„Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist ein überparteiliches Bündnis aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“, behauptet die Lobby-Organisation immer wieder. Ist sie aber nicht. Und mit Wissenschaft hat sie auch eher nichts zu tun. Das klingt nur so, wenn sie wieder – wie am 22. März – Meldungen in die Welt plauzt wie: „Civey-Umfrage zu TTIP. Trump verhilft dem Freihandel zu neuen Anhängern“. Im Meldungstext wird es nicht besser.

„Die Zahl der Befürworter eines Freihandelsabkommens mit den USA wächst in Deutschland“, behauptet die Marketing-Truppe des deutschen Neoliberalismus. „Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey. Auf die Frage, ob es neue Verhandlungen mit den USA über das Freihandelsabkommen TTIP geben solle, antworten aktuell 41 Prozent mit Ja und 48 Prozent mit Nein. 11 Prozent sind in dieser Frage unentschieden. Die auf Protektionismus und ‚America first‘ ausgerichtete Anti-Freihandelspolitik von US-Präsident Donald Trump bewegt offenbar viele zu einem Umdenken. Vor einem Jahr lehnten noch 56 Prozent die Freihandelsabkommen CETA (mit Kanada) und TTIP ab, während sich nur 33 Prozent dafür aussprachen. Lediglich die Zahl der Unentschiedenen ist mit 11 Prozent gleich geblieben.“

An der Meldung ist so ziemlich alles falsch. Es geht nicht mal um einen Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen.

Als Civey vor einem Jahr die Umfrageteilnehmer fragte, lautete diese Fragestellung noch: „Befürworten Sie die Freihandelsabkommen TTIP/CETA?“. Es ging also um die beiden von der EU verhandelten Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada, gegen die es bundesweit heftige Proteste gab. Ohne Verweis auf Protektionismus als Alternative oder irgendwelche anderen Alternativen. Nur die beiden Abkommen standen zur Disposition.

Die erste Civey-Umfrage vom März 2017. Screenshot:L-IZ
Die erste Civey-Umfrage vom März 2017. Screenshot:L-IZ

Vergleichbar wären die Umfragen, wenn Civey jetzt dieselbe Frage gestellt hätte. Hat es aber nicht. Jetzt hieß die Frage: „Sollte es neue Verhandlungen mit den USA über das Freihandelsabkommen TTIP geben, um drohende Handelskriege zu verhindern?“

Allein schon der Nachsatz „um drohende Handelskriege zu verhindern“ sorgt dafür, dass die Frage suggestiv wird. Sie unterstellt nämlich, dass TTIP in der Lage wäre Handelskriege zu verhindern. Oder dass Handelskriege die Alternative zu Freihandelsabkommen sind. All das stimmt nicht. Aber: Es ist pures neoliberales Denken.

Und es verbindet eine scheinbar unparteiische Frage mit Emotionen – nämlich mit der geschürten Angst vor Handelskriegen. Und längst sind die großen Medien ja dabei, diese Angst mit allen Mitteln zu schüren. Und zwar ganz im neoliberalen Muster: Freihandelsabkommen sind die Rettung der Welt.

Die zweite Civey-Umfrage vom März 2018. Screenshot: L-IZ
Die zweite Civey-Umfrage vom März 2018. Screenshot: L-IZ

Sind sie nicht.

Jedenfalls nicht dann, wenn sie schwächere Handelspartner nicht schützen, wenn die wirtschaftlich Mächtigeren damit ihre Bedingungen diktieren und gar – wie von TTIP vorgesehen – Handelsstreitigkeiten den staatlichen und internationalen Gerichten entziehen und an private Schiedsgerichte verweisen.

Wer Freihandelsabkommen per se als Arznei gegen Handelskriege verkauft, hat die Leser der Botschaft schon in der Falle. Er scheint nur noch die Wahl zwischen Scylla und Charibdys zu haben, obwohl selbst Handelsverträge protektionistisch wirken. Wäre es anders, könnte man einfach alle Zollschranken aufheben – fertig wäre der Lack. Aber tatsächlich geben die stärkeren Vertragspartner vor, nach welchen Regeln künftig gehandelt wird. Eins der finstersten Kapitel sind die EU-Subventionen für landwirtschaftliche Produkte, die innerhalb der EU für Billigstpreise und eine enorme Überproduktion sorgen, gleichzeitig aber auch dafür sorgen, dass die afrikanischen Märkte mit europäischen Billignahrungsmitteln geschwemmt werden und dort die landwirtschaftlichen Strukturen kaputtgehen.

Die Forderung der Protestbewegung gegen TTIP und CETA richtete sich vor allem darauf, dass Handelsverträge gerade mit wirtschaftlich schwächeren Staaten endlich fairer und ehrlicher werden. Davon sind auch die Europäer weit entfernt.

Es wäre höchste Zeit, über die Struktur ehrlicher und fairer Handelsabkommen nachzudenken.

Aber da wirkt Donald Trump mit seinem wilden Protektionismus wie ein willkommener Blitzableiter. Auf einmal scheinen die neoliberal gestrickten Freihandelsabkommen wie ein Rettungsring für die in Panik verfallene Welt und die Kapitäne des neoliberalen Dampfers stehen oben und verkaufen sich als Retter vor dem wilden Trump, obwohl ein Großteil der wirtschaftlichen Verwerfungen in der Welt Ergebnis eines rabiaten Neoliberalismus und unfairer Handelsabkommen sind.

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