Recht grob kann man aus den Berichten der Arbeitsagentur herauslesen, in welchen Branchen in Leipzig tatsächlich die neuen Arbeitsplätze entstehen. Wenn man es genauer wissen will, muss man sich – wie Jens Sommer-Ulrich und Peter Bischoff – in die Details der Agenturberichte hineinarbeiten. Was die beiden Mitarbeiter der Stadtverwaltung für den „Quartalsbericht 4/2016“ auch getan haben.
Sie haben richtig viel Mühe darauf verwendet, die „strukturellen und standortbedingten Wachstumspotenziale der Leipziger Wirtschaft“ zu ermitteln. Ihr wichtigstes Fazit nach vielen Formeln und Grafiken lautet: „Leipzig weist eine deutlich positive Standortkomponente auf. Ein Drittel des gesamten Beschäftigungswachstums ist auf ein überdurchschnittliches Branchenwachstum zurückzuführen.“
Was bedeutet: Die Stadt selbst als besonders schöner Standort hat ein Drittel des Beschäftigungszuwachses generiert.
Untersucht haben die beiden Autoren den Zeitraum 2008 bis 2015, haben Leipzig auch mit Dresden und Chemnitz verglichen.
Ganz ungewöhnlich ist das Leipziger Wachstum nicht, stellen die beiden Autoren fest: Die Hälfte ist durch das Gesamtwirtschaftwachstum der Bundesrepublik induziert. Aber einige Branchen wachsen sogar überdurchschnittlich – auch im Bundesvergleich.
Und eine Branche spielte in diesen acht Jahren eine besondere Rolle. Und das hat bislang noch keine Publikation der Leipziger Verwaltung derart deutlich gezeigt. Keine andere Stadt wurde in dieser Zeit so stark von Zeitarbeitsfirmen dominiert wie Leipzig. Mit 16.334 Arbeitnehmern in der Zeitarbeit hat Leipzig eine echte Ausnahmestellung.
Zum Vergleich: In Dresden sind nur 7.850 Menschen in der Arbeitnehmerüberlassung, in Chemnitz sind es 5.696.
Was nichts mit dem Leipziger Branchenmix zu tun hat, sondern mit den besonders hohen Erwartungen der Leipziger Politik an die Jobvermittlung in Jobcenter und Arbeitsagentur. Wer derart rigoros sanktioniert und die Drohkulisse für Arbeitsuchende aufrechterhält, der senkt logischerweise die Barriere massiv, die Arbeitsuchende daran hindert, auch bei einer Zeitarbeitsfirma anzuheuern.
Gelandet sind die Betroffenen letztlich alle in Branchen, die in Leipzig trotzdem wuchsen. Nicht weil sie so viele tolle Leiharbeiter bekamen, sondern weil sie in Leipzig sowieso besonders gute Standortbedingungen fanden.
Von den Zeitarbeitern landeten über 5.000 in der Metall- und Elektrobranche, über 4.000 im Bereich Verkehr, Logistik, Wachdienste, über 1.000 am Bau und über 1.000 auch in der Unternehmensorganisation. „Rent your secretary“ könnte das Motto lauten.
Aber Sommer-Ulrich und Bischoff haben auch ausgerechnet, welche Branchen gegenüber der Entwicklung im Bund deutlich stärker wuchsen, also ganz leipzig-typische Entwicklungen sichtbar machen.
Das Verarbeitende Gewerbe fällt dabei tatsächlich auf: Es hat prozentual mehr Arbeitsplätze geschaffen als im Bundesvergleich. Aber auf das zugrunde liegende Problem weisen die Autoren gesondert hin: Hat das Verarbeitende Gewerbe im Bund einen Anteil von 21,6 Prozent an allen Beschäftigten, so waren es in Leipzig 2015 nur 10,2 Prozent. Man wächst also von einem viel niedrigeren Sockel aus.
Wesentlich stärker zum Arbeitskräftezuwachs in Leipzig haben das Gesundheitswesen und die wirtschaftsnahe Dienstleistung beigetragen, beide mit fast 8.000 neuen Arbeitsplätzen in diesen acht Jahren.
Während zwei Branchen, die sonst immer als besondere Leipziger Wachstumsbranchen genannt werden, eher unterdurchschnittlich zulegten: das Gastgewerbe und „Verkehr und Lagerei“ mit rund 2.000 neuen Arbeitsplätzen.
Und dann gibt es sogar Branchen, die in diesem Zeitraum Arbeitsplätze abgebaut haben. Man glaubt es kaum. Aber es ist so. Im Baugewerbe gingen über 1.000 Arbeitsplätze verloren – ein Effekt, der erst 2016 wieder aufgefangen wurde. Klares Zeichen dafür, dass sowohl die freie Wirtschaft als auch Staat und Kommunen zu wenig gebaut haben. Man hat lieber gespart, als notwendige Investitionen anzugehen. Und die Branche selbst hat dann – siehe oben – auch lieber auf Zeitarbeiter gesetzt.
Der Hintergrund: Allein in Leipzig sind sämtliche Investitionspläne um fünf Jahre in die Zukunft verzerrt worden. Man könnte es auch einen geharnischten Investitionsstau nennen.
Und das hat, wie jeder weiß, immer direkt auch mit der Sparpolitik des Freistaats Sachsen zu tun. Der hat über Jahre nicht nur viel zu wenig Geld für Investitionen bereitgestellt, sondern auch selbst massiv Personal abgebaut. Was sich in der Tabelle der beiden Autoren ebenfalls bemerkbar macht. Im Bereich „Erziehung und Unterricht“ sind allein in Leipzig über 3.000 Arbeitsplätze verloren gegangen.
Die Staatsregierung hat sich mit ihrem perspektivlosen Sparprogramm so richtig hineingearbeitet in einen Arbeitsmarkt, der längst schon alle Zeichen der Knappheit aufweist. Diese Löcher, die eine wirklich schlecht beratene Landesregierung da gerissen hat, wird es sehr schwerfallen, wieder aufzufüllen. Erst recht, wenn der Beschäftigungsaufbau in der freien Wirtschaft so weitergeht. Dann verschärft sich nämlich der Wettbewerb um die klugen Köpfe weiter. Und der Freistaat mit seiner obrigkeitlichen Denkweise wird ganz schlechte Karten haben, seinen aufklaffenden Bedarf noch gedeckt zu bekommen.
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Weil es so wenig Fachkräfte gibt, bedarf es so vieler Zeitarbeiter. Die wegen der hohen Nachfrage auch exorbitante Löhne und exquisite Arbeitsbedingungen haben.