Für Freikäufer„Armut bedeutet gesellschaftliche Ausgrenzung“, sagte die Linke-Landtagsabgeordnete Susanne Schaper am Donnerstag, 31. August, als der Landtag über den „Armuts- und Reichtumsbericht“ der Bundesregierung diskutierte. Und ihr ganz spezieller Blick auf Kinderarmut macht etwas sichtbar, was auch in Leipziger Statistiken meist verwaschen wird: Mit Kindern steigt das Armutsrisiko.
Man möchte es eigentlich nicht glauben, wo doch die Kinderzahl in Leipzig so mächtig anwächst. 6.873 Kinder wurden 2016 in Leipzig geboren. Im ersten Halbjahr 2017 waren es auch schon wieder 3.452. Es sieht also ganz so aus, dass Leipzigs Sozialbürgermeister wieder ein neues Geburtenhoch serviert bekommt, wieder mehr Kitas bauen lassen muss, aber …
Aber natürlich ist die Leipziger Geburtenrate trotzdem noch im Keller. Die ganze Panik um fehlende Kita-Plätze und Schulplätze erzählt nur davon, wie grottenschlecht Sachsens Kommunen finanziell aufgestellt sind und wie mit viel zu kläglichen Budgets versucht wird, ganz normale Bevölkerungsentwicklungen aufzufangen.
Den kleinen Beitrag zur Fertilitätsrate findet man gleich im Vorderteil des neuen Quartalsberichts. Danach haben Leipzigs Frauen eine Fertilitätsrate von 1,47. Heißt übersetzt: Im Durchschnitt bekommen sie nur 1,47 Kinder. Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit sogar etwas weniger; 1,41. Frauen ohne deutschen Pass mit 1,93 zwar ein paar mehr – aber auch das reicht nicht zur Stabilisierung einer Gesellschaft.
Der Spruch, den die ziemlich chauvinistische AfD zur Bundestagswahl auf ihre Plakate geklatscht hat, deutsche Kinder könne man auch selber machen, ist ganz sichtlich Blödsinn in höherer Potenz.
Von Potenz mal zu schweigen. Die wird bei den mehrheitlich älteren Herren, die in dieser Partei die Mehrheit bilden, nicht mehr allzu doll sein. Aber man spielt gern den starken Mann. Den potenten gar. Kraftmeierei ersetzt aber keine kluge Familienpolitik.
Tatsächlich würde das Verständnis der AfD von Staat und Wirtschat wohl dazu führen, dass noch weniger Frauen das Wagnis von mehreren Kindern eingehen. Man mag ja in dieser Partei den Sozialstaat irgendwie nicht. In einer neoliberalen Gesellschaft sind Kinder tatsächlich unerwünscht. Und unter allen Parteiangeboten zur Bundestagswahl ist die AfD die neoliberalste.
Es ist nicht die einzige Partei, die aus dem Geburteneinbruch in den 1990er Jahren nichts gelernt hat, der übrigens nichts mit den Freuden des Single-Daseins zu tun hat. Es ist schon erstaunlich, dass sich kein einziges Ministerium bemüßigt fühlt, die Bewohner des Landes einmal nach den Gründen zu fragen, warum sie keine Familien gründen oder auf Kinderwünsche verzichten.
Nur wenige Umfragen streifen das Thema und lassen zumindest ahnen, dass die ach so flexible moderne Arbeitswelt einer der Gründe dafür ist, warum sich die Familienplanung verschoben hat – von den 20-Jährigen zu den 30-Jährigen. Und warum viele Menschen sich die Erfüllung von Kinderwünschen verkneifen. Nicht nur, weil Kinder auch Kosten verursachen. Das ist ja eher normal. Aber diese Kosten sind in viele Arbeitsangebote nicht mehr eingepreist. Das heißt: Eltern kommen heutzutage schon sehr ins Rechnen, wenn sie ein zweites oder gar drittes Kind haben möchten.
Familiengründungen sind wirtschaftliche Entscheidungen. Wer Niedriglohnsysteme einführt und Menschen jahrelang in prekäre Arbeitsverhältnisse drängt, der sorgt genau für diese harten aber ehrlichen Entscheidungen: Die Betroffenen verzichten auf Familiengründung und Kinderkriegen.
Und wer nicht verzichtet, merkt bald, dass Kinder in dieser Arbeitswelt zum Armutsrisiko werden. Dass Deutschland eine derart niedrige Geburtenrate hat, hat mit seiner tiefsitzenden Familienfeindlichkeit zu tun – die sich nur als besondere Sorge um Familien tarnt, so wie es auch die CDU wieder in ihrem Wahlkampf tut.
Und das wird auch in der Leipziger Erwerbslosenstatistik sichtbar. Denn nicht nur die Zahl der unter 15-Jährigen in Bedarfsgemeinschaften steigt immer weiter (von 16.811 im Dezember 2016 auf 17.043 im März 2017), auch die Zahl der Bedarfsgemeinschaften mit vier und mehr Personen steigt kontinuierlich an. Das sind in der Regel Paare mit zwei und mehr Kindern. Lag die Zahl dieser Bedarfsgemeinschaften im März 2016 noch bei 3.730, so waren es ein Jahr später schon 4.073 betroffene Familien.
Kinderkriegen ist immer noch ein wirtschaftliches Risiko. Da hilft dann auch keine sinkende Arbeitslosenquote, über die sich vielleicht der OBM freut. Denn dahinter steckt eine fatale Entwicklung, die vor allem jungen Familiengründern das Leben schwer macht. Da muss man gar nicht über die verfehlte Landespolitik bei Kita und Schule sprechen. Es geht viel früher los, da, wo es um die wirtschaftliche Basis von Familiengründungen geht.
Nachdem lange Zeit Arbeitslose über 55 Jahre das Hauptproblem auf dem Leipziger Arbeitsmarkt waren, werden es zusehends Familien mit mehreren Kindern. Oder anders formuliert: Eine Wirtschaftswelt, die gerade bei den niedrigen Einkommen spart und meint, das habe irgendetwas mit Leistung zu tun, sorgt dafür, dass die Realität in Deutschland sehr familienfeindlich aussieht. Man redet viel drüber und tut so als ob – aber kaum ein Thema ist in so viele bunte Lügen eingewickelt. Denn tatsächlich ist Deutschland ein zunehmend vergreisendes Land, das sich hundert Mal mehr um die Sicherung von Renten und Pensionen kümmert, als um die Wirtschaftsgrundlagen junger Familien.
Wie es die betroffenen Kinder bzw. die Erwachsenen in Armut erleben, das hat Susanne Schaper in ihrer Rede am Donnerstag angedeutet: „Man kann den Geburtstag von Freunden und Bekannten trotz Einladung nicht mitfeiern, weil man kein Geld für ein Geschenk hat. Man wird ausgegrenzt, wenn man nach dem Feierabend nicht mit Freunden essen, ins Kino, ins Theater oder am Wochenende ins Museum gehen kann, weil man am Ende des Geldes noch zu viel Monat übrig hat. Armut bedeutet Stigmatisierung, zum Beispiel bei der Wohnungssuche, wenn man Hartz-IV-Bescheide vorlegen muss oder weil die Miete vom Amt direkt an die Vermieter gezahlt wird. Betroffene werden in den Jobcentern entmündigt, weil sie nicht mitentscheiden dürfen, ob eine Maßnahme oder Weiterbildung für sie sinnvoll ist. Das beschädigt ihr Selbstwertgefühl und erst recht ihre Motivation.“
Es gäbe eine Menge zu tun.
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Es gibt 2 Kommentare
Mal ernsthaft. Ich hatte das rumgeeier der meisten Zeitungen echt satt. Nur ja nicht zu tief nachfragen, bloß keinem auf die Füße treten, nur keine potenziellen Werbekunden vergraulen und möglichst jedem alles recht machen. Das hat bei mir nach dem lesen meist ein riesiges Fragezeichen hinterlassen und ich hab nicht selten gesucht, wo die Artikel denn nun weitergehen. Gingen sie aber nicht. Und dann bin ich über euch gestolpert. Was ein Unterschied. Dafür mal meinen ganz tiefen und ehrlichen Dank. (Wird man ja wohl noch sagen dürfen^^ )
“Der Spruch, den die ziemlich chauvinistische AfD zur Bundestagswahl auf ihre Plakate geklatscht hat, deutsche Kinder könne man auch selber machen, ist ganz sichtlich Blödsinn in höherer Potenz.
Von Potenz mal zu schweigen. Die wird bei den mehrheitlich älteren Herren, die in dieser Partei die Mehrheit bilden, nicht mehr allzu doll sein”
Ihr seid so geil^^
Der Rest ist natürlich auch auf den Punkt gebracht. Aber den Satz kann man ruhig mal feiern. Wenn ich nicht schon seit Jahren ein Abo hätte, ich würd jetzt glatt eins abschliessen.^^