Bis 2014 war Sachsen – auch ganz regierungsamtlich – das Vorzeige-Niedriglohn-Land in der Bundesrepublik. Nicht nur in Branchen, die sowieso mit niedrigen Umsätzen zurechtkommen müssen, war das Lohnniveau gering. Auch große Konzerne nutzten die Rahmenbedingungen, um eine ganze Palette von prekären Jobmodellen zu entwickeln. Als es 2015 zur Einführung des Mindestlohns kam, waren sie die lautesten, die eine Arbeitsmarktkatastrophe beschworen. Eingetreten ist das Gegenteil.

Darauf geht jetzt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ein, der sich die Lohnentwicklung in Sachsen seit 2015 genauer angeschaut hat. Und das Fazit bestätigt die Richtigkeit des Mindestlohns. Denn der hat viele Effekte – bis hin zu steigenden Steuereinnahmen, höherem Konsum und damit auch verbesserten Umsätzen in anderen Branchen.

Geld muss fließen. Und wenn man es gerade denen zukommen lässt, die jeden Euro drei Mal umdrehen müssen, fließt es sofort – verwandelt sich in bessere Ernährung, in dringend nötige Reparaturaufträge oder den Ersatz vieler Dinge, die mit prekären Einkommen nicht zu ersetzen sind. Von gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe ganz zu schweigen.

Das ist der Grundfehler sämtlicher neoliberaler Wirtschaftsmodelle: Sie betrachten die Einkommen der Beschäftigten immer nur als Belastung für die Unternehmensbilanz – nicht als notwendige Grundlage für sämtliche wirtschaftlichen Kreisläufe in einer Gesellschaft, in der Umsatz das A und O ist.

Das Ergebnis des DGB: In Sachsen profitierten besonders die un- und angelernten Beschäftigten mit einem Lohn-Plus von 16,2 Prozent seit Anfang 2015. Das ist ein bundesweiter Spitzenwert.

„Das zeigt aber auch die hohe Betroffenheit von Sachsen. Erst die Einführung des Mindestlohnes hat für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sachsen eine deutliche Lohnerhöhung gebracht“, erklärt dazu der Vorsitzende des DGB Sachsen Markus Schlimbach. „Aus dem Niedriglohnland Sachsen ist jetzt ein Mindestlohnland geworden. Jetzt kommt es darauf an, durch eine bessere Tarifbindung die Lohnentwicklung insgesamt zu verbessern.“

So haben sich Verdienste und Beschäftigung in Sachsen entwickelt

In Sachsen haben seit Einführung des Mindestlohns besonders die un- und angelernten Beschäftigten von einem Lohnanstieg mit 16,2 Prozent profitiert.

Im Gastgewerbe kam es bundesweit zu einem Anstieg der Löhne der Un- und Angelernten um 9,0 Prozent. In dieser Zahl sind Minijobber nicht enthalten. In Ostdeutschland betrug der Zuwachs 16,5 Prozent, im Westen 8,1 Prozent.

Auch die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Sachsen verlief mit 5,0 Prozent positiv.

Im Gastgewerbe ist in Sachsen der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Teilzeit- und Vollzeit-Beschäftigung (ohne Minijobber) mit 12,2 Prozent besonders stark ausgefallen. Im Wirtschaftszweig Heime und Sozialwesen gab es in Sachsen ein Plus von 11 Prozent (bundesweit:10,1 Prozent). Aber auch im Wirtschaftszweig Information und Kommunikation gab es in Sachsen mit 13,6 Prozent mehr Beschäftigte.

Die wenig perspektivreichen und Altersarmut provozierenden Minijobs (hier: ausschließlich geringfügige Beschäftigung) sind in Gesamtdeutschland seit Einführung des Mindestlohns um 5,8 Prozent zurückgegangen (Ost: -8,8 Prozent, West: -5,3 Prozent). Der Rückgang an ausschließlich geringfügig Beschäftigten war in Sachsen mit  -9,5 Prozent überdurchschnittlich, stellt der DGB fest. Rund die Hälfte der ausschließlich geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse wurden in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt.

Der beschworene Anstieg der Arbeitslosigkeit blieb aus

Und dazu kommt: Der flächendeckende Verlust von Arbeitsplätzen, wie noch 2014 lautstark beschworen, ist auch im Osten ausgeblieben. Im Gegenteil: Die Wirtschaft hat sich seit 2010 stabilisiert und kann viele neu ausgeschriebene Stellen nur noch schwer besetzen.

Bis Ende August 2017 lag das Plus der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Sachsen bei 5,0 Prozent. Mehr als doppelt so hoch war der Anstieg sozialversicherungspflichtiger Teilzeit- und Vollzeit-Beschäftigung (ohne Minijobber) im Gastgewerbe mit 12,2 Prozent.

„Der gesetzliche Mindestlohn hat für viele mehr Lohn und der Wirtschaft mehr Beschäftigung gebracht. Der Mindestlohn hat den privaten Konsum angekurbelt und so auch zum aktuellen Aufschwung beigetragen“, rechnet Schlimbach die Effekte zusammen. Trotzdem sieht er für das kommende Jahr Verbesserungsbedarf. „Im Jahr 2018 wird erneut über die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns verhandelt. Dabei muss er so weiterentwickelt werden, dass er wirklich existenzsichernd ist.“

Zudem müssten die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) verbessert werden. Das sei zum einen mehr Personal, zum anderen aber auch leichtere Kontrollen, etwa durch eine Vorschrift tagesaktueller Arbeitszeit-Dokumentationen oder eine Verwahrung der Unterlagen am Arbeitsort.

„Die bisherigen Regelungen bieten zu viele Einfallstore für Manipulationen“, so Schlimbach. „Wer aus Regeln vermeintliche Bürokratielasten macht, hat offenbar kein Interesse an der korrekten Durchsetzung des Mindestlohns.“

Erwerbstätigenzahl in Sachsen im Herbst 2017 auf neuem Höchststand

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