KommentarDie FDP ist ja so eine Art Spaรpartei. Frรผher wollte sie mal mit 18 Prozent in den Bundestag. Heute gibt es manchmal so burschikose Meldungen wie die am Montag, 12. Dezember, von Marcus Viefeld, aktuell Vorsitzender der Leipziger FDP. โLeipzig hat per September knapp 580.000 Einwohner, gleichzeitig leben nur knapp 250.000 Sozialversicherungspflichtige in der Stadt. Diese Zahlen sind alarmierendโ, meint er.
Was schon verblรผfft: Keine Stadt bundesweit hat in den vergangenen Jahren so viele neue Jobs aufgebaut wie Leipzig โ die Zahl der Sozialversicherungspflichtig Beschรคftigen stieg von 206.162 im Jahr 2008 auf 248.952 im Jahr 2015. Wobei das die am Arbeitsort beschรคftigten sind, nicht nur die Leipziger selbst.
Und das soll alarmierend sein?
Die FDP hat da immer so einen parteiinternen Kummer, dass die Stadt das Geld, das in Leipzig verdient wird, den Falschen gibt. Verschwendung irgendwie. Jedenfalls klingt das bei Marcus Viefeld so: โDiejenigen, die in Leipzig das Geld erwirtschaften, sind in der Minderheit. Weniger als die Hรคlfte der Menschen finanziert mit selbst verdientem Geld Soziales, Straรen und Kultur. Gleichzeitig fรผhren Stadtrat und Verwaltung endlose Debatten รผbers Geldverteilen. Unsere Stadt braucht einen