Ulrich Hörning, Bürgermeister für Allgemeine Verwaltung der Stadt Leipzig, hat sich etwas vorgenommen. „Bis Jahresende werde ich alle Stadtbezirke und Ortschaften besucht haben, Menschen und Bedarfe, ganz einfach die Form der gelebten lokalen Demokratie vor Ort kenngelernt haben“, sagt Hörning. Und in der Tasche nimmt er den am Dienstag, 7. März, erschienenen neuen „Ortsteilkatalog 2016“ mit.
„Der Ortsteilkatalog ist ein wertvolles Material. Wir wollen ihn in die Diskussion vor Ort bringen. Er ist eine tolle Arbeitsunterlage und unterstreicht das besondere Potenzial, aber auch die Herausforderungen jedes einzelnen Stadt- und Ortsteils“, sagt Hörning. Es ist der zwölfte Katalog seiner Art. Aller zwei Jahre erscheint einer, der die zurückliegenden zwei Jahre mit umfassenden Zahlen für jeden einzelnen Ortsteil übersichtlich aufbereitet.
Manchmal korrigieren die Zahlen so einige Vorurteile, die man über einzelne Leipziger Ortsteile hat, stellte auch Ruth Schmidt, Leiterin des Amtes für Statistik und Wahlen, bei der Gelegenheit fest. Denn auch wenn die Zahlen nun schon so ein, zwei Jahre auf dem Buckel haben, zeigen sie eben doch, woraus so ein Ortsteil wirklich besteht – wie viele Kinder und Senioren da leben, wie viele Arbeitslose, Straftaten und Kraftfahrzeuge es gibt, wie viele Geburten, Handwerksbetriebe, Neubauten, Kitas und Schulen.
Zahlen sind zwar interpretierbar – aber unbestechlich. Fake News haben im Amt für Statistik und Wahlen keine Chance. Hier arbeiten Leute, denen das dumme Gerede vom postfaktischen Zeitalter ganz und gar nichts sagt – außer dass da draußen eine Menge Windbeutel herumlaufen, die mit Lügen Politik machen wollen.
Mit Lügen kann man aber keine funktionierende Politik machen. Das werden all diese Sitzenbleiber mit und ohne Doktortitel nie begreifen. Dagegen wehrt sich schon etwas, was man schlicht als Realität bezeichnen kann. Die Welt, wie sie ist. Wer sie glaubt, seinen eigenen unfaktischen Vorstellungen davon, wie sie sein soll, anpassen zu können, der scheitert. Zwangsläufig. Die Frage ist nur: Wie viel Schaden wird er damit anrichten?
Denn wer die Fakten ignoriert (und Donald Trump in Washington ist beileibe nicht der Einzige), der arbeitet permanent gegen die Wirklichkeit an. Der gibt das Geld an der falschen Stelle aus, schädigt lebendige Prozesse, unterlässt die wichtigsten Investitionen und baut dafür das Falsche. Und vor allem sorgt er für wachsende Frustration bei den Betroffenen.
Was auch in einer kleinen Pressekonferenz mit eigentlich recht zurückhaltenden Journalisten spürbar wird, wenn sich in den Fragen ein über Jahre gewachsener Frust bemerkbar macht. Da hat man alle diese Ortsteilkataloge mit hunderten farbiger Grafiken, wie sich jeder Ortsteil verändert – aber die ableitbaren Entscheidungen der Stadt bleiben aus, werden verzögert. Wie beim Nahverkehr, bei der Nahversorgung, beim Wohnungsbau, bei Schulen, Kitas … Alles Themen, mit denen sich auch die Stadtbezirksbeiräte und Ortschaftsräte beschäftigen. Es ist ein guter Einfall, wenn Ulrich Hörning den neuen Katalog mitnimmt und mit den Leuten in den gewählten Gremien auf Grundlage der Zahlen spricht. Manche werden dort längst bekannt sein.
„Die Zahlen sind ja nicht neu“, sagt Ruth Schmidt. „Die werden ja bei uns immer wieder fortgeschrieben.“
Trotzdem, so bestätigt Martin Steinert, der die Redaktion des Ortsteilkatalogs übernommen hat, merke man auch am Servicetelefon des Statistikamtes, wie wichtig solche Zusammenstellungen sind und wie sehr sie gerade anrufenden Personen und Unternehmen helfen, wenn es um Investitions-, Standort- oder auch Wohnungsentscheidungen geht.
