In Leipzig werden ja immer wieder die Jubelfanfaren geblasen: Keine Stadt ringsum baut seit Jahren derart viel Beschäftigung auf. Mehr Arbeitsplätze locken Zuwanderer an, die Stadt wächst. Und wird augenscheinlich immer attraktiver für Firmen, die sich hier niederlassen. Aber irgendetwas stimmt da nicht.
Etwa wenn das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen bei 57.004 Euro im Jahr 2014 herumdümpelte. Damit war Leipzig unter den 15 größten deutschen Städten das Schlusslicht. In Frankfurt lag das BIP pro Kopf sogar bei 98.042 Euro. BIP ist natürlich nicht gleich Einkommen. 16.542 Euro Einkommen hatten die Leipziger Haushalte im Durchschnitt 2014, die Düsseldorfer kamen auf 24.128. Immer mitbedacht: im Durchschnitt. Da sind Beamte, Facharbeiter, Rentner und Arbeitslose mit dabei.
Man erwartet es fast – und in Lars Kreymanns Beitrag zum „Vergleich der 15 größten deutschen Städte“ im neuen Quartalsbericht ist es auch zu lesen: Eine Stadt, in der die Einkommen derart niedrig sind, muss auch eine hohe Armutsquote haben. Hat Leipzig auch: 25,1 Prozent der Leipziger Einwohner sind armutsgefährdet. Das ist zwar nicht mehr wie 2013 der Spitzenwert unter den Großstädten. Mittlerweile wurde Leipzig von Duisburg und Dortmund überholt.
Aber der Wert hat sich – trotz Bevölkerungswachstum – nicht geändert.
Ein klarer Fingerzeig darauf, dass Leipzig nach wie vor eine Stadt ist, die von Niedriglöhnen dominiert ist. Leipzig bietet zwar – für den Osten – sehr viele Arbeitsplätze an. Aber in der Stadt ist (auch im Gefolge der Agenda 2010) etwas passiert, was es so in keiner vergleichbaren Großstadt gibt.
Das wird in einem Beitrag von Jens Sommer-Ulrich und Peter Bischoff deutlich. Der eine arbeitet im Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt, der andere im Referat Beschäftigungspolitik. Beides gehört ja zwangsläufig zusammen. Und zumindest hofft Leipzigs Verwaltung, die Sache mit dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaftsentwicklung irgendwie steuern zu können, wenn sie nur die wichtigsten Parameter dazu kennt und eine Frage beantworten kann: Was bringt Unternehmen dazu, sich in Leipzig anzusiedeln und hier Arbeitsplätze zu schaffen?
Die Antwort der letzten Jahre hieß – leider und tragischerweise: Weil es hier so viele billige, aber hochqualifizierte Arbeitskräfte gibt.
Die beiden Autoren haben auch drei bunte Grafiken gemalt zur Struktur und Dynamik der sv-pflichtig Beschäftigten in Leipzig, Dresden und Chemnitz. Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass in allen drei Städten ähnliche Grundbedingungen herrschen. Aber das ist nicht der Fall. In keiner Stadt spielt die Arbeitnehmerüberlassung eine derart wichtige Rolle wie in Leipzig. Hier wurden zwischen 2008 und 2015 die meisten Arbeitsplätze „geschaffen“.
Wobei das Wort „geschaffen“ eher verwirrt, denn die Zeitarbeitsfirmen vermitteln ja die Leute nur weiter in reelle Branchen – die meisten in die Metall- und Elektroindustrie, gefolgt von „Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit“. Ein Phänomen, das immer wieder benannt wird, wenn über das Leipziger Jobcenter und seine klägliche Rolle in der Arbeitsbeschaffung berichtet wird: Quasi haben sich die agilen Zeitarbeitsfirmen regelrecht an die Stelle der einstigen Arbeitsagentur als Arbeitsvermittler gesetzt. Und zwar deutlich stärker als in jeder anderen Stadt Sachsens. 16.334 Leipziger waren 2015 in der Zeitarbeit beschäftigt. In Dresden waren es nur 7.850.
Dahinter wird auch deutlich, wie sehr Leipzig zu einer Dienstleistungsstadt geworden ist – nicht nur bei wirtschaftsnahen Dienstleistungen (22.134 Beschäftigte) oder freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen (24.027 Beschäftigte). Verkehr und Lagerei spielen eine sachsenweite Ausnahmerolle mit 14.974 Beschäftigten. Das Gesundheitswesen beschäftigte 19.585 Menschen, die Metall- und Elektroindustrie immerhin 21.210.
Die Autoren weisen sogar explizit auf die sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen hin, denn zu denen gehören auch die „Callcenter“, wo allein rund 2.500 Jobs entstanden sind. Was eben dazu führt, dass in Leipzig 4,5 Mal so viele Menschen im Callcenter arbeiten wie im Bundesdurchschnitt.
Leipzig ist also zu einer regelrechten Dienstleistungsstadt mit vielen Facetten geworden – nur die Bezahlung liegt im Vergleich der Großstädte am unteren Ende. Die Leute finden zwar relativ leicht eine Arbeitsstelle, aber sie werden niedriger bezahlt als selbst in den Ruhrgebietsstädten. Was dann die Problem-Melange von Leipzig ergibt. Die Stadt boomt zwar kräftig, der Büromarkt ist ausgereizt, weil hunderte Dienstleister die einst im Six-Pack hochgezogenen Bürogebäude bezogen haben. Dazu gehört auch die kräftig wachsende Branche „Information und Kommunikation“ (14.328 Beschäftigte). Aber die Durchschnittseinkommen bleiben eher im Mittelmaß. Und für ein Viertel der Leipziger bedeuten die Einkommen nach wie vor ein Leben unter prekärsten Verhältnissen. Sie leiden unter einer Stadt, in der die Preise und Mieten steigen.
Und da hilft es auch nichts, die Armutsgefährdungsquote anhand der Leipziger Zahlen extra zu berechnen. Nur ein kleiner Teil der täglichen Ausgaben ist in Leipzig geringer als im Bundesdurchschnitt. Im Grunde betrifft es nur noch die Mieten.
Was in der Untersuchung von Sommer-Ulrich und Bischoff eben auch heißt: die Standortkomponente kommt bei der Beschäftigungsentwicklung in Leipzig stärker zum Tragen als in Chemnitz und Dresden. Grund ist das Fehlen wichtiger Wirtschaftszweige, die selbst für eigene selbsttragende Entwicklung sorgen. Leipzig wird von Branchen mit eher geringer Wertschöpfung dominiert – aber die haben sich zwischen 2008 und 2015 deutlich stärker entwickelt als im Bundesvergleich. Was möglicherweise mit den guten Rahmenbedingungen (niedrige Mieten, niedrige Einkommen, hohes Qualifikationsniveau) zu tun hat. So weit gehen die Autoren zwar nicht.
Aber die Vermutung liegt nahe. Was man in der Stadtpolitik zumindest wissen muss. Es ist ein Irrweg zu glauben, diesen neuen Erwerbstätigen immerfort Kostensteigerungen aufladen zu können, wie das im ÖPNV gern gemacht wird. Ein Umdenken in der Mobilität ist fällig.
Also geht’s im nächsten Beitrag um Mobilität.
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