Manchmal spielen auch Sachsens Statistiker den Schelm. Am Dienstag, 9. Mai, meldeten sie für das Jahr 2015 so Erstaunliches wie: „Arbeitsplatzgewinne in Meißen, Dresden und Zwickau“. Und Leipzig? Ist nicht Leipzig nun seit Jahren die Job-Lokomotive in Sachsen? Das Stichwort Mindestlohn fehlt in der Meldung. Statistiker sind manchmal Schelme. Sie sagen den Politikern nicht immer gleich dazu, wie Zahlen zu interpretieren sind.
Dabei hat man es natürlich mit eigentlich „alten“ Zahlen zu tun. Zahlen, die 2015 eine ganz andere Wirkung gehabt hätten. Denn am 1. Januar 2015 war ganz offiziell der Mindestlohn eingeführt worden und die Warnungen des einen oder anderen Wirtschaftsinstituts hingen in der Luft, die Einführung des Mindestlohns würde gerade im Osten Deutschlands zu massiven Arbeitsplatzverlusten führen.
Genau das aber ist nicht eingetreten.
Die Erwerbstätigenzahl sank zwar leicht von 2,017 Millionen auf 2,014 Millionen, nachdem sie zuvor Jahr um Jahr gewachsen war.
Aber was da im Detail passierte, das wird jetzt in der Statistik besser sichtbar.
„Um 0,2 Prozent bzw. rund 3.000 Personen verringerte sich die Zahl der Erwerbstätigen in Sachsen im Jahr 2015 gegenüber 2014. Trotzdem konnten die sächsischen Landkreise Meißen (+0,6 Prozent) und Zwickau (+0,3 Prozent) sowie die Stadt Dresden als einzige Kreisfreie Stadt in Sachsen (+0,5 Prozent) einen Zuwachs an Arbeitsplätzen vorweisen. Im Gegensatz dazu ging die Erwerbstätigenzahl in allen anderen Kreisen im Vergleich zu 2014 zurück, am stärksten in den Landkreisen Leipzig (-1,1 Prozent), Görlitz und Mittelsachsen (jeweils – 0,7 Prozent)“, stellen die Statistiker aus Kamenz fest.
Und dann kommen sie auf den Grund für diesen Scheinbaren Beschäftigungsrückgang zu sprechen: „Die Entwicklung in den sächsischen Kreisen vollzog sich in den einzelnen Personengruppen der Erwerbstätigen in unterschiedlicher Intensität in verschiedene Richtungen. Während sich die Zahl der Arbeitnehmer ohne marginal Beschäftigte in allen Kreisen erhöhte (Sachsen +1,4 Prozent), ging die Zahl der marginal Beschäftigten (dazu gehören geringfügig entlohnte Beschäftigte, kurzfristig Beschäftigte sowie Personen in Arbeitsgelegenheiten bzw. sogenannte Ein-Euro-Jobs) überall deutlich zurück.“
Und zwar für ganz Sachsen um satte 8,6 Prozent.
Die Arbeitgeber verwandelten also ganz unübersehbar viele marginale Beschäftigungen in vollwertige Jobs. Und für viele Sachsen, die bis dahin mit marginalen Jobs zufrieden sein mussten, ergab sich endlich die Gelegenheit, in eine vollbezahlte Stelle zu wechseln.
Und da wird dann deutlich, wo in Sachsen die Hochburgen der marginalen Beschäftigung waren: „Den stärksten Zugang an Arbeitnehmern ohne marginal Beschäftigte zeigte die Stadt Leipzig mit knapp drei Prozent bzw. 7.400 Personen mehr als 2014. Hier war aber auch mit -20,4 Prozent oder 7.800 Personen der höchste Rückgang bei der marginalen Erwerbstätigkeit festzustellen.“
Hier ist einer der Gründe dafür zu sehen, warum der Rückgang der Arbeitslosigkeit in Leipzig all die Jahre kaum Effekte für das Einkommensniveau und die Steuerbilanz hatte. Fast 40.000 Leipziger steckten in marginalen Beschäftigungen fest und hatten dabei Einkommen, die sie entweder weiter zu Aufstockern beim Jobcenter machten oder im Ergebnis kaum einen Unterschied zum ALG II ausmachten. Die unteren Einkommen steckten also – trotz Arbeit – im Keller fest und die Steuereinnahmen blieben deutlich hinter der Beschäftigungsentwicklung zurück.
Was auch ganz Sachsen irgendwie betraf – aber die meisten Regionen nicht so ausgeprägt wie Leipzig.
Die Statistiker dazu: „Der Anteil der marginal Beschäftigten an allen Erwerbstätigen sank 2015 in allen sächsischen Kreisen auf unter zehn Prozent. Am höchsten war er 2015 noch mit 9,9 Prozent im Landkreis Görlitz und mit jeweils 9,8 Prozent im Erzgebirgskreis und in den Landkreisen Bautzen und Leipzig. Absoluter Spitzenwert war hier die Stadt Chemnitz im Jahr 2006 mit einem Anteil von 17,3 Prozent.“
Die Wirtschaft hat im Grunde die Einführung des Mindestlohnes auch dazu genutzt, ein bislang marginal abgespeistes Arbeitnehmerpotenzial umzuschichten und damit den tatsächlichen Fachkräftebedarf in mehreren Branchen zu sichern. Eine unübersehbare Arbeitsmarktreserve, die auch 2016 noch wirksam war und die Sorgen um den anstehenden Fachkräftemangel in Sachsen erst einmal dämpfte. Aber allzu lange steht auch diese Reserve nicht mehr bereit.
Die komplette Meldung des Statistischen Landesamtes.
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer
In eigener Sache (Stand Mai 2017): 450 Freikäufer und weiter gehts
Keine Kommentare bisher