Man kann die Studienberechtigtenquote in Sachsen auf unterschiedliche Weise interpretieren. Aber so, wie es die vergangenen sächsischen Regierungen getan haben, war es reineweg Quatsch. Bekanntlich versuchten sie durch immer neue Verschärfungen etwa bei der Bildungsempfehlung die Schüler auf die ungeliebte Mittel(Ober-)Schule umzulenken. Und damit bewiesen diese Bildungsexperten, dass sie von Tuten und Blasen keine Ahnung haben. Vom Leben wohl auch nicht.

Am Mittwoch, 10. Mai, veröffentlichte das Statistische Landesamt neue Zahlen zu Studienberechtigtenquoten und Studiumsabsolventen in Sachsen. Die Zahlen kann man nicht direkt nebeneinander legen, denn im Bildungsleben liegen in der Regel mindestens fünf Jahre zwischen beiden Abschlüssen.

„Im Jahr 2016 verließen 14.186 Absolventen die Schule mit allgemeiner bzw. Fachhochschulreife. Das waren 605 Schülerinnen und Schüler bzw. 4,5 Prozent mehr als 2015“, meldete das Statistische Landesamt. „Die Studienberechtigtenquote lag bei 46,3 Prozent und sank gegenüber dem Vorjahr um ca. 1,7 Prozent. Wie das Statistische Landesamt in dem soeben veröffentlichten Statistischen Bericht mit hochschulstatistischen Kennzahlen weiter mitteilt, stiegen sowohl die Zahl der Schulabgänger mit allgemeiner Hochschulreife um 4,6 Prozent auf 11.691 als auch die Zahl der Absolventen mit Fachhochschulreife auf 2.495 (2015: 2.408).“

Der Rückgang an dieser Stelle wurde zwar nicht untersucht, dürfte aber eine Menge mit den rigiden Sparmaßnahmen und Schulschließungen gerade im ländlichen Raum zu tun haben. Gerade wenn es Gymnasien nur noch an zentralen Orten gibt, entscheiden sich viele Schüler dafür, dann doch lieber die näher gelegene Oberschule zu besuchen.

Dass trotzdem deutlich mehr Kinder aufs Gymnasium gehen, als dann tatsächlich ein Studium aufnehmen, hat ebenfalls seine Ursachen im reformbedürftigen sächsischen Bildungssystem.

Die Statistiker drücken das so aus: „Nach wie vor entscheiden sich nicht alle Studienberechtigten für ein Studium an einer Hochschule. Aus dem Absolventenjahrgang 2010 begannen ca. 80 Prozent der sächsischen Studienberechtigten mit allgemeiner Hochschulreife bis 2015 ein Studium an einer Hochschule in Deutschland. Von denen mit Fachhochschulreife waren es lediglich knapp 54 Prozent. Dabei weisen Frauen eine niedrigere Studierbereitschaft auf als Männer. Zwei Drittel der Frauen aus der Absolventenkohorte 2010 entschieden sich bis 2015 für ein Studium. Bei den Männern waren es mehr als drei Viertel.“

Egal, wie man diese Zahlen betrachtet: Sie zeigen die Lücke im sächsischen Bildungssystem. In den Nachbarländern Thüringen und Sachsen-Anhalt sieht es nicht anders aus. Alle haben sie das scheinbar bessere Schulsystem aus irgendeinem westlichen Bundesland übernommen – mitsamt allen Fehlern. Denn bis heute leidet das deutsche Schulwesen unter dem Elite-Denken der Bildungspolitik: Statt Schulen so zu organisieren, dass die Kinder die besten Möglichkeiten vorfinden, ihre Talente zu entfalten und – mit dem nötigen Wissen – die für sie geeignete Abschlussform selbst wählen zu können, wird nach der vierten Klasse schon gesiebt in zwei große Säcke, die aus Elternsicht eigentlich nur zwei Beschriftungen tragen: Normalschule und Benachteiligte.

