Eine kleine Frage schien der Leipziger Verwaltungsspitze dann doch sehr wichtig: Wie wichtig finden die Leipziger ein Gedenken an den 9. Oktober 1989? Wobei schon die Frage Verwirrung stiftet: Warum nur den 9. Oktober? Warum nicht die ganze Friedliche Revolution?
Ein wenig hat die Frage mit dem Denkmal zu tun, das Leipzigs Verwaltungsspitze unbedingt haben will – auch wenn es schon wieder oszilliert zwischen der Würdigung der Leipziger Ereignisse im Herbst 1989 und einer gewünschten „europäischen Dimension“.
Aber bei „Gedenken“ geht es eher um die seit 2009 etablierten Veranstaltungen jeweils am 9. Oktober auf dem Augustusplatz – in „Jubiläumsjahren“ stets verbunden mit künstlerischen Angeboten rund um den Ring – zuletzt 2014, zum 25-jährigen Jubiläum. Doch die Veranstaltungen 2015 und 2016 atmeten schon eine gewisse Gewöhnung. Die künstlerischen Vorführungen zündeten nicht mehr so, es wurde ein bisschen viel kommentiert. Die Inszenierungen sind klug, durchdacht – und trotzdem scheint die Sorge umzugehen, dass das Lichtfest so nicht mehr richtig funktioniert.
Andererseits ist es für den Veranstaltungsreigen in Leipzig etwas Besonderes. So etwas hat auch keine andere Großstadt zu bieten. Trotzdem nagt der Zweifel.
Also ließ die Verwaltung in der „Bürgerumfrage 2016“ die Leipziger auch fragen, für wie wichtig sie das „Gedenken an den 9. Oktober“ halten. Das Ergebnis ist durchaus durchwachsen, auch wenn die Statistiker der Stadt in ihrer Schnellauswertung formulieren: „Für über die Hälfte der Leizigerinnen und Leipziger ist das Gedenken an den 9. Oktober 1989 in Leipzig sehr wichtig bzw. eher wichtig …“
21 Prozent gaben an, dass es für sie sehr wichtig sei, 31 Prozent kreuzten „eher wichtig“ an – macht 52 Prozent. Das ist eine sehr knappe Mehrheit.
21 Prozent entschieden sich für eher bzw. sehr unwichtig, 27 Prozent zeigten sich unentschieden. Ist das nun ein „ja“ oder ist die Frage zu seltsam gestellt?
Denn das Wort Gedenken lässt an ganz andere Dinge denken als an ein fröhliches Erinnern, gar eine Feier. Man denkt an Gedenkfeier und Gedenkminute – Dinge, die in der Regel mit traurigen Ereignissen zusammenhängen. Man „gedenkt der Toten“ oder eines tragischen Ereignisses.
Und so assoziiert man mit der Frage auch eine eher traurige Erinnerung. Braucht der Herbst ‘89 so etwas?
Eigentlich nicht.
Aber nach einer Feier, einer Tradition, einem Fest hat die Verwaltung nicht gefragt. Wer immer sich diese Frage ausgedacht hat, muss ein seltsames Verhältnis zu diesem historischen Ereignis haben. Es kann gar nicht anders sein. Vielleicht, weil man die ganzen letzten Jahre auch so ratlos um die Frage eines „Freiheits- und Einheitsdenkmals“ herumgelaufen ist.
Wenn man einer Sache erst gedenken muss, dann droht sie ja schon vergessen zu werden, nicht mehr wichtig zu sein. Ist es das? Haben die Fragesteller das Gefühl, dass die Botschaft des 1989er Herbstes vergessen ist? Dann ist ihnen wirklich nicht mehr zu helfen.
Aber dann kann man die Antworten auch völlig anders interpretieren: Dann sind eine Menge Leipziger der Meinung, dass es gar kein Gedenken braucht, weil die Revolution lebt und gelebt wird und ihre Ideale erfüllt sind. Dann braucht es tatsächlich kein Gedenken und erst recht kein Denkmal.
Dann braucht es vielleicht ein Fest, eine Feier für diesen seltenen glücklichen Moment in der Geschichte, der das Heutige möglich gemacht hat. So wie die Franzosen den 14. Juli feiern als Nationalfeiertag. Die würden wahrscheinlich nicht mal auf den Gedanken kommen, so etwas „Gedenken“ zu nennen.
Ist es ein spezieller deutscher Hang zur Trauerklopsigkeit? Oder die amtliche Unfähigkeit, mal locker zu lassen und das Bedeutungsschwere aus der Sache herauszunehmen? Wo kämen wir Mitteleuropäer hin, wenn wir anfangen würden, ohne Schwermut zu feiern?
Es deutet Vieles darauf hin, dass man die Frage falsch formuliert hat und Antworten bekommen hat, die man zu nichts gebrauchen kann. Man hat auch ein bisschen konkreter gefragt, aber diesmal nicht nach Wichtigkeit, sondern nach Kenntnis. 89 Prozent der Leipziger kennen das Lichtfest. 65 Prozent kennen das Friedensgebet. 37 Prozent haben schon mal von der Rede zur Demokratie gehört.
Irgendjemand in der Verwaltung macht sich also Gedanken darüber, was man damit künftig anfängt, was man beibehält und was man möglicherweise ändert. Nur weiß man noch nicht, wohin sich die Sache entwickeln soll. Tragisch wäre es, wenn das Ganze jetzt ein trauerklopsiges Gedenken wird. Die Friedliche Revolution braucht kein Gedenken – es sei denn, uns erklärt jemand, dass sie friedlich entschlafen ist.
Was sie braucht, ist ein Fest.
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