Fast bin ich geneigt, auch aus diesem kleinen Artikel zum neuesten Quartalsbericht der Stadt Leipzig eine „Nachdenken über ...“-Geschichte zu machen. Es geht hier um die Alleinlebenden, denen Falk Abel und Andrea Schultz ein ganzes Kapitel gewidmet haben. Und damit geht es um die Personengruppe in Leipzig, die die schlechteste Lobby hat und praktisch politisch überhaupt nicht vertreten ist.
Rund 30 Prozent der Leipziger leben allein, bestreiten ihren Haushalt und ihr Leben aus eigener Kraft. So weit das geht. Nicht alles sind (verwitwete) Rentner. Die größte Gruppe nach den alleinlebenden Rentnern (Anteil 18 Prozent aller Haushalte) stellen tatsächlich sogar die 35- bis 55-Jährigen mit 17 Prozent. Das ist fast so viel wie es richtige Familienhaushalte (18 Prozent) gibt.
Auch wenn das trotzdem – wie Peter Dütthorn aus dem Amt für Statistik und Wahlen betont – heißt, dass die meisten Leipziger eben doch in Familien- oder Paargemeinschaften leben. Aber darum geht es nicht. Auch nicht um die Frage der Einsamkeit. Sondern um das kleine Thema Ökonomie.
Nicht nur Familien wissen es, wie viel wirtschaftliches Organisationstalent zur Gestaltung eines gemeinsamen Haushalts gehört, auch Singles. Sie müssen den ganzen Rechnungskram genauso auf die Reihe bekommen wie Einkäufe, Gesundheitsmanagement und „Work-life-Balance“. Ein paar kluge Leser haben ja bei einschlägigen Artikeln schon kommentiert: „Work-life-Balance“ gibt es nicht. Es ist wieder nur so ein Werbespruch aus der Wellnessbranche, der den potenziellen Kunden suggeriert, hier werde ihnen geholfen.
Wird es aber nicht.
Denn Ökonomie beruht nun einmal auf Geld. Und wenn 66 Prozent der Alleinlebenden in Leipzig mitten im Berufsleben stehen, dann stimmt da etwas nicht. Auch wenn das immer im großen Klumpatsch untergeht – etwa wenn die durchschnittlichen Monatseinkommen der Leipziger scheinbar wieder ordentlich steigen, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Luxusprobleme wachsen.
Dass dabei Jahr für Jahr ein ziemlich großer Anteil der Leipziger trotzdem auf der Strecke bleibt und den Sprung in jene Regionen nicht schafft, in denen das Einkommen endlich zum Leben, Planen und Teilhaben reicht, das wird immer erst deutlich, wenn die Statistiker wieder die Armutsgefährdungsquote ausrechnen. Die liegt in Leipzig bei 23 Prozent, also mittlerweile dreimal so hoch wie die Arbeitslosenquote.
Allein an „Hartz IV“ liegt es also nicht, wenn fast jeder vierte Leipziger noch immer richtig arm ist.
Das hat Folgen. Denn wenn das Geld nicht reicht, um eine Familie zu gründen (und das ist ein Thema, mit dem sich deutsche „Familienpolitiker“ nicht mal beschäftigen, wenn sie nachts zum Denken kommen), dann bleibt das ganze Leben in allen seinen Facetten prekär. In der Bürgerumfrage 2015 wurden genug Daten gesammelt, die zeigen, wie die finanzielle Situation der Alleinlebenden und jener, die es schaffen eine Familie zu gründen, sofort mit Eintritt ins Berufsleben auseinanderklafft. Alleinlebende geben doppelt so oft an, „armutsgefährdet“ zu sein wie Leipziger in Mehrpersonenhaushalten. Bei den 25- bis 35-Jährigen sind es 30 Prozent gegenüber 15 Prozent, bei den 35- bis 55-Jährigen 20 gegenüber 11 Prozent und bei den 55- bis 65-Jährigen schnellt es auf 41 Prozent gegenüber 10 Prozent hinauf.
Alles Zeichen dafür, dass Alleinlebende öfter auch in Jobs feststecken, die zum Notwendigsten geradeso reichen, aber keine Freiheiten erlauben, mehr aus dem Leben zu machen.
Wäre ein toller Werbespruch für eine echte Single-Partei: „Mach mehr aus deinem Leben!“
Denn gleichzeitig bedeutet das Führen eines Ein-Personen-Haushalts, dass noch mehr Prozente vom Einkommen fürs Lebensnotwendigste draufgehren.
Angefangen bei der Wohnung: Wo Mehrpersonenhaushalte fürs Wohnen in Leipzig gerade einmal 26 Prozent ihres Budgets aufwenden, zahlen Alleinlebende im Schnitt 36 Prozent ihres Einkommens, manche über 40.
Ein Einkommen, das dann aber auch noch deutlich unter dem der Personen in Mehrpersonenhaushalten liegt.
Das haben Abel und Schultz einmal anhand der persönlichen Nettoeinkommen und der Äquivalenzeinkommen (wo die Zahl der Haushaltsmitglieder eingerechnet wird) in Zahlen gefasst.
Das Ergebnis ist erhellend – und gleichzeitig ernüchternd: Schon bei den 25- bis 34-Jährigen haben Alleinlebende 300 Euro weniger monatlich zur Verfügung als die Gleichaltrigen in Mehrpersonenhaushalten. Mit 277 Euro ist der Wert bei den 35- bis 55-Jährigen ähnlich hoch.
Konkrete Befragungen, woran das liegt, gibt es natürlich nicht. Möglicherweise sind es alles Berufskarrieren, in denen die Betroffenen immer nur mit mager entlohnten Jobs auskommen müssen – oder sich gar eine niedrige Bezahlung mit hoher Flexibilität und Mobilität verbindet, so dass für ein Familienleben erst recht keine Zeit ist. (Und auch die Familien in Leipzig stöhnen darüber, dass sie „keine Zeit” haben.)
Wobei die Statistik für die 35- bis 55-Jährigen zeigt, dass diese Altersgruppe ab 2015 augenscheinlich endlich aus der Misere herauskommt. Keine andere Single-Altersgruppe hatte einen derartigen Einkommenssprung, was sichtlich mit der wirtschaftlichen Erholung der Stadt und wohl auch direkt mit dem Mindestlohn zusammenhängt. Einige tausend Leipziger, die vorher festklemmten in nicht lösbaren Situationen, haben augenscheinlich Luft zum Atmen bekommen.
Angemeiert hat es die heute 55- bis 64Jährigen, die Hauptträger all dessen, was ab 1990 als Transformation über Leipzig hereinschwappte.
Im Ergebnis haben sie monatlich saftige 581 Euro weniger zur Verfügung als die Gleichaltrigen, die in Partnerschaft leben.
Partnerschaft ist tatsächlich ein erstrebenswerter Zustand, auch ökonomisch. Und dieselbe Gruppe war natürlich auch jene, die in den 1990er Jahren eben nicht nur auf Familiengründung verzichtete (oder verzichten musste), sondern auch aufs Kinderkriegen, was zum Absturz der Leipziger Geburtenzahlen beitrug.
Jeder kann sich selbst ausrechnen, was allein 300 Euro monatlich weniger aufs Jahr oder gar aufs Berufsleben gerechnet bedeuten. Und wie viel niedriger der Lebensstandard dieser „Singles“ ist als der in Partnerschaft lebenden Leipziger.
Es sind übrigens auch diese 55- bis 64-Jährigen, die jetzt die Zahl der Armutsrentner erhöhen.
Logisch, dass Alleinlebende deutlich weniger zufrieden sind mit dem Leben, auch wenn ihre Lebenszufriedenheit von 58 Prozent im Jahr 2008 auf 72 Prozent im Jahr 2015 stieg. Familien sind mit 81 Prozent deutlich zufriedener.
Damit beleuchten Abel und Schultz zwar die Lebensbedingungen einer Bevölkerungsgruppe, die höchst heterogen ist, aber meistens eben einfach übersehen wird. Auch weil den meisten Politikern, die „irgendwas mit Familie“ machen, überhaupt nicht bewusst ist, dass Familie gerade für Menschen, die die negativen Folgen von Transformationsprozessen tragen mussten, meist nicht denkbar ist. Auch und gerade, weil ökonomische Sorgen bestens geeignet sind, jede Partnerschaft zu zerrütten. Partnerschaften helfen zwar, mit (zwei) niedrigen Löhnen relativ gut wirtschaften zu können. Aber wenn die Sache nicht trägt, dann produziert eine Gesellschaft auf ganz simple ökonomische Weise ihre „Singles“, ihre Alleinerziehenden und eine am Ende unterirdische Geburtenrate.
Armut und einen gut Teil Depression und Lethargie sowieso.
Höchste Zeit, dass sich auch Stadtpolitik endlich mit dem Thema beschäftigt.
Denn noch eines zeigt die Statistik: Die Zahl der Single-Haushalte steigt weiter.
Möglicher Grund: Die neuen Jobs sind vielleicht etwas besser bezahlt als die alten, sind aber genauso familienunfreundlich.
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