Bis zur endgรผltigen Verรถffentlichung der Ergebnisse aus der โBรผrgerumfrage 2016โ ist es noch ein wenig hin. Die wird es erst im Sommer geben. Aber erste Ergebnisse wurden am Montag, 27. Mรคrz, in einem Schnellbericht verรถffentlicht. Sozusagen als Bonbon fรผr den OBM. Oder wer immer sich darรผber freut, wenn die Lebenszufriedenheit der Leipziger auf historischem Hรถchststand ist.
Ist sie auch irgendwie. 79 Prozent der Befragten sind mit ihrem Leben zufrieden bzw. sehr zufrieden โ 24 Prozent mehr als 2006. Was ungefรคhr derselbe Wert ist wie 2014 (78 Prozent) und 2015 (79 Prozent). Wobei damals jeweils 13 Prozent โsehr gutโ angekreuzt haben. Die Unzufriedenheit lag bei 6 Prozent. Aber was heiรt es, wenn 66 Prozent der Befragten โzufriedenโ ankreuzen? Was heiรt das fรผr den Zustand einer Stadt?
Ist es eine umfassende Lebenszufriedenheit? Oder sind die Befragten einfach zufrieden mit ihrer materiellen Versorgung? Spricht daraus ein besonderes Leipziger Lebensgefรผhl? Oder ist es tatsรคchlich nur ein โIch kann nicht klagen?โ
Und: Warum steigt der Wert nicht weiter? Sollte es nicht der Job des OBM sein, dafรผr zu sorgen, dass alle Leipziger zufrieden sind?
Und: Was gehรถrt eigentlich dazu? Gesundheit, Familie, Kultur, Natur, saubere Straรen? Oder doch eher ein dickes Auto, ein Smartphone und ein fetter Fernseher?
Es ist nicht der einzige Punkt in der jรคhrlichen Bรผrgerumfrage, den man als Journalist immer skeptischer anschaut, je lรคnger man sich mit der Materie beschรคftigt.
Denn eines sagt dieser Wert ja ganz und gar nicht: Ob die Leipziger auch glรผcklich sind.
Vielleicht ist es sogar ein negativer Wert. Auch auf solche Gedanken kommt man. Denn was will man mit einer Stadtgesellschaft anfangen, die so rundum zufrieden ist? Sind die Leute tatsรคchlich so genรผgsam? Wollen sie nicht mehr? Haben die sich eingerichtet in den teilweise nach wie vor prekรคren Verhรคltnissen?
Denn wirklich reich wird nur ein ganz kleiner Teil der Leipziger. Auch dazu verriet die Schnellauswertung erste Zahlen.
Das persรถnliche Monatsnettoeinkommen stieg im Median von 1.254 auf 1.280 Euro.
Im Median, wohlgemerkt. Das ist nicht der Durchschnitt, sondern der Wert, bei dem die Hรคlfte der abgefragten Einkommen drรผber liegt, die andere Hรคlfte drunter. Einfach nur so festgestellt: Die Hรคlfte der Leipziger muss weiterhin mit weniger als 1.280 Euro im Monat รผber die Runden kommen.
Und drunter liegen vor allem Erwerbslose, die im Jahr 2016 augenscheinlich immer noch so schรคbige Einkommen hatten wie 2006 โ 672 Euro als persรถnliches Monatseinkommen, 700 Euro als Haushaltseinkommen. Augenscheinlich lebt keine Einkommensgruppe so oft einsam und als Single wie Arbeitslose.
Leipzig ist nach wie vor die Stadt mit den meisten Singlehaushalten in Sachsen. Und das hat mit den Einkommen zu tun. Das ist kein freiwilliger Zรถlibat. Und dann sollen die Leute zufrieden sein mit ihrem Leben?
Das fรคllt zumindest schwer zu glauben.
Genauso wenig, dass Selbststรคndige mit 1.448 Euro zufrieden sind, wenn die Hรคlfte von ihnen weniger als regelmรครiges Einkommen hat. Oder Arbeiter, die mit 1.430 Euro im Median auskommen mรผssen, wo doch selbst die Gewerkschaft sagt, dass man damit nicht mal eine ordentliche Rente bekommt.
Von ordentlichen Renten kรถnnen in Leipzig nur leitende und mittlere Angestellte und Beamte trรคumen. Die kommen immerhin auf einen Einkommensmedian von 2.337 bzw. 1.965 Euro. Die meisten Leipziger liegen deutlich drunter und sind darauf angewiesen, dass sie eine funktionierende Partnerschaft zustande kriegen, in der beide Elternteile Geld verdienen und die Logistik mit den Kindern trotzdem klappt.
Der Druck, sich eine bezahlte Arbeit zu suchen, ist in Leipzig hoch. 96 Prozent Paare mit Kindern sind erwerbstรคtig. Der Wert lag 2013 noch bei 90 Prozent. Die Devise lautet ziemlich eindeutig: Hauptsache einen Job, egal welchen.
Macht das zufrieden?
Zumindest sorgt es dafรผr, dass Paare mit Kindern รผber ein belastbares Familienbudget von 3.281 Euro verfรผgen kรถnnen.
Was den Blick auf die Alleinerziehenden lenkt, die in den letzten Jahren oft genug die Angeschmierten waren. Aber augenscheinlich ist das Angebot von Arbeitsplรคtzen auch fรผr sie besser geworden โ ablesbar am steigenden Haushaltseinkommen, das 2012 noch bei 1.283 Euro lag und 2016 dann die 1.675 Euro im Median erreichte.
Man wird dann augenscheinlich irgendwie โzufriedenโ โ aber der Wert der Zufriedenheit steigt irgendwie nicht weiter. โVielleicht steigt er ja auch aus ganz natรผrlichen Grรผnden nicht weiterโ, sagt Dr. Ruth Schmidt, die Leiterin des Amtes fรผr Statistik und Wahlen.
Aber man hรคngt ja an den alten Fragebรถgen, die man seit 1991 verwendet. So bekommt man jedes Jahr neue vergleichbare Werte. Nur wenn man genauer hinschaut, wird deutlich, dass 25 Jahre spรคter doch einige Fragen etwas anders klingen und verstanden werden kรถnnen.
Manchmal รคndert sich auch was an der Befragung.
Dazu kommen wir gleich an dieser Stelle.
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstรผtzer
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/03/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
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Vieles richtig. Aber ist es wirklich Aufgabe des Oberbรผrgermeisters dafรผr zu sorgen, dass alle zufrieden sind? โ Gewiss in vielen Fragen. Aber die eigentliche wird nicht gestellt, im Gegenteil. Fรผr alles wird die Politik oder โ bestenfalls noch die Gemeinschaft verantwortlich gemacht. Staat und Gesellschaft kรถnnen doch nur (und das sollen sie dann natรผrlich auch) die Voraussetzungen schaffen, die es dem Einzelnen ermรถglichen, aus ihrem Leben selbst etwas zu machen. Das Gesetz โ sagte einmal ein prominenter Soziologe โ garantiert die Mittagspause. Dafรผr, dass man dann dabei auch etwas essen kann, muss man schon selbst sorgen! Also: Zufriedeheit und gar Glรผck setzen immer die persรถnliche Anstrengung voraus. Das darf man jedenfalls nicht vergessen.
Dr. Peter Gutjahr-Lรถser