„Wir sprechen keine Empfehlungen aus“, sagt Ruth Schmidt. „Aber den Meisten ist mit den Indikatoren, die wir liefern können, schon richtig geholfen.“ Und da es zu jedem Stadtbezirk und zu jedem Ortsteil ein ausführliches Porträt in Zahlen gibt, kann es so eine Hilfe für jeden Ortsteil geben. Die Zahlen verraten natürlich auch, ob der Ortsteil im Aufwind ist, ob die Bevölkerung wächst, die Geburten zunehmen und emsig gebaut wird.
Wobei das in ganz Leipzig mittlerweile so nicht mehr das Thema ist. Eher muss man fragen: Wer wächst gerade am schnellsten? Wo gibt es einen besonders starken Wachstumsschub? Wo wird es langsam eng mit Wohnung, Kita-Platz, Miete?
Aber dabei belässt es der „Ortsteilkatalog“ schon seit ein paar Jahren nicht mehr. Denn wenn man alle Daten auf Ortsteilebene hat, dann kann man sie auch wieder in große Grafiken für die ganze Stadt packen und die ganze Stadt Leipzig quasi als bunten Kuchen malen, der thematisch jedes einzelne wichtige Thema bündelt. Diese Grafiken findet man – mit den zugehörigen Tabellen – im Anhang des Katalogs. Und schon die unterschiedlich stark eingefärbten Flächen zeigen, wie unterschiedlich die Stadt sich entwickelt. Das beginnt bei der Einwohnerdichte, bei der einige Ortsteile regelrecht auffallen, weil sie mit 13.605 Einwohnern wie Neustadt-Neuschönefeld je Quadratkilometer oder 12.321 in Gohlis-Mitte um ein Vielfaches über dem Stadtdurchschnitt liegen. Der Durchschnitt liegt bei 1.907. Da gibt es auch Ortsteile mit jeder Menge Grün und Landwirtschaft – wie Hartmannsdorf-Knautnaundorf mit 87 Einwohnern je Quadratkilometer. Gerade diese großen bunten Karten zeigen, wie unterschiedlich das Leben in Leipzig ist: dicht gepackt in der Mitte, ländlich zerstreut am Rand.
Aber man sieht auch, wie sehr dann eben die Interessen auf Ortsteilebene auseinandergehen. Und man ahnt nur, was das mit Infrastrukturen zu tun hat. Die Verkehrsmittelnutzung ist ja abgebildet bei jedem einzelnen Ortsteil. Punktgenau können die Planer sehen, wo es augenscheinlich an Radwegen und ÖPNV-Anschlüssen fehlt. Das Murren in der Nahverkehrspolitik kommt ja nicht von ungefähr. Und ist umso berechtigter, gerade weil es diese Ortsteilkataloge gibt.
Manche Dezernate benutzen sie schon emsig – etwa bei Schul- und Kita-Planung. Andere scheinen sich schwerzutun, die Fakten zu akzeptieren und daraus belastbare Strategien zu entwickeln. Leipzig ist eine Stadt, die man auf Grundlage einer sehr gut bestückten Datenlage regieren kann. Und der „Ortsteilkatalog“ hält die Jahre 2014/2015 (2016) sehr eindrucksvoll und punktgenau fest. Und keiner kann sagen, er habe das nicht wissen können. Egal, ob Lärmentwicklung oder massives Bevölkerungswachstum, alles steht drin. Bis hin zu den grafisch dargestellten Abweichungen vom Stadtdurchschnitt. Denn die Abweichungen machen deutlich, wie hoch der Handlungsdruck in einzelnen Stadtgebieten ist – ob nun noch mehr Kitas und Schulen gebraucht werden oder mehr Altenheime und Pflegedienste oder bessere Radwege. Aber auch das sind nur Momentaufnahmen. Denn mittlerweile haben 59 von 63 Ortsteilen einen positiven Wanderungssaldo, sind also direkt vom gesamtstädtischen Wachstum erfasst. Das sind zwei mehr als noch 2013. Nur draußen in Thekla und Althen-Kleinpösna will das Wachstum nicht so recht ankommen.
Aber auch das kann sich im nächsten Ortsteilkatalog schon geändert haben. Denn die Ursachen, die das Leipziger Wachstum bedingen, sind alle noch am Wirken. Der Handlungsdruck wächst.
Der Ortsteilkatalog ist für 25 Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) erhältlich bei der Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, 04092 Leipzig. Direktbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, Burgplatz 1, Stadthaus, Zimmer 228. Er ist außerdem im Internet unter statistik.leipzig.de unter „Veröffentlichungen“ einsehbar. Alle Ortsteildaten sind zudem im Leipzig-Informationssystem im Internet zu finden: statistik.leipzig.de
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/03/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Keine Kommentare bisher