Das Gymnasium ist deutschlandweit zur Normalschule geworden, obwohl es das gar nicht sein dürfte. Es hat Bildungsaufgaben übergeholfen bekommen, die hier eigentlich nicht hingehören. Und die Mittel- bzw. Oberschule wurde moralisch so abgewertet, dass ein Verbleiben der Kinder an dieser Schule schon wie eine Frustration wirkt.

Nicht ohne Grund werben Grüne, Linke und SPD für ein längeres gemeinsames Lernen – und zwar an gut ausgestatteten Schulen, die die Kinder gemeinsam auf den Stand ihrer Möglichkeiten bringen. Mindestens sechs Jahre gemeinsames Lernen sollten es sein.

Und das elitäre Denken muss aufhören, das Schultypen nach „Leistung“ sortiert und nicht nach Ausbildungszielen.

Dass so viele Schüler sich bis zum Abitur quälen, die gar nicht vorhaben zu studieren, zeigt deutlich genug, wie wenig die Erwartung der Wirtschaft erfüllt ist, dass die jungen Menschen in der Schule gleichermaßen die bestmöglichen Bildungsstandards vorfinden und bei der Wahl der Abschluss-Schulform auch selbstständig entscheiden können, welchen Weg sie gehen wollen – zum universitären Studium, zum Fachstudium (was sich in den Anforderungen natürlich unterscheidet) oder in eine Berufsausbildung – wo es auch noch deutliche Unterschiede gibt.

Aber die Oberschulen in Sachsen sind in der Regel in einer Verfassung, die auch die Eltern der Kinder nur als Benachteiligung für den späteren Berufsweg betrachten. Sie versuchen mit allen Mitteln, die Kinder auf die bessere Normalschule – also das Gymnasium – zu bringen.

Und daran ändern alle Bildungsempfehlungen und staatlichen Versuche nichts, die Eltern und/oder ihre Kinder daran zu hindern.

Die Zahlen sprechen eindeutig dafür, dass die sächsische Schule grundlegend reformiert werden müsste und die Entscheidung über den Schulabschluss nicht schon in der 4. Klasse gefällt wird, sondern deutlich später. Und dass die Schule so strukturiert werden müsste, dass auch noch Wechsel bis zur 8. Klasse möglich sind – vorausgesetzt, die Schüler werden tatsächlich befähigt, ihre beruflichen Möglichkeiten einzuschätzen, was aber im gegenwärtigen sächsischen Schulsystem nicht der Fall ist. Die Zahlen sprechen also für eine doppelte Orientierungslosigkeit – auf Seiten vieler Schüler und auf Seiten der politisch Verantwortlichen, die steuern wollen, wo sie Strukturen schaffen sollten.

So geht dann zwar fast jedes zweite Kind aufs Gymnasium und macht sein Abitur – aber ein Studium beginnt nur jeder dritte junge Sachse.

„Im Jahr 2015 betrug der Anteil der Absolventen sächsischer Hochschulen an der altersspezifischen Bevölkerung 30,8 Prozent. Nachdem die Absolventenquote 2014 leicht angestiegen war, setzte sich 2015 die rückläufige Entwicklung der Jahre 2012 und 2013  fort. Im Vergleich zu den anderen neuen Bundesländern (ohne Berlin) erreichte der Freistaat Sachsen die zweithöchste Absolventenquote nach Thüringen und lag ca. 1,5 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt von 32,3 Prozent.“

Das ist also auch deutschlandweit ganz ähnlich. Auch anderswo sind die Gymnasien zur Normalschule geworden. Eine Spezialisierungsmöglichkeit für begabte Kinder, die im Abitur eigentlich nur die bessere Grundlage für einen begehrten Ausbildungsplatz sehen, fehlt.

Sie vertun lieber zwei Jahre mehr auf der Schulbank, um dann bessere Berufsaussichten zu haben. Aber die Zahlen zeigen deutlich, wie antiquiert und aus der Zeit gefallen dieses Bildungssystem ist – und wie wenig es tatsächlich die Bedarfe abbildet.

Die Meldung des Statistischen Landesamtes.

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