Wir wissen nicht, was Martin Schulz am Ende tatsรคchlich an echten Reformen auf den Tisch packen wird. Das, womit er jetzt schon als โ€žHartz-IV-Reformerโ€œ gefeiert wird, ist ein Witz und geht an der Realitรคt der Betroffenen vรถllig vorbei. Kein Wunder, wenn Wรคhler in der Bundesrepublik zunehmend das Gefรผhl haben, dass die maรŸgeblichen Politiker in einer Blase leben.

รœbrigens nicht nur die in Berlin oder Brรผssel, in Regierungskoalitionen und Landesregierungen. Das Problem reicht bis hinunter in die Kommunen. Als wรผrden, wenn Menschen in Wahlรคmter gelangen, einfach alle Verbindungen zur Realitรคt gekappt und wรผrde eine dicke Mauer aus Expertisen, Gutachten und Verwaltungsvorschriften errichtet, die nur einen Zweck hat: Die Interessen all jener Menschen abzublocken, die zu den sozial Schwachen in diesem Land gehรถren.

Davon erzรคhlt auch der โ€žHalbjahresbericht zur Zielerreichungโ€œ des Jobcenters Leipzig, der die verordnete Gnadenlosigkeit in Zahlen presst. Das passiert auf eine scheinbar ganz harmlose Weise und augenscheinlich verursacht das im 70-kรถpfigen Ratsgremium nicht mal ein kleines Erschrecken.

Denn Berichte erzรคhlen zwar scheinbar von โ€žgelungenenโ€œ Integrationen und โ€žVerringerung der Hilfebedรผrftigkeitโ€œ. Aber schon dieser ganz und gar nicht menschenfreundliche Topos wird definiert als: โ€žDie Verringerung der Hilfebedรผrftigkeit wird an der Summe der Ausgaben fรผr Leistungen zum Lebensunterhalt (LLU) gemessen. Dazu gehรถren das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld.โ€œ

Wรผrden die Bearbeiter dieses Berichts noch einigermaรŸen logisch denken, wรผrden sie an dieser Stelle aussteigen: Man kann doch die Verringerung der Hilfsbedรผrftigkeit nicht an der Hรถhe es aufgewendeten Geldes messen. Das sagt doch รผberhaupt nichts aus. Bestenfalls, wie gut die Sachbearbeiter darin sind, den von ihnen Betreuen die Gelder zu kรผrzen und โ€žLeistungenโ€œ abzuerkennen.

Das Wort โ€žSanktionenโ€œ kommt รผbrigens im ganzen Bericht nicht vor.

Die Leser dieses Berichtes erfahren also gar nichts รผber die in Leipzig tatsรคchlich existierende Hilfebedรผrftigkeit. Und auch nichts รผber den Geldbedarf der Betroffenen.

โ€žIm ersten Halbjahr lagen die Ausgaben bei allen Kunden um 5,9 % unter dem Erwartungswertโ€œ, heiรŸt es im Halbjahresbericht, der im Oktober vorgelegt wurde und dem Leipziger Stadtrat eine fast komplette Zielerreichung in fast allen Punkten suggerierte. Man hat tatsรคchlich geschafft, weniger Geld fรผr die Hilfsbedรผrftigen auszugeben als geplant. โ€žEs wurden bisher 88,034 Mio. Euro an Leistungen gezahlt. Die Ausgaben liegen damit 5,56 Mio. Euro unter dem Erwartungswert im Juni 2016. Das gute Ergebnis konnte unter anderem durch die erfolgreichen Integrationen und den rรผcklรคufigen Bestand an erwerbsfรคhigen  Leistungsberechtigten  (ELB), trotz der steigenden Zugรคnge von Flรผchtlingen und Asylberechtigten, erreicht werden.โ€œ

Was natรผrlich Unfug ist. Die Schwindelei mit den โ€žIntegrationenโ€œ nimmt Paul M. Schrรถder vom BIAJ ja regelmรครŸig auseinander. Um einmal aus einem Artikel dazu aus dem September zu zitieren: โ€žIn Sachsen gab es 2015 im Schnitt 271.132 erwerbsfรคhige Leistungsbezieher. Davon waren 212.805 Langzeitbezieher, also satte 73 Prozent, die in der Regel รผber Jahre in der Obhut der Jobcenter sind und sich einer zunehmenden Zahl von Sanktionen erfreuen, die lรคngst die Zahl der โ€šIntegrationenโ€˜ รผberschritten haben. Doch โ€šbedarfsdeckende Integrationenโ€˜ gab es fรผr diese Gruppe nur 13.713 Stรผck.โ€œ

Langzeitbezieher sind also regelrecht angemeiert. Das sind โ€“ jeder kann es nachrechnen โ€“ ganze 6 Prozent dieser Betroffenen, die tatsรคchlich โ€“ bedarfsdeckend โ€“ wieder in den Arbeitsmarkt integriert wurden.

