Über Wanderungsbewegungen in Deutschland wird viel diskutiert. Meistens unter falschen Vorzeichen. Auch von Landesregierungen, die lieber Ängste schüren und Menetekel an die Wand malen, als wirklich verstehen zu wollen, warum Menschen ihre Heimat verlassen – oder zurückkehren. Denn nicht nur Ausländer sind Wanderer. Das in Leipzig heimische Institut für Länderkunde (IfL) hat jetzt Wanderbewegungen mal unter die Lupe genommen.

Man hat sich auf die Jahre 2000 bis 2014 konzentriert, in denen irgendetwas passiert ist, das die Bundesrepublik verändert hat. Aus einer beinah hysterischen Republik („der kranke Mann Europas“) wurde eine Republik der Sattheit, die sich in ihrem wirtschaftlichen Erfolg sonnt und trotzdem von grimmigen Bürgern medial in ein Tollhaus verwandelt wird.

Nur so als Abschweif: Die innerdeutschen Wanderungsbewegungen sind ein Spiegelbild der Wanderungsbewegungen in den anderen europäischen Ländern, für die wir uns in der Regel nie interessieren. Obwohl es uns interessieren sollte. Denn die Gründe für die Wanderungen der Menschen sind überall dieselben. Und sie sorgen oft genug für jene Dynamik, die uns in den Nachrichten so erschreckt. Es geht um Ausbildung, um Arbeitsplätze, um Karrierechancen, um Partnerschaft und Familiengründung, stark auch um Miethöhen und stabile wirtschaftliche Rahmenbedingungen.

Genau diese Gründe sind auch die Triebkraft der Wanderungsbewegungen in der Bundesrepublik.

Auch jener, über die die Statistiker derzeit staunen: Die Leute kehren häufiger in ihre alte Heimatregion zurück.

Seit der Jahrtausendwende ist bundesweit jeder fünfte Abgewanderte in seinen Heimatkreis zurückgekehrt. Die höchsten Rückkehrquoten entfallen auf ländliche Regionen in Thüringen, Bayern und im Saarland, stellt das IfL zur Veröffentlichung der neuesten Karten im Nationalatlas zum Thema „Rückwanderung von Erwerbspersonen“ fest.

Spitzenreiter bei der Rückwanderung von Erwerbspersonen im Zeitraum 2001 bis 2014 waren mit 32 Prozent der westthüringische Landkreis Eichsfeld, die bayerischen Landkreise Passau (26,1 Prozent) und Straubing-Bogen (25,6 Prozent) sowie der Landkreis Saarlouis (25,5 Prozent).

Deutlich geringer ist die Rückkehrquote in Städten. Weniger als 15 Prozent der abgewanderten Beschäftigten sind in ihre Heimatorte Frankfurt (Oder), Offenbach a. M. und Heidelberg zurückgegangen. All das geht aus Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor, die das Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des IAB und des Instituts für Landes- und Stadtentwicklung für sein Webangebot „Nationalatlas aktuell“ aufbereitet hat.

Wobei das Thema Städte ein besonders ist – was die Autoren im zugehörigen Glossar auch erläutern. Denn mit den steigenden Qualifikationsansprüchen basieren immer mehr Berufsfelder heute auf einem Hochschulstudium. Und die Hochschulen befinden sich nun einmal in den größeren Städten, was im Effekt zwar zum stetigen Wachstum der Städte beiträgt – aber auch den Effekt bedingt, dass prozentual mehr (junge) Menschen in ihre ländliche Heimat zurückkehren, nachdem sie ihre Ausbildung in der Stadt abgeschlossen haben.

Was übrigens auch ein Hinweis darauf ist, dass die ländlichen Regionen wirtschaftlich nicht entleert werden. Im Gegenteil. Sie bieten weiterhin auch gut qualifizierten Menschen eine auskömmliche Existenz.

Die Wissenschaftler haben freilich auch noch ein paar andere Aspekte in Karten festgehalten.

