Das Wort „Gerechtigkeit“ geht durchs Land. Der Aufschrei ist groß. Zeichen genug dafür, dass jene, die da schreien, nicht mal mehr begreifen, warum der Frust gewachsen ist im Land und warum immer mehr Wähler von einigen Leuten so richtig die Nase voll haben. Von Leuten, die jeden Maßstab verloren haben, was ihre Arbeit und ihr Honorar betrifft. Ein kleines großes Beispiel bringt Paul M. Schröder.

Ja, das ist der Mann vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ), der immer wieder die von der Bundesagentur für Arbeit gelieferten Zahlen auseinandernimmt, die Kosten der Jobcenter durchleuchtet, die Sanktionspraktiken hinterfragt und die mickrigen Unterhaltssätze.

Und da wird es spannend. Denn bei den Jobcentern und Arbeitsagenturen ist man ja felsenfest überzeugt davon, dass man selbst es ist, der die „Bedürftigkeit“ im Land verringert und die Menschen in Lohn und Arbeit bringt. Jeder Bericht strotzt von dieser Selbstbeweihräucherung, auch wenn die Statistiken nichts darüber verraten, was wirklich passiert ist an der Vermittlungsfront.

Da, wo es wirklich spannend wird, herrscht gähnendes Schweigen in den Berichten.

Aber da das Ganze immer noch eine Bundesbehörde ist, tauchen in den Berichten auch die Honorare der Chefetage auf. Also auch die des Vorstands, in dem Frank J. Weise einer von Dreien ist, der 2010 als großer Reformer der Arbeitsagentur auftauchte und für die auf Effizienz und Stückwerkphilosophie getrimmte Berichtspraxis von heute zuständig ist. Der Mann hat sich selbst gefeiert und wurde von etlichen Claqueuren auch so laut gefeiert, dass er dann 2015 auch gleich noch als Retter beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingeflogen wurde. Ob er tatsächlich die Prozesse in dieser Behörde verbessert hat, weiß niemand. Die Antragsbearbeitung dauert noch immer viele Monate. Und die hohe Politik interessiert sich nicht wirklich dafür, ob die Prozesse für die Antragsteller besser laufen. Man beschäftigt sich lieber mit einer Verschärfung der Regeln für Asylsuchende und verschärfter Abschiebung.

Aber zurück zu Weise, könnte man sagen.

Paul M. Schröder hat einmal genauer auf die Bezüge des BA-Vorstands in den Jahren 2005 bis 2017 geschaut.

Und was er aus den Zahlenwerken liest, kommentiert er trocken so: „,25 Prozent weniger‘.So könnte man es sehen. Zum Abschied des Vorstandsvorsitzenden Frank-J. Weise am 31. März 2017 wurden die Vorstandsbezüge im Haushalt 2017 der Bundesagentur für Arbeit (BA) um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr 2016 gekürzt. Das jedenfalls zeigt der Vergleich der veranschlagten Bezüge (Soll) für den Vorstand der BA in den Haushaltsjahren 2016 und 2017.“

Zuvor waren im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit mit Genehmigung  des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) noch satte 1,2 Millionen Euro für den dreiköpfigen Vorstand veranschlagt. Paul M. Schröder: „Ein wirklich vorzeigbarer Agenda-2010-Erfolg“.

Im BA-Haushalt 2017 sind dann „nur“ noch 900.000 Euro veranschlagt.

„Man kann es aber auch ganz anders sehen. Von 2005 bis 2014 stiegen die Bezüge des Vorsitzenden und der zwei weiteren Mitglieder des Vorstands der Bundesagentur  für Arbeit  (BA) um 90,1 Prozent – von 458.000 Euro auf etwa 871.000 Euro“, stellt der Statistikexperte fest. „Dieser Anstieg ergibt sich aus in den BA-Haushalten und BA-Geschäftsberichten veröffentlichten Daten. Selbst der ‚Verlust‘ von über 40 Arbeitsgemeinschaften (Jobcentern), an denen die Agenturen für Arbeit (Arbeitsagenturen) der Bundesagentur für Arbeit von 2005 bis 2011 beteiligt waren, bremste die ‚wunderbare Dynamik‘ des Anstiegs der Vorstandsbezüge nicht.“

Der Vorstand der Bundesbehörde hat also jedes Jahr ordentliche Aufschläge auf seine Bezüge bekommen. Man hat sich also ganz ähnlich wie eine deutsche Konzernspitze verhalten – nur dass die Bundesarbeitsagentur kein Konzern ist.

„Im Jahr 2015 sanken die Bezüge auf etwa 803.000 Euro, vermutlich wegen der dreieinhalb Monate, in denen der dritte Vorstandsposten unbesetzt blieb“, vermutet Schröder. „Für 2016 wurde dann im Haushalt der BA die Rekordsumme von 1,2 Millionen Euro (Soll) für Bezüge des Vorsitzenden und der zwei bzw. der geplanten drei weiteren Mitglieder des Vorstands der BA veranschlagt, ein Plus von 162 Prozent gegenüber den entsprechenden Ausgaben im Jahr 2005 (Ist). Im BA-Haushalt 2017 mit beschlossenen Veränderungen in der Zusammensetzung des Vorstands der BA wurden dann ‚nur noch‘ 900.000 Euro veranschlagt, 25 Prozent weniger als im Vorjahr, aber immer noch 96,5 Prozent mehr als im Jahr 2005 für Vorstandsbezüge ausgegeben wurden.“

Die Amtszeit des Vorsitzenden Frank-J. Weise endet am 31. März 2017. Am 1. April 2017 wird Detlef Scheele neuer Vorsitzender des Vorstands der BA. Die bisherige Hauptgeschäftsführerin des BdE (Bundesverband der Systemgastronomie), Valerie  Holsboer, wird, ebenfalls zum 1. April 2017, neues weiteres Vorstandsmitglied.

Aber sind die Vorstandsgehälter irgendwie an das gekoppelt, was Hartz-IV-Bezieher ausgezahlt bekommen, jene Personengruppe, die so gern mit Sanktionen überzogen wird, wenn sie den Forderungen des Jobcenters nicht nachkommt?

Ganz und gar nicht, stellt Paul M. Schröder fest.

„Die Regelsätze für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II-Hartz IV) sind von 2005 bis 2015 um lediglich 15,7 Prozent gestiegen und von 2005 bis 2017 um lediglich 18,6 Prozent.“ (Von anfangs 345 Euro im Monat auf nunmehr 409 Euro.)

Das war gerade mal so eine Art Inflationsausgleich, keine wirkliche Erhöhung der Grundsicherung.

Aber was sich der Vorstand der Arbeitsagentur monatlich gönnte – plus 96,5 Prozent im selben Zeitraum – hat mit Inflationsausgleich nicht mehr viel zu tun. Nach Schröders Berechnung stiegen die Bezüge jedes einzelnen Vorstandsmitglieds von 183.000 Euro im Jahr 2005 auf 348.000 im Jahr 2014 und werden 2017 wohl 360.000 Euro betragen. Das sind Welten, die sich ein Niedriglöhner, der in „Hartz IV“ landet, nicht mal mehr vorstellen kann.

Schröders Kommentar: „Die immer weitere Öffnung der Schere zwischen Reich und Arm spiegelt sich auch in der Gegenüberstellung von Vorstands- und ‚Kundendaten‘ wider.“

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