Das Jobcenter Leipzig legt zwar aller halben Jahre eine Art Leistungsbilanz vor, die vom Leipziger Stadtrat brav abgenickt wird. Und jeden Monat lobt sich Leipzigs Arbeitsagentur dafรผr, wie gut sie beim Integrieren der Arbeitsuchenden ist. Aber wirklich gut ist sie dabei nicht. Sonst wรผrde das Jobcenter Leipzig nicht Jahr fรผr Jahr in der Spitzengruppe der Sanktionsmeister landen. Ein Thema, das Ute Elisabeth Gabelmann jetzt mal wieder in den Stadtrat trรคgt.

Die Stadtrรคtin der Piraten hat gleich vier kleine Anfragen gestellt, mit denen sie von Leipzigs Verwaltung erfahren mรถchte, wie die mit dem Thema umgeht โ€“ und vor allem mit den Folgen. Denn Sanktionen im Jobcenter bedeuten nun einmal, dass den Bedรผrftigen, wenn sie die strengen bรผrokratischen Vorgaben nicht befolgen, Gelder gekรผrzt werden, die eigentlich das Lebensminimum sind. Mit den Sanktionen verstoรŸen deutsche Jobcenter nach wie vor gegen das Grundgesetz.

Die 1. Anfrage von Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten):

Die Androhung und Durchfรผhrung von Sanktionen stellt ein Druckmittel dar. Nach erfolgreicher Wiedererlangung der Grundsicherung durch konformes Verhalten der Betroffenen kรถnnen mitunter massive ausstehende Zahlungen zurรผckbleiben. Solche AuรŸenstรคnde hรคufen sich schnell zu einem nicht mehr beherrschbaren Schuldenberg zusammen. Davon ausgehend, dass nach erfolgreichem Verlassen der Sanktionierungsphase das gewรผnschte Handlungsziel erreicht wurde, frage ich an:

1. Welche Mรถglichkeiten stellt das Jobcenter Leipzigern zur Verfรผgung, nicht geleistete Zahlungen aus der Zeit der Sanktionierung aufgrund des mittlerweile konformen Verhaltens nachtrรคglich zu erhalten?

2. Wie werden Leipziger dabei unterstรผtzt, durch Sanktionierung aufgebaute Schulden abzubauen?

Die zweite Anfrage (zu der wir weiter unten ein paar Zahlen haben):

Der Deutsche Stรคdtetag hat eine Stellungnahme zur verfassungsrechtlichen Prรผfung der Sanktionsvorschriften im 2. Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Aktenzeichen: 1 BvL 7/16 an das Bundesverfassungsgericht verfasst. In der Stellungnahme wurde ausgefรผhrt, dass die Jobcenter eine Statistik รผber Sanktionen fรผhren. Hierzu und darรผber hinaus frage ich an:

1. Wie vielen Leipzigern wurden in den letzten drei Jahren Leistungen รผber Sanktionen gekรผrzt? Wie lange mรผssen bzw. mussten Betroffene in der Folge unterhalb des Existenzminimums leben?

2. Wie viele Menschen wurden aufgrund dieser MaรŸnahmen obdachlos? Wie viele mussten auf Sach- und Nahrungsmittelgutscheine ausweichen?

3. Welche MaรŸnahmen wurden wรคhrend der Kรผrzung aktiv durch das Jobcenter ergriffen, um die Lebenssituation der Betroffenen wieder auf ein existenzsicherndes Minimum zu heben?

Die dritte Anfrage:

Nach wie vor scheitern Menschen an den unzรคhligen Prozessen des Jobcenters, beispielsweise Fristeneinhaltung, Beantragung von Klassenfahrten und anderen Zusatzleistungen etc. Da der einzelfallbezogene Umgang mit Menschen sehr personalintensiv ist, frage ich an:

1. Als wie dringlich stuft das Jobcenter die bessere Betreuung der von Unterschreitung des Existenzminimums bedrohten Betroffenen ein? Wird hierfรผr weiteres Personal benรถtigt?

2. Wie einzelfallbezogen bzw. standardisiert ist die Betrachtung des konkreten Falls jeweils โ€“ besonders vor dem Hintergrund von Themenfeldern wie: รœberschuldung, Fehlernรคhrung, Obdachlosigkeit und/oder psychische Leiden?

3. Welche Prozesse und/oder Service-Leistungen des Jobcenters wรผrden entfallen kรถnnen, um zusรคtzliche Kapazitรคten fรผr eine Nachbetreuung von Betroffenen schaffen, die aufgrund von Sanktionierung besonders problematische Lebensumstรคnde (siehe unter 2.) meistern mรผssen?

4. Falls das Jobcenter diese einzelfallbezogene Betreuung nicht leisten kann oder will: welche Stellen sind hierfรผr zustรคndig, an die sich Betroffenen wenden kรถnnen?

Die vierte Anfrage:

Die Ankรผndigung von Sanktionen soll Menschen dazu bringen, ihr Verhalten den Anweisungen des Jobcenters anzupassen. Da bereits die Angst, zukรผnftig mittellos werden zu kรถnnen, eine existentielle Bedrohung und entsprechend eine enorme psychische und organisatorische Belastung fรผr Menschen darstellt, soll รผberblickt werden, in welchem MaรŸe dieses Mittel gegen Leipziger verwendet wird.

1. Wie vielen Leipzigern wurde in den letzten drei Jahren eine Leistungskรผrzung angedroht?

2. Welche MaรŸnahmen unternimmt das Jobcenter, um mit Betroffenen mรถglichst sanktionsfrei einen Kompromiss zu finden? Wie sehen solche Kompromisse aus?

3. Welche konkreten Hilfestellungen und Informationsmaterialien erhalten Betroffene, um sich frรผhzeitig mit den Folgen eventuell entstehender Mittellosigkeit auseinanderzusetzen?

4. Welche Alternativen zieht das Jobcenter heran, um Menschen, denen aus persรถnlichen Grรผnden eine angemessene Konfliktlรถsung mit dem Jobcenter nicht mรถglich ist, ein existenzgesichertes Leben zu ermรถglichen?

***

Einer, der sich akribisch um die Zahlen kรผmmert, die die deutschen Arbeitsagenturen und Jobcenter nicht so gern verรถffentlichen, ist Paul M. Schrรถder vom Bremer Institut fรผr Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ). Er zieht sich die Zahlen aus den zentralen Datenbanken der Bundesarbeitsagentur und sortiert sie, so dass sichtbar wird, wie viel Willkรผr zum Beispiel beim Verhรคngen von Sanktionen in deutschen Jobcentern herrscht.

Sachsen fรคllt sofort auf, denn mit einer Sanktionsquote von 26,4 Prozent ist es โ€“ gleich nach Berlin (34,1 Prozent) die unrรผhmliche Nummer 2 in Deutschland. Bei einem Arbeitsmarkt mit derartigem Fachkrรคftemangel eigentlich hรถherer Blรถdsinn. 26,4 Prozent bedeutet, dass auf 251.172 erwerbsfรคhige Leistungsberechtigte insgesamt 66.416 Geldstrafen kamen. Denn das sind diese Sanktionen ja: Eine Geldstrafe wegen irgendeines Verhaltens, das die SachbearbeiterInnen des Jobcenters als ungehรถrig eingeschรคtzt haben.

Aber natรผrlich ist so eine Sanktionsquote genauso Quatsch wie die von den Jobcentern gern popularisierte โ€žIntegrationsquoteโ€œ, wo alle mรถglichen โ€žIntegrationenโ€œ auf die verfรผgbaren erwerbsfรคhigen Leistungsberechtigten hochgerechnet werden, auch wenn es nur irgendwelche Kurse und Umschulungen waren.

Tatsรคchlich wurden in Sachsen im vergangenen Jahr โ€žnurโ€œ 26.304 Menschen sanktioniert โ€“ also ungefรคhr jeder zehnte erwerbsfรคhige ALG-II-Empfรคnger.

Die hohe Zahl der Sanktionen kommt dadurch zustande, dass diese Personen meist mehrfach bestraft wurden. Quasi als Serienbestrafung. 2,52 Sanktionen kamen im Schnitt auf einen Sanktionierten. Damit ist Sachsen die Nummer 3 in Deutschland. Nur in Berlin (2,64) und Thรผringen (2,64) ist die Sanktionslust noch grรถรŸer.

Und dafรผr, dass Sachsen in dieser unrรผhmlichen Tabelle ganz vorn mitspielt, sorgt eben auch das Jobcenter Leipzig. Und zwar so ziemlich allein.

Denn hier kamen im vergangenen Jahr auf die registrierten 49.712 erwerbsfรคhigen Leistungsberechtigten satte 21.626 Sanktionen. Jede dritte sรคchsische Sanktion wurde also ausgerechnet in Leipzig verhรคngt. Darauf dรผrfte ja wohl auch der OBM stolz sein. Damit ist Leipzigs Jobcenter unter 402 aufgelisteten Jobcentern deutschlandweit die klรคgliche Nummer 8.

Tatsรคchlich verteilten sich die Leipziger Sanktionen aber nur auf 7.045 Personen. Jeder siebente eLB wurde also bestraft โ€“ aber das gleich drei Mal in einem Jahr (genauer: 3,07 Mal). Es geht noch schlimmer, stellt Paul. M. Schrรถder fest. Der absolute Spitzenreiter beim Sanktionieren ist das Jobcenter Weimarer Land mit 3,92 Sanktionen pro Betroffene.

Und da es immer (wie auch Schrรถder betont) um Kรผrzungen des vom Bundesverfassungsgericht geforderten โ€žmenschenwรผrdigen Existenzminimumsโ€œ geht, sind alle Fragen von Ute Elisabeth Gabelmann nur zu berechtigt: Wie sollen die Betroffenen dann noch ein menschenwรผrdiges Leben leben? Und wie gedenkt die so erfolgsbesessene Stadt Leipzig ihnen dabei zu helfen? โ€“ Antworten darauf erwartet Ute Elisabeth Gabelmann zur Stadtratssitzung am 18. Oktober.

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Keine Kommentare bisher

โ€œGelder fรผr das Lebensminimum nicht durch Sanktionen kรผrzen?
Das wรคre ja bedingungsloses Grundeinkommen?
Und dann wรผrde ja keiner mehr arbeiten wollen..โ€
..sagen auch โ€˜wohlmeinendeโ€™ Menschen.
Danke an Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten) fรผr ihre sehr gut durchdachten Anfragen und der L-IZ fรผr die ร–ffentlichkeitsherstellung.
Wir sind alle auf die Antworten gespannt.

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