Paul M. Schrรถder: โ€žAls โ€šbedarfsdeckendโ€˜ gilt eine โ€šIntegrationโ€˜, wenn ein erwerbsfรคhiger Leistungsberechtigter bzw. eine erwerbsfรคhige Leistungsberechtigte (ELB) drei Monate nach einer โ€šIntegrationโ€˜ weder Arbeitslosengeld II noch Sozialgeld bezieht, unabhรคngig davon, ob dies aus dem Einkommen aus der โ€šIntegrationโ€˜ resultiert. Lediglich 179.000 der 517.000 โ€šbedarfsdeckenden Integrationenโ€˜ waren โ€šIntegrationenโ€˜ Langzeitleistungsbeziehender (LZB).โ€œ

Mit Betonung auf โ€žunabhรคngig davon, ob dies aus dem Einkommen aus der โ€šIntegrationโ€˜ resultiertโ€œ. Denn auch das fehlt in der bunten Wasserstandsmeldung des Jobcenters: Wie die Bedรผrftigen eigentlich wieder in Arbeit kommen. Denn das wird nicht erfasst. Man hat zwar einen stringent aufgebauten Apparat, der die Sachbearbeiterinnen und die Betreuten wie die Hamster am Laufen hรคlt und jede einzelne โ€žMaรŸnahmeโ€œ in Abrechnungspunkte verwandelt โ€“ aber von einer gut organisierten Vermittlung in Arbeit berichtet kein einziger Jobcenter-Kunde. Dafรผr von stapelweise Verpflichtungen, Bewerbungen zu schreiben, gesteigert durch die amtlichen Vorgaben, wo die Betroffenen alles vorstellig werden mรผssen โ€“ darunter die รผbelsten Stellenangebote, Jobs, die aufgrund von Gesundheitszustand und Qualifikation รผberhaupt nicht passen, oder die reineweg zur Schikane gewordenen Vorstellungsgesprรคche bei den Leipziger Beschรคftigungsbetrieben wie dem Eigenbetrieb Engelsdorf, wo man รผber Basteln, Ein-Euro-Jobs und Zeittotschlagen nicht hinauskommt.

Wer das weiรŸ, der schaut sich die Zahlen aus dem Bericht sehr skeptisch an. Auch so eine Zahl, die wie ein Olympiasieg verkรผndet wird: โ€žIm ersten Halbjahr 2016 sollte der Prognosewert von 93,589 Mio. Euro fรผr alle Kunden mรถglichst nicht รผberschritten werden. Bisher wurden insgesamt 88,034 Mio. Euro an LLU ausgezahlt. Gegenรผber dem Erwartungswert entspricht das Minderausgaben in Hรถhe von 5,6 Mio. Euro. Die Ausgaben haben sich gegenรผber dem Vorjahresmonat um 2,83 Mio. Euro verringert. Auch die Ausgaben  an LLU fรผr alle Kunden ohne Asyl liegen im Juni 2016 mit 80,795 Mio. Euro unter dem  Prognosewert von 84,311 Mio. Euro (Minderausgaben in Hรถhe von 3,5 Mio. Euro).โ€œ

LLH sind die Leistungen fรผr den Lebensunterhalt, das Geld, das den Bedรผrftigen zur Sicherung ihres Lebens zusteht, das aber immer wieder systematisch gekรผrzt wird, wenn die Betroffenen eine der Vorgaben ihrer Sachbearbeiter nicht erfรผllen. Was sich dann โ€žSanktionenโ€œ nennt.

Da der Bericht mit lauter solchen Zielerreichungsmarken besetzt ist, รผbersieht man vรถllig, dass eine Berichterstattung รผber die betroffenen Menschen vรถllig fehlt. Man erfรคhrt nicht wirklich, ob die integrierten Personen tatsรคchlich in einer ordentlich bezahlten Vollzeitstelle zurรผckgekehrt sind. Man erfรคhrt auch nicht, wohin die Leistungsbezieher gegangen sind, die aus der Statistik verschwunden sind.

โ€žDie Zahl der LZB hat sich im ersten Halbjahr bereits deutlich verringert. Gegenรผber dem Zielwert fรผr Juni 2016 konnte die Anzahl um 3,1 % verringert werden. Das sind 1.071 LZB weniger als der Zielwert vorgab. Die Zahl der LZB hat sich im Vergleich zum Vorjahresmonat von 35.735 um 1.982 auf 33.753 verringert.โ€œ

Dass man die Betreuten als eine Art Rohstoff zur effizienten Bearbeitung betrachtet, macht die Kategorie โ€žMonitoring: Aktivierung je Kunde innerhalb von 24 Monaten steigernโ€œ deutlich. Das erinnert schon an die Arbeitsbedingungen in einigen modernen Unternehmen, in denen jeder Schritt der Angestellten รผberwacht und kontrolliert wird. Man ahnt nur, in welchem engen Handlungskorsett die Sachbearbeiterinnen stecken, wenn sie ihre Betreuten nach โ€žProfillagenโ€œ bearbeiten mรผssten. Hier steckt der ganze Neoliberalismus des Hartz-IV-Konzepts in Reinkultur โ€“ und die Verwandlung von Menschen mit unterschiedlichsten Qualifikationen, Handicaps, Wรผnschen und Problemen in Profilwerkstoffe: Wie Erbsen und Mรถhren werden die Betreuten in Profillagen einsortiert und entsprechend der Profillagen mit โ€žMaรŸnahmenโ€œ versorgt. Oder besser: In die MaรŸnahmen gezwungen. Denn wenn sie der Weisung nicht folgen, werden ihnen die Leistungen gekรผrzt.

Dass das Meiste davon reine Beschรคftigungstherapie ist, merkt der Bericht natรผrlich nicht an.

Erst weiter unten erfรคhrt man, dass im Schnitt jeden Monat zwischen 943 und 1.399 erwerbsfรคhige Leistungsberechtigte tatsรคchlich in eine Erwerbstรคtigkeit vermittelt werden. Zwischen 40 und 60 Prozent haben den Job auch noch nach drei Monaten. Selbst das mรผsste die Zahl der Leistungsbezieher รผbers Jahr um 5.000 bis 6.000 sinken lassen, wenn die ruhmreiche Geschichte tatsรคchlich genau so funktioniert. Stattdessen sind es nur 1.900. Wo liegt der Fehler? Es kommen immer wieder neue Leistungsbezieher dazu โ€“ junge Menschen die ihre Berufskarriere in โ€žHartz IVโ€œ beginnen, aber auch Erwerbstรคtige, die mit der Kรผndigung sofort wieder in โ€žHartz IVโ€œ landen โ€“ oder eben โ€žRรผckkehrerโ€œ, die aus einem so erfolgreich vermittelten prekรคren Job gleich wieder in die behutsamen Arme des Jobcenters zurรผckkehren.

Die ganze Berichterstattung kaschiert nur, wie unwirksam das System der Jobcenter tatsรคchlich ist. Und es kaschiert, wie sehr diese Gebilde mittlerweile mit der eigenen Selbstverwaltung beschรคftigt sind. Das ist nรคmlich lรคngst ihre Hauptaufgabe.

Dazu kommen wir gleich an dieser Stelle.

Der Jobcenter-Halbjahresbericht, Herbst 2016.

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Der Unterpunkt โ€œProzessqualitรคtโ€ ist eine Selbstbeweihrรคucherung 1. Ranges.
Man gibt sich mit 80% zufrieden und bemisst daran, ob man sein Ziel erreicht hat.
Da anscheinend knapp รผber 80% (im Durchschnitt!) festgestellt wurden, kommt man nun auf eine Planรผbererfรผllung. Wow!

Im รœbrigen sind 15 Arbeitstage auch 3 Wochen; das รผberliest sich leicht.

Und der Begriff โ€œZielerreichungโ€ zeugt von schlechtem und unkreativem Deutsch.

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