Am Mittwoch, 3. Mai, wurden ja bundesweit wieder die aktuellen Arbeitslosenzahlen veröffentlicht und allerlei abenteuerliche Erklärungen dazu gefunden, dass sie nicht steigen, sondern sinken. Aber ist die Nachricht tatsächlich so gut? Auch wenn sich Ämter und Politiker über die scheinbar so niedrigen Arbeitslosenraten freuen? – „Die Arbeitsmarktentwicklung ist weiter sehr gut", meint ja auch der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit, Steffen Leonhardi.

“Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist hoch und die Zahl der Arbeitslosen geht zurück. Gemeinsam mit den Unternehmen geht es darum, durch Qualifizierung die Menschen fit zu machen für die Anforderungen der Arbeitsplätze. Aus Weiterbildung sollen neue Chancen entstehen“, sagt er.

Insgesamt waren im April 23.833 (Vormonat 24.357) Männer und Frauen in Leipzig arbeitslos gemeldet. Der Rückgang im Vergleich zum März betrug 524 Personen. Innerhalb der letzten 12 Monate ist die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen in Leipzig um 3.004 zurückgegangen.

Leonhardis Erklärungsversuch für die Entwicklung: “Die neuen Arbeitsmarktzahlen zeichnen ein erfreuliches Bild und belegen die positive wirtschaftliche Entwicklung der Stadt Leipzig. Zuvorderst sind es die Leipziger Unternehmen, die durch ihren geschäftlichen Erfolg neue Arbeitsplätze geschaffen haben, von denen nun immer mehr Menschen aus Leipzig und dem Umland profitieren. Das Engagement aller Akteure für den Arbeitsmarkt bleibt dennoch wichtig. Immerhin gibt es noch über 23.000 arbeitslose Menschen in der Stadt Leipzig.”

Fanfaren! Bitte schmettern.

Wären Arbeitsagentur und Jobcenter tatsächlich die professionellen Vermittler in den Arbeitsmarkt, der sie zu sein stets behaupten, dann wäre das eine belastbare Aussage.

Ist sie das aber?

In Leipzig entstehen zwar jedes Jahr über 5.000 neue Arbeitsplätze, was das Bevölkerungswachstum antreibt und vom Bevölkerungswachstum wieder getrieben wird.

Doch die meisten (älteren) Arbeitslosen kommen eben nicht wieder auf den Arbeitsmarkt. Dass die Arbeitslosenzahlen derart stark sinken, hat vor allem damit zu tun, dass sich die Arbeitslosigkeit nicht weiter aufbaut: Wer jung und einsatzbereit ist, kommt meist schnell wieder in Arbeit. Und wer schon zu lange in der Versorgung der Ämter hängt, der geht zumeist in den Ruhestand ab. Die Arbeitslosigkeit schmilzt ab, weil kaum noch junge Leute dazukommen.

Ablesbar ist das an der Arbeitsmarktentwicklung in den Rechtskreisen SGB III und SGB II.

Im April waren 6.987 Menschen im Rechtskreis SGB III in der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldet. Das waren 166 weniger als im Vormonat und 1.112 mehr als vor einem Jahr.

Aber im Rechtskreis SGB II (ALG II alias “Hartz IV”) waren 16.846 Menschen im Jobcenter Leipzig arbeitslos registriert. Das waren sogar 358 weniger als im März 2017 und 4.116 weniger als vor einem Jahr. Hier passiert das eigentliche Abschmelzen der Leipziger Arbeitslosenzahlen.

Die Bewerber für Ausbildungsstellen werden knapp. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig
Die Bewerber für Ausbildungsstellen werden knapp. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig

Was dann auch den Berg der Bedarfsgemeinschaften schmelzen lässt: In Leipzig gab es im April 39.287 Bedarfsgemeinschaften. Das sind 41 weniger als im Vormonat und 1.512 weniger als im April des Vorjahres. Das Jobcenter Leipzig betreut aktuell 49.054 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Im Vergleich zum Vormonat betrug dort der Rückgang 238 Personen. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl um 990 Personen.

Da kann Leonhardi von den schönen Beziehungen zu den Arbeitgebern schwärmen. Aber hier wird gerade die kommende Not der Leipziger Wirtschaft sichtbar, denn dass die Zahlen so sinken, liegt am fehlenden Nachschub: Mit halbierten Ausbildungsjahrgängen kann man das Niveau nicht dauerhaft halten.

Und die Integration der Flüchtlinge dauert und ist eigentlich so im Arbeitsplan der Agentur nicht vorgesehen.

4.350 Ausländer sind gegenwärtig in Leipzig arbeitslos gemeldet. Das waren 136 weniger als im März 2017 und 51 weniger als im April 2016.

Und den schmelzenden Zahlen in der Arbeitsmarktreserve stehen steigende Zahlen im Arbeitsplatzangebot gegenüber.

Die Wirtschaft und die Verwaltung haben in den zurückliegenden vier Wochen 2.010 freie Stellen, das waren 156 mehr als im März und 31 weniger als vor einem Jahr, zur Besetzung gemeldet.

Pflegekräfte werden gesucht, Logistiker, aber es kündigt sich auch an, dass Sachsen seinen Lehrerbedarf nicht mehr decken kann.

Mit 6.163 gemeldeten Stellen hat man fast den Höchststand aus dem Sommer wieder erreicht. Absehbar werden im Sommer 2017 noch mehr freie Stellen gemeldet werden.

Denn da unten, beim jungen Nachwuchs, brennt längst die Luft. Auf 2.259 freie Ausbildungsplätze kamen im April nur noch 1.900 Bewerber, die Lücke zwischen Angebot und Bewerbern wird immer größer.

Natürlich rechnet Leonhardi auch für Mai mit weiter sinkenden Arbeitslosenzahlen. Beim augenblicklichen Tempo wird Leipzig ziemlich bald nur noch Arbeitslosenraten von 4 und 5 Prozent haben. Und es wird sich über jeden Zuwanderer freuen, der hier einen Job annimmt. Sonst gibt es ein Problem. Und das kaschiert man dann nicht mehr mit hübschen Meldungen über so rekordverdächtig niedrige Arbeitslosenquoten wie die 8,1 Prozent im April (Vormonat: 8,3 Prozent). Im April 2016 lag sie noch bei 9,3 Prozent.

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