Manchmal machen einfache bunte Balken sichtbar, was sich in den Statistiken der Arbeitsagentur immer bestens versteckt. Zum Beispiel die ganze stumpfsinnige Sanktionspraxis der deutschen Jobcenter. Denn was macht eine Bürokratie, die nichts mehr zum Beißen hat? Sie verschafft sich mit ihren „Klienten“ ein Arbeitsalibi. Wer nicht spurt, bekommt das Existenzminimum gekürzt.
Eigentlich wäre der deutliche Rückgang der Arbeitslosigkeit seit 2010 ein guter Grund dafür gewesen, die Arbeit der Jobcenter zu ändern, sie wieder zu funktionsfähigen Vermittlungs- und Qualifizierungsagenturen zu machen … da haben wir jetzt aber etwas gesagt.
Aber dazu müssten sie deutlich selbstständiger agieren können. Was sie nicht können. Das ist die Krux einer militärisch geführten Behörde: Der Befehlsausführer ganz am Ende hat keine Handlungsspielräume. Wenn ihm der Vorgesetze Vorladungsquoten verpasst, muss er vorladen, egal, ob er dem „Kunden“ reale und menschenwürdige Beschäftigung anbieten kann, oder nicht.
Das „Hartz IV“-System ist die deutsche Perfektion einer sich selbst beschäftigenden Bürokratie.
Pech für alle, die hineingeraten. Sie werden zum Verwaltungsobjekt.
Die Aufmerksamen lernen schnell, dass das Beste, was sie tun können, eine sofortige Flucht ist – und die Suche nach irgendeiner Art Beschäftigung, die die Begegnung mit dem Jobcenter vermeiden hilft.
Der größte Effekt von „Hartz IV“ steht nicht in den Bilanzen der Jobcenter, sondern in den Einkommensbilanzen der Kommunen, solcher Kommunen wie Leipzig, wo sich Ober- und Unterbürgermeister wundern, dass die Armutsquote nicht sinkt, wo doch die Arbeitslosenrate so erstaunlich im Sinken begriffen ist.
So schafft man einen Niedriglohnsektor.
Pech für alle, die das nicht wollen. Sie werden zum Dauergast in Beratungsbüros, in denen sie nicht wirklich beraten werden. Didi Hallervordens Sketch „Auf dem Arbeitsamt“ hat das schon vor Jahren sinnfällig auf den Punkt gebracht. Nur dass ein Müllmann, der sich wie Didi verhält, wohl von zwei bulligen Jungs vom Wachdienst aus dem Büro geschleift worden wäre – so, wie das ja mittlerweile auch bei der Fluglinie „United Airlines“ vorgekommen ist: Hinter der aufgesetzten Service-Masche steckt im Grunde das Gegenteil: Die Betroffenen werden nicht mehr als vollberechtigte Menschen betrachtet, als Staatsbürger gar, die Respekt verdient haben.
Das Ergebnis dieser leerlaufenden Apparate?
Die Zahl der Jobcenter-Klienten sinkt zwar seit vier Jahren. Bis vor einem Jahr brachten die Jobcenter in Sachsen es trotzdem fertig, die Zahl der neu festgestellten Sanktionen sogar noch weiter zu steigern.
Man hat sich also mit inniger Liebe den verbliebenen, noch immer nicht in Arbeit gekommenen Klienten gewidmet, die Zahl der Vorladungen und Maßnahmen gesteigert – und wenn die Leute nicht pünktlich waren oder widerstrebten, eine Kürzung des ALG verhängt. Also des anerkannten Existenzminimums.
Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) hat es sogar aufs Komma genau ausgerechnet. Es ist ja nicht nur ein sächsisches Phänomen. In der ganzen Bundesrepublik haben die Jobcenter ihre Sanktionspraxis verschärft – ob auf Anweisung, ob aus Langeweile oder weil irgendwer eine Normerfüllung vorgegeben hat, es ist egal: Bekamen Betroffene im Jahr 2007 im Schnitt noch 1,73 Sanktionen pro Nase verpasst, so waren es im Spitzenjahr 2015 dann 2,35 Sanktionen. 2016 ging der Wert leicht auf 2,26 zurück. Vielleicht ein kleiner Nebeneffekt der Tatsache, dass der ehemalige Bundeswehroffizier Frank J. Weise nebenbei etwas Anderes zu tun hatte und so tun musste, als würde er das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) genauso auf Vordermann bringen wie die Arbeitsagentur. Obwohl er die Arbeitsagentur nur in einen reibungslos flutschenden Verwaltungsapparat verwandelt hat, ohne sie wirklich in irgendeiner Weise für die Betroffenen nützlicher oder gewinnbringender zu machen.
Dass er aus dem BAMF aus guten Gründen keine genauso flutschende Bürokratie machen konnte, ist mittlerweile ja bekannt. Nur wird das niemand Frank J. Weise zulasten legen.
Sachsen war in den vergangenen Jahren immer ganz vorn mit dabei, wenn es um das Verhängen von Sanktionen ging. Den Spitzenwert erreichte man auch hier im Jahr 2015 mit 2,68 neu festgestellten Sanktionen je betroffenen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (ELB). 2016 blieb man dann mit 2,52 verhängten Sanktionen pro Nase weiter in der Spitzengruppe. Nur in Thüringen und Berlin wurde mit 2,64 je Betroffenen noch emsiger sanktioniert.
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