Insgesamt sind in den vergangenen Jahren signifikant mehr Männer als Frauen und mehr Jüngere als Ältere in ihre Heimatregion zurückgekehrt. Bei den Altersgruppen fallen erneut Unterschiede zwischen Ballungszentren und ländlichen Räumen auf. Während in die Metropolregionen Rhein-Ruhr, das Rhein-Main-Gebiet, den südlichen Münchner Raum sowie nach Berlin viele ältere Erwerbspersonen zurückgekehrt sind, erlebten Mecklenburg-Vorpommern, große Teile Sachsen-Anhalts, Thüringens und Bayerns eine verstärkte Rückwanderung von unter 25-Jährigen. Was mit dem oben geschilderten Städte-Effekt zu tun hat: Nach der Ausbildung oder einem Studium in der Stadt suchen und finden sie oft einen Job in ihrer ländlichen Heimatregion.

Unabhängig vom Alter sind die Rückwanderer in den meisten Regionen Deutschlands mehrheitlich Männer, stellen die Autoren fest. Nur in sechs der insgesamt 402 Kreise ist die Rückkehrquote für Frauen höher als für Männer. Als mögliche Ursachen führen die Autoren der Studie unterschiedliche Präferenzen bei Berufszielen und Lebensplanung an. Zudem zeigt sich, dass in viele ostdeutsche Kreise mehr Akademiker als Beschäftigte ohne Berufsabschluss zurückziehen. In Nordostbayern, Rheinland-Pfalz sowie Teilen Nordrhein-Westfalens, Nordwestniedersachsen und Schleswig-Holsteins überwiegt dagegen die Rückwanderung von Geringqualifizierten. Das Schlusslicht bildet Pirmasens: Hier haben von hundert Rückkehrern nur 15 einen Hochschulabschluss.

Wobei das Stichwort Ostdeutschland aufhorchen lässt: Was ist da anders?

Natürlich ist es die wirtschaftliche Struktur. Auch die älteren Abwanderer kehren in der Regel nur dann zurück, wenn sie in ihrer ursprünglichen Heimat wenigstens eine Berufschance sehen, die ihnen eine auskömmliche Existenz sichert. Dafür aber fehlen die großen Zahlen verfügbarer Industriearbeitsplätze. Die findet man eher im Westen der Republik. Im Osten blühen vor allem viele Unternehmen in der Dienstleistungsbranche und das auch nicht in den ländlichen Regionen, sondern in den großen Städten oder ihrem Umfeld. Und auch hier werden eher junge Leute mit hoher Qualifikation gesucht. Was natürlich Chancen für Heimkehrer mit höheren Abschlüssen ergibt, während Erwerbstätige mit niedriger Qualifikation weiterhin kaum Chancen finden.

Und das hat auch Auswirkungen auf die Geschlechterzusammensetzung der Rückwanderer. Frauen kehren auch eher selten in die ländlichen Regionen des Ostens zurück.

Im Glossar merken die Autoren dazu an: „Ein weiterer Erklärungsansatz könnte sein, dass Frauen zunehmend nach Unabhängigkeit und materieller Eigenständigkeit streben. Bessere Chancen dafür sehen sie in den Großstädten mit besseren Gehaltsmöglichkeiten in hochqualifizierten Tätigkeiten (Brücker/Trübswetter 2007) sowie geringeren geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschieden (Hirsch/König/Möller 2009). Frauen, die statushöhere Partner suchen, finden diese tendenziell auch eher in den von gut bezahlten Management- und Dienstleistungsberufen geprägten Großstädten als in ihren ländlichen Herkunftskreisen (Dahlström 1996).“

Die reine Erfassung der Rückwanderungen aus den Zahlen des IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Arbeitsagentur) macht also nur einen Teil der Entwicklung sichtbar, denn trotz der verstärkten Rückwanderung dominiert weiter der Haupttrend der Abwanderung in die großen Städte, die eindeutig der Ort sind, wo heute die anspruchsvollen neuen Tätigkeitsfelder hauptsächlich in der (auch wirtschaftsnahen) Dienstleistung entstehen.

Die Karte, die die Rückwanderung nach Qualifikation zeigt, bildet fast ganz Sachsen als ein Land ab, in das deutlich mehr Menschen mit hoher Qualifikation zurückkehren als mit niedriger. Es sind die Wirtschaftszweige mit hohen Qualifikationsanforderungen, die hier für wirtschaftliche Zuwächse sorgen, und zwar so stark, dass die Rückwanderung der Hochqualifizierten die der Niedrigqualifizierten übersteigt.

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