Heute ist sozusagen der Tag der Arbeitsmarkt-Zahlen. Das ist mehr oder weniger Zufall, aber das Thema drängt sich immer mehr auf, auch nach dem völlig unbegründeten Jubel des CDU-Arbeitsmarkt-Experten und Landtagsabgeordneten Alexander Krauß. Denn wer nicht einmal versucht, die Gründe für die Beschäftigungsentwicklung zu begreifen – wie will der eigentlich Wirtschaftspolitik machen? Klafft da nicht ein Loch?

Das geht nicht nur der CDU in Sachsen so, dass sie der festen Überzeugung ist, man müsse sich nur eifrig am Rednerpult der Wirtschaftsverbände einfinden, schon mache man eine prima Wirtschaftspolitik.

Die Wirklichkeit aber sieht anders aus: Bei so ziemlich allen zentralen politischen Fragen läuft die sächsische Regierungspolitik zur Entwicklung im realen Leben völlig konträr.

Das beginnt bei der Demografie-Politik, seit den Zeiten Georg Milbradts als Ministerpräsident eigentlich ein zentrales Thema der CDU. Damals reiste Milbradt persönlich mit großen Demografie-Konferenzen durchs Land. Mit seinem Abgang aber wurde es stiller um das Thema, denn das, was Milbradt eigentlich zu suchen versprochen hatte, ward nicht gefunden: ein Lösungsansatz für das Bündel demografischer Probleme in Sachsen. Die eigentlich keine Probleme sind. Aber zu Arbeitsfeldern werden diese seit 2000 sichtbar gewordenen Entwicklungen nur, wenn man sie versteht und vor allem sinnvoll reagiert.

Das Hauptthema der demografischen Entwicklung ist übrigens nicht die Überalterung in Sachsen, wie meist suggeriert wird, sondern es ist die massive Abwanderung der jungen Bevölkerung aus allen ländlichen Regionen des Landes. Wir nennen es Metropolisierung, andere nennen das dann Schwarmstädte.

Beides hat dieselben Gründe: einerseits die systematische Destrukturierung der ländlichen Räume. Statt neue Ideen für Schulen, ärztliche Versorgung, Verwaltung, Polizei und ÖPNV zu entwickeln (alles Themen, die seit zehn Jahren offenkundig sind), hat man mit der FDP ein noch viel schärferes Austeritätsprogramm durchgesetzt, das die Abwanderung der jungen Familien aus den ländlichen Räumen noch forciert hat.

Alle Stabilisierung hat sich damit automatisch auf die drei Großstädte konzentriert. Ein Prozess, der sich bislang sogar regelrecht selbst befeuert: Bevölkerungszuwachs befeuert Beschäftigungszuwachs befeuert weitere Nachzüge usw.

Das Ergebnis sieht auf den ersten Blick faszinierend aus: Die drei größten Städte im Osten haben seit 2008 die Bundesliga der deutschen Großstädte regelrecht aufgemischt und haben sich mit starkem Beschäftigungszuwachs an mehreren eigentlich viel reicheren westdeutschen Städten vorbeigearbeitet.

Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) hat die Entwicklung der Arbeitslosenquoten in den 15 größten Städten (für Hannover hat er die gesamte Region Hannover genommen) in eine Grafik gefasst. Und da fallen die drei ostdeutschen Aufsteiger auf. Vorneweg Dresden, das sich vom 10. Platz im Jahr 2008 auf Rang 6 vorgearbeitet hat und dabei nicht nur die Region Hannover, sondern auch Düsseldorf und Köln hinter sich gelassen hat.

Natürlich nur bei der Arbeitslosenquote. Was ja noch nichts über Einkommen und BIP sagt. Die Quote sagt nur, dass so viel Arbeit eigentlich gebraucht wird und dass die Arbeit, die gebraucht wird, auch über die Jahre geschaffen wird – auch dann, wenn nicht genug Geld im Kreislauf oder in der Stadtkasse ist. Was übrigens einen Aspekt ins Spiel bringt, der in den üblichen Wirtschaftswissenschaften selten eine Rolle spielt: dass Wirtschaft eben nicht (nur) die Grundlage einer Gesellschaft ist, sondern eine Gesellschaft Wirtschaft auch erzeugt. Sie sind zwei Seiten einer Medaille und kluge Politiker bringen beide Seiten in ein sich gegenseitig befruchtendes Wechselspiel.

Aber dazu muss man das Wechselspiel auch verstehen.

Und da kommen diese ganzen scheinbar so „weichen“ politischen Themen ins Spiel: Einkommen, Bildung, Demografie …

Oder einmal so formuliert: Politiker, die diese komplette Klaviatur nicht beherrschen, sollten sich vielleicht gar nicht um ein hohes Amt bewerben. Sie richten nur Unfug an.

Dumm nur, dass gerade die Einfältigsten glauben, mit einfältigen Rezepten eine Lösung für alles zu kennen. Das geht schief. Und kommt uns alle teuer zu stehen. Donald Trump und Theresa May haben ja gerade mit ihren Dummheiten begonnen.

Man könnte sagen: Schaut auf die Städte. Denn da passiert gerade das, was unsere Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten prägen wird. Leipzig fällt ja in Schröders Grafik auch auf mit diesem erstaunlichen Aufstieg vom letzten, dem 15. Platz, nunmehr auf Rang 10 vor Bremen. Was auch ins Auge sticht, weil Leipzig gleichzeitig Bremen auch bei der Bevölkerungszahl überholt hat. Der Verdacht dürfte naheliegen, dass Bevölkerungswachstum und Beschäftigungsaufbau aufs Engste miteinander verknüpft sind.

Wer in die Tabelle schaut, sieht auch, dass Leipzig nicht nur seine Arbeitslosenquote deutlich gesenkt hat, sondern in den acht Jahren auch mehr Beschäftigung aufgebaut hat als etwa Dresden oder Bremen.

Und auch das immer wieder mit Häme überschüttete Berlin hat sich deutlich nach vorn gearbeitet. 2011 lag Berlin mal am Ende der Tabelle, hat dann aber Essen, Dortmund und Duisburg hinter sich gelassen. Nicht unbedingt, weil „arm aber sexy“ funktioniert, sondern weil Berlin sich als Dienstleistungsstadt profiliert hat, während sich die drei überholten Ruhrpott-Städte allesamt noch in der Selbstfindung befinden, nachdem das Zeitalter der Schwerindustrie dort zu Ende ging.

Auch das gern mit Häme – insbesondere aus dem arroganten München – kommentiert, wo man sich mittlerweile für den Lehrmeister Deutschlands hält und völlig vergessen hat, dass der Münchner Aufstieg ab 1950 vor allem durch Bundestransfers und -investitionen erst möglich wurde und dass der Aufbau einer tragfähigen Industrie meist Jahrzehnte dauert. Der Ruhrpott war über 100 Jahre lang der Motor Deutschlands. Bayern und Baden-Württemberg haben diese Rolle erst vor rund 20 Jahren übernommen, als die große Krise der Schwerindustrie in Westeuropa begann. Übrigens ein Prozess, der auch der EU damals Sorge bereitete, was die EU-Kommission dazu brachte, Europa einmal völlig anders zu betrachten als immer nur durch die stupide nationale Brille. Seitdem gibt es zumindest in der Wirtschaftspolitik eine Betrachtung nach Metropolregionen, auch wenn das bis heute in anderen Politikbereichen der EU keine Wirkung zeitigt. Nicht einmal die Definition der Förderregionen stimmt mit den Metropolregionen überein, was dafür sorgt, dass auch die EU-Fördergelder meist ziemlich sinnlos in der Landschaft versickern und die möglichen Metropolkerne nicht gestärkt werden.

Spannend wird natürlich, wie nachhaltig das Wachstum in den drei vertretenen ostdeutschen Großstädten sein wird, ob sie es tatsächlich schaffen, eine selbsttragende Wirtschaftsstruktur zu erlangen. Immerhin muss man bedenken, dass ihre Stabilisierung im Grunde erst zehn Jahre alt ist. In Leipzig begann die Stabilisierung mit der Produktionsaufnahme von Porsche und BMW im Jahr 2005, in Dresden schon etwas früher, in Berlin etwas später. Aber zehn Jahre sind noch längst keine Zeit, um sich „richtig Speck“ anzufuttern. Der Anfang kann auch schnell wieder in Katzenjammer münden, wenn Schmalspurpolitiker beginnen, die Weltwirtschaft auseinanderzunehmen.

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“Der Verdacht dürfte naheliegen, dass Bevölkerungswachstum und Beschäftigungsaufbau aufs Engste miteinander verknüpft sind.”

Tja, da haben die Menschen nach der Wende wohl einen Fehler gemacht. Sie haben einfach aufgehört, Kinder zu zeugen. Hätten sie das nicht gemacht, wäre die Wirtschaft geblieben? Im Kontext des Artikels scheint das so gemeint zu sein.
Das Wegbrechen der gewerblichen Wirtschaft war offensichtlich auch der Grund für das Dienstleistungsdesaster. Denn die in Leipzig propagierte Entwicklung hin zum Dienstleistungssektor blieb aus. Was wohl auch der Grund ist, warum diese Bereiche in Berlin und Dresden wachsen – es sind Regierunssitze.
Dienstleistung muß schließlich irgendetwas dienen: der Wirtschaft, der Verwaltung, dem Menschen. Auch in dieser Hierarchie erfolgt die Entlohnung.

Nein, der Zusammenhang scheint eher andersherum zu sein. Die Bevölkerungsentwicklung begann wohl erst wieder mit der Ansiedlung vom BMW und Porsche und in deren Folge mit der Ansiedlung von Zulieferern. In deren Folge dann wiederum die Logistik kam. Und in dieser Pyramide erfolgt auch die Entlohnung.
Es gab also einen neuen Kristallisationspunkt, an dem vieles andere andockte. Und da kann mal die Frage gestellt werden, welche Gründe BMW bewogen haben, nach Leipzig zu kommen. Da gab es sicher einige im Hinblick auf neu errichtete Infrastruktur oder vorhandene Mitarbeiter. Oft genug ist das Leben aber doch eher simpel. Und in kleinen Zirkeln, deren Sitz eher nicht in den Metroploen zu suchen ist, die sich im Verborgenen finden, wurden am grünen Tisch ein paar “Cluster” gebildet. Wobei es Leipzig schwerer hatte, als Chemnitz und Dresden. Dort gab es Industrie, auf die sich aufsetzen ließ. In Leipzig wurde demgegenüber aber auch alles “rasiert”.
Vermutlich haben die engen Beziehungen zwischen den Familien Biedenkopf und Quandt vielmehr mit der hiesigen Entwicklung zu tun, als mancher wahr haben will.

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