschotten – aber damit auch seine Rolle auf dem globalisierten Welt-Markt einbüßen.

Das wird ebenfalls noch Thema.

Aber jetzt mal zu unseren Ausländern, die sich nun das anhören müssen, was sich 2005 die ostdeutschen Arbeitslosen anhören mussten: Sie wären ja nur Sozialschmarotzer und würden sich in die „soziale Hängematte“ legen.

Nur mal eine Zahl zum Nachdenken: Damals lag die Gesamtarbeitslosigkeit in Sachsen bei 19,6 Prozent (2004). Rund 400.000 Sachsen wurden offiziell als arbeitslos gezählt, als „Hartz IV“ eingeführt wurde und bei vielen Betroffenen die Angst um die eigene Existenz so richtig befeuerte.

Im Jahr 2018 sieht das alles schon ganz anders aus. Denn der Freistaat hat die ganze Zeit auch vom deutschen Wirtschaftsaufschwung profitiert – kurz unterbrochen durch die Folgen der Finanzkrise 2009/2010. Aber seitdem ist die Wirtschaftsleistung permanent gestiegen und die Arbeitslosigkeit gesunken.

Am Ende des Jahres 2017 war die offizielle Arbeitslosigkeit auf 129.683 gesunken – oder eben 6,2 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung.

Die Ausländer stecken da übrigens mit drin. Sie haben die sächsische Arbeitslosigkeit nicht erhöht – obwohl sie 2016 und 2017 in großer Zahl in das SGB II übernommen wurden.

Am Jahresanfang 2017 betrug die Zahl der arbeitslos gemeldeten Ausländer 15.941, die Zahl sank bis zum Dezember auf 14.432. Sie sinkt etwas langsamer als die der Jobsuchenden mit deutschem Ausweis, aber sie sinkt. Die Menschen, die nach Sachsen zuwandern, haben selbst nicht vor, sich in eine „Hängematte“ zu legen. Dazu sind sie den Sachsen viel zu ähnlich. Denn wer die beschwerliche Reise in ein Land wie Deutschland auf sich nimmt, der gehört garantiert nicht zu den Faulpelzen, der möchte sein Leben selbst gestalten. Das hat etwas mit Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung zu tun.

Augenscheinlich trauen die Sachsen den Neuankömmlingen einfach nicht zu, dass sie genauso bereit sind, für ihren Lebensunterhalt, ihre Familie und ihre Kinder zu schuften wie sie selbst.

Und nun zu den Quoten. Die Zahl vom Januar 2017 entspricht einer offiziellen Arbeitslosenquote der registrierten Ausländer von 27,1 Prozent. Man kann also sagen: Jeder vierte Ausländer war arbeitslos gemeldet. Man kann es aber auch so formulieren: 72,9 Prozent haben ihren Lebensunterhalt mit Arbeit verdient.

Das ist ein hoher Wert. Länder wie Italien oder Frankreich würden Sachsen um diesen Wert beneiden.

Zum Jahresende bedeuteten die 14.432 arbeitslos gemeldeten Ausländer (und die Ausländerinnen nicht zu vergessen) dann nur noch 20,7 Prozent Arbeitslosigkeit unter den sächsischen Ausländern. Sie sind also da angekommen, wo die Sachsen selbst im Jahr 2005 mal waren.

Und die Zahl sagt auch eindeutig, dass sie nicht anders ticken als die Einheimischen. Sie wollen nicht von Almosen leben, sondern sich – so gut das geht – eine eigene Existenz aufbauen.

Sie haben es etwas schwerer als die Einheimischen, weil sie oft die benötigten Qualifikationen nicht haben. Aber sie treffen auf einen Arbeitsmarkt, der mittlerweile in fast allen Branchen händeringend nach Arbeitskräften sucht.

„Factfulness“: Hans Roslings gewaltiges Plädoyer, uns nicht mehr von unserer Angst ins Bockshorn jagen zu lassen

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