Wo Burkhard Jung regelrecht jubelt, wird man doch sehr nachdenklich, wenn man sich die Leipziger Arbeitslosenzahl für den November anschaut. „Wenige Wochen vor Weihnachten ist das eine unglaublich schöne Nachricht: Die Arbeitslosigkeit in Leipzig geht weiter spürbar zurück, Hunderte haben in den vergangenen Monaten einen neuen Job gefunden – und können sich jetzt mit ihren Familien entspannt auf die Adventszeit freuen“, äußerte sich Leipzigs OBM am Donnerstag zu den neuen Zahlen.
Und schob gleich noch weitere Freude nach: „Gleichzeitig hält das Wachstum in Leipzig an – immer mehr Menschen kommen in die Stadt, eben weil es hier Jobs gibt. Das Leipziger Job-Wunder geht durch alle Branchen und alle Altersgruppen. Und was mich besonders freut: Die gute Entwicklung kommt immer stärker auch bei Langzeitarbeitslosen und älteren Arbeitnehmern an.“
Tatsächlich meldete Leipzigs Arbeitsagentur die bislang besten Zahlen seit 1991 und erstmals eine rechnerische Quote von 6,9 Prozent.
„Wir freuen uns alle sehr über diesen niedrigsten Stand der Arbeitslosigkeit seit 1991. Die Arbeitslosenquote hat nun eine 6 vor dem Komma. Die positive Entwicklung der letzten Jahre setzt sich weiter fort. Die Beschäftigtenzahlen wachsen und die Zahl der Arbeitslosigkeit sinkt. Das ist eine sehr gute Nachricht zum Jahresende. Bei 20.682 arbeitslosen Leipzigerinnen und Leipzigern bleibt noch viel zu tun. Deutlich wird aber, dass die Richtung stimmt und die Arbeitsagentur und das Jobcenter diese Entwicklung befördern“, freut sich auch Steffen Leonhardi, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Leipzig.
Aber Burkhard Jung hat eigentlich das wichtigste Thema schon angerissen. Denn hinter der Entwicklung gärt ein gewaltiges demografisches Problem.
Denn tatsächlich erzählen die neuen Zahlen von einem sich weiter aufschaukelnden Fachkräftemangel.
Ein paar Zahlen
Die Zahl der arbeitslosen Menschen, die bei der Arbeitsagentur oder dem Jobcenter Leipzig im November gemeldet waren, sank in den letzten vier Wochen auf 20.682. Das waren 794 weniger als noch im Oktober und 2.353 weniger als vor einem Jahr.
„In den Altersgruppen gab es im zurückliegenden Monat eine einheitliche Entwicklung“, meint die Arbeitsagentur.
Aber das stimmt so nicht.
Tatsächlich basiert das Abschmelzen der Zahlen im November vor allem auf zwei Effekten:
- Der jedes Jahr so zu beobachtenden Vermittlung junger Leute (unter 25) in ihre erste Arbeitsstelle. Durch die Beendigung der Ausbildung ergibt sich in jedem Sommer ein Berg von jungen Leuten, die noch keine Beschäftigung gefunden haben. Im Herbst wird dieser Berg regelmäßig abgebaut.
- Die verstärkte Vermittlung von Flüchtlingen in Arbeit. Seit gut einem Jahr sind die Menschen, die im Gefolge des Syrienkrieges in Leipzig Zuflucht gefunden haben, auch in der Jobcenterstatistik aufgetaucht. Seit dem Sommer werden sie verstärkt in Arbeit vermittelt.
Allein die Integration der jungen Leute unter 25 in den Arbeitsmarkt brachte ein Absinken der Arbeitslosenzahl um 154, die Vermittlung der Ausländer brachte 172.
Wobei bei den jungen Menschen bis 25 Jahren mit 1.826 Arbeitslosen noch nicht einmal die Zahl aus dem Vorjahr (1.802) erreicht wurde. Leipzig kommt von einem tatsächlich hohen Sockel an Jugendarbeitslosigkeit (7,8 Prozent) einfach nicht herunter. Hier macht sich die miserable Bildungspolitik des Freistaats immer wieder bemerkbar: Viel zu viele junge Leute landen mit schlechtem Schulabschluss und desolater Motivation auf dem Arbeitsmarkt und haben gewaltige Hindernisse, um irgendwie den Weg in eine Anstellung zu finden.
Bei den Lebensälteren in der Altersgruppe ab 50 Jahren fiel die Arbeitslosigkeit um 170 auf 5.803 Personen (Vorjahr: 6.708). Aber hier stecken wieder vor allem Altersabgänge drin.
Genauso wie in der Zahl der Langzeitarbeitslosen: Gegenüber dem Vormonat fiel sie um 237 auf 6.152. Im Vergleich zum November 2016 gab es 1.219 langzeitarbeitslose Menschen weniger in Leipzig.
Der eigentliche Abschmelzprozess
Tatsächlich sinkt die Arbeitslosigkeit aus zwei ganz anderen Gründen.
1.) sind natürlich die Zahlen der Schulabgänger zurückgegangen. Das heißt: Dem Arbeitsmarkt stehen jedes Jahr nur noch halb so viele Nachrücker zur Verfügung wie vor 10 Jahren. (Umso peinlicher sind die Ergebnisse des sächsischen Bildungssystems.)
2.) Und da alle Firmen versuchen, ihr qualifiziertes Personal zu halten, wird weniger entlassen. Das klingt dann so: „Der Zugang in die Arbeitslosigkeit aus der Erwerbstätigkeit lag in den letzten vier Wochen bei 2.277 (Vormonat 2.062). Abgemeldet in Erwerbstätigkeit haben sich im gleichen Zeitraum 2.409 (Vormonat 2.304) Menschen.“ Noch deutlicher wird das, wenn man diese Zahlen allein aus dem SGB-II-Bereich nimmt, wo auf 1.032 Personen, die einen Job bekamen, nur 760 kamen, die ihren Job verloren. Das geht seit Monaten so und sorgt damit rechnerisch natürlich dafür, dass die Arbeitslosenzahlen sinken.
Dazu gehört dann auch, dass die Zahl der gemeldeten freien Stellen auf einem hohen Stand bleibt: Beim Zugang an offenen Arbeitsstellen verzeichnete die Arbeitsagentur Leipzig im November einen leichten Anstieg gegenüber dem Vormonat. Die Wirtschaft und die Verwaltung haben in den letzten vier Wochen 2.242 freie Stellen, das waren 25 mehr als im davorliegenden Monat (2.217) und 233 mehr als vor einem Jahr, zur Besetzung gemeldet.
Die Zitrone
Im November waren 5.889 Menschen in der Arbeitsagentur im Rechtskreis SGB III arbeitslos gemeldet. Das waren 357 weniger als im Vormonat. Im Jobcenter und damit im Rechtskreis SGB II waren 14.793 Menschen arbeitslos registriert. Das waren 437 weniger als im Oktober 2017 und 3.240 weniger als vor einem Jahr.
Aber das Problem dabei ist: Das Abschmelzen der Zahl arbeitsloser Erwerbsfähiger sorgt im Jobcenter nicht dafür, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften sinkt. Die stieg sogar wieder leicht von 37.778 auf 37.781. Und darunter sind nach wie vor viele Leipziger Kinder. Die stecken in der Zahl der „Nicht Erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“, die von 17.257 auf 17.261 stieg.
Das sind zumindest 1.624 Bedarfsgemeinschaften weniger als im November des Vorjahres. Aber dass die Zahl so hoch ist hat auch damit zu tun, dass viele Betroffene nach wie vor in miserabel bezahlten Jobs stecken und auf Zubrot aus dem Jobcenter angewiesen sind.
Aber auch in der Arbeitsagentur merkt man, wie stark die demografische Not jetzt auch auf die Unternehmen durchschlägt.
„Unabhängig vom Weihnachtsgeschäft gehen angesichts der Arbeitsmarktsituation immer mehr Unternehmen dazu über, ihr Personal auch in den Wintermonaten zu behalten“, stellt Leonhardi fest. „Es wird perspektivisch immer schwerer, nach dem Winter das erforderliche und geeignete Personal wiederzufinden.“
Und das schlägt auf ganz Sachsen durch. Leipzig saugt ja nur die jungen Fachkräfte ab. Die Löcher entstehen zuerst in den ländlichen Bereichen.
Oder mit den Worten von Reinhilde Willems, Vizechefin und Geschäftsführerin der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit (BA): „In diesem Jahr fällt der Rückgang der Arbeitslosigkeit von Oktober auf November noch deutlicher aus, als in den Vorjahren. Das ist auf die gute konjunkturelle Situation, demografische Effekte und die verstärkte Investition in die Kompetenzen der arbeitsuchenden Menschen zurückzuführen. Auch im langjährigen Vergleich erreicht die Arbeitslosigkeit ihr bisher geringstes Niveau.“
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