Versprochen ist versprochen. Regenbilder gibt es jetzt zwar nicht. Dazu war das Geregne einfach zu trübsinnig. Aber dafür nette Nachregenbilder – aus der Perspektive, die wir viel zu selten einnehmen. Kinder kennen diese Bilder noch. Besonders wenn sie klein sind und aus der kleinen Menschenhöhe noch all die bunten Dinge zu ihren Füßen sehen, während die Großen mit gerunzelter Stirn über Politik und Wahlergebnisse philosophieren.
Und was die nun bedeuten. Und wer nun eigentlich dran schuld ist. Na ja, so aus kindlicher Perspektive betrachtet, sind eigentlich die dran schuld, die Politik in etwas Wattiges verwandelt haben, etwas, bei dem es scheinbar nur noch darum geht, wer denn nun am schönsten stänkern kann. Denn in Sachsen, dem viel gescholtenen, ging es ja nicht um Inhalte. Das haben sich die Wähler hier abgewöhnt. Nur dass die Temperatur in der Heimatstube deutlich abgesackt ist.
Es ist nicht mehr so kuschelig, so voller froher Erwartung.
Denn wer ehrlich ist, gibt zu, dass die Regierenden seit 27 Jahren Weihnachtsfreude gespielt haben. Deswegen ist auch der MDR so ein süßeliger Weihnachtssender geworden, in dem Kinderaugen glänzen und Kirchlein im Schnee stehen, während drinnen süßer die Stimmen nie klangen.
Aber irgendwann muss dann Bescherung kommen.
Und wenn nicht?
Wobei man zwei Dinge nicht verwechseln darf: Das, was die Sachsen tatsächlich geleistet und ausgehalten haben in der Zeit. Das vergessen unsere Kurzzeitbesucher aus westlichen Heimatstuben gern. Die Sachsen (und ihre Nachbarn) haben einen ziemlich zähen und heftigen Transformationsprozess bewältigt. Und bewältigen ihn noch. Denn das hört ja nie auf. Das Versprechen, die Lebensverhältnisse in Ost und West würden sich nach 15 Jahren angeglichen haben, war: falsch.
Eigentlich auch nie haltbar. Nach 15 Jahren gab es stattdessen für viele, die da 1990 freudig die Allianz für Deutschland gewählt haben, als Geschenk erst einmal „Hartz IV“. Aus gutem Grund waren die „Hartz IV“-Quoten im Osten allesamt höher als im Westen. Denn der mühsame Transformationsprozess war noch längst nicht beendet. Im Gegenteil: Er stagnierte seit 1998. Auch weil wichtige Ansiedlungen sehr spät kamen. Und weil solche Dinge nun einmal Zeit brauchen. Viel Zeit und Geduld.
Worüber man reden muss.
Das Wahldesaster der sächsischen CDU am 24. September war ein Kommunikationsdesaster. Ist es bis heute. Was sehr viel mit der Weihnachtsfreude, der allgegenwärtigen, zu tun hat. Statt über die Probleme dieser Transformation zu reden, sie überhaupt erst einmal zu akzeptieren, wird alles ganz regierungsamtlich mit „So geht sächsisch“ zugekleistert. Und dass die erste Transformation (die von der veralteten DDR-Industrie zu einem modernen Industrie- und Dienstleistungsstandort) ohne ein Stoppsignal gleich in die nächste Transformation (von der Industrie 2.0 in die digitale Gesellschaft mit Industrie 4.0) überging, haben zumindest all die gemerkt, die täglich damit zu tun haben. Dass die Botschaft in Ämtern und Behörden nicht angekommen ist, ist überall zu spüren. Man trifft immer dann, wenn es Probleme gibt, auf amtliches Schweigen.
Sachsen ist ein Meisterland des Drüberwegschweigens. Aber Konflikte, die unter der Decke vor sich hinstinken, äußern sich so wie am 24. September.
Die Regierungspartei CDU wurde von allen Seiten und in allen Wahlkreisen abgewatscht. Von den 3.329.550 Wahlberechtigten gingen am 24. September 2.509.684 zur Wahl. Was 75,4 Prozent entspricht und ein ganz ordentliches Ergebnis war.
Knapp wurde die Alternative für Deutschland (AfD) mit 669.940 Stimmen (27 Prozent) nach Zweitstimmen die stärkste Partei. So stellte es der Landeswahlausschuss am 6. Oktober offiziell fest. Die CDU landete mit 665.751 Stimmen (26,9 Prozent) knapp dahinter.
Die Linke holte 398.627 Stimmen (16,1 Prozent) und wurde Dritte, vor der SPD mit 261.105 (10,5 Prozent).
Womit alles schon klar war. Die Sachsen wählten mal wieder Protest. Nicht zum ersten Mal, wie man weiß. Aber die Botschaft galt beiden großen Parteien – CDU und SPD. Keine hatte ein Programm offeriert, das die Sorgen der Sachsen und Ostdeutschen sichtlich aufnahm. Die AfD zwar auch nicht. Aber sie bot sich geradezu an als deftige Protestkeule.
Es sollte wohl mal richtig wehtun
Aber wie das so ist mit den diffusen Botschaften der Wähler: Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) glaubt nun, er müsse aus der sächsischen CDU eine AfD light machen und weiter nach rechts rücken. Der Mann scheint wirklich in einem abgeschotteten Büro irgendwo in den Bergen zu sitzen.
Ich für meinen Fall lese etwas ganz anderes aus dem Ergebnis.
1. Die Botschaft: Arbeitet endlich transparent und hört auf, Sachsen ständig golden anzupinseln!
2. Redet endlich mit uns. Und zwar nicht so väterlich von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Wir merken doch, dass die Sache noch nicht gut ist.
3. Und erklärt endlich, wie ihr die Dinge wirklich lösen wollt. Stellt echte Arbeitskonzepte vor, die zeigen, wer was tut und wohin die Reise geht.
Letzteres ist nämlich in Sachsens Regierung ein Tabu-Thema. Nur nicht drüber reden. Und dann nach rechts rücken …
Ich sag es mal so: Mit seinem Gerede vom Rechtsrüberrücken hat Tillich eigentlich erklärt, dass er auch die nächsten zwei Jahre lieber gar nichts tun will. Augenscheinlich betrachtet er seinen Job als Ruheposten. Nur ja nicht anstrengen. Der Blick auf die kleineren Parteien lohnt sich übrigens auch.
So hat Die PARTEI in Sachsen tatsächlich 31.999 Stimmen geholt. Mehr als die Freien Wähler (27.471) oder die NPD (28.215). Die Tierschutzpartei brachte es sogar auf über 35.000 Stimmen. Und auch das frisch gegründete Bündnis Grundeinkommen holte 9.451 Stimmen. Sogar mehr als die ebenso neue „Demokratie in Bewegung“, die es auf 6.475 Stimmen brachte. Nicht zu vergessen die Piraten, die noch immer 11.056 Stimmen einsammelten.
Über 160.000 Wähler machten ihr Kreuz bei Parteien, die im Bundestag nicht vertreten sein werden. Was immerhin 6,7 Prozent der gültigen Stimmen ausmacht.
Aber da die 5-Prozent-Hürde gilt, ist diese Art des Protests wieder nicht im Bundestag vertreten. Obwohl diese Vielfalt zur Breite des politischen Denkens in Sachsen zwingend dazugehört.
Es ist wie in so einer richtigen Leipziger Pfütze: Nach windigen Tagen, und bevor die Kehrmaschine der Stadtreinigung kommt, liegt alles Mögliche drin – Blätter, Eicheln, Zigarettenstummel, abgebrochene Äste, Bierdeckel und Bonbonpapier. Bunt durcheinander. Eigentlich eine Freude fürs Auge. Für das kindliche zumindest. Bis Papa ungeduldig wird und das Kind weiterzieht: Da gibt es nichts zu sehen!
Wer ist jetzt eigentlich dieser ungeduldige Vater in der Geschichte?
Das amtliche Wahlergebnis als PDF.
Neues Sachsen in der CDU? JU-Sachsen Ex-Landesvorstand Markus Walther im Interview
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Spannende Gedanken. Stimmt schon, mit der AfD hat man natürlich den größtmöglichen Schock erzeugt, obs nun dämlich war oder nicht. Da muss ich mal ne Weile drüber nachdenken (am besten beim Pfützenknipsen, da hab ich jetzt irgendwie Lust drauf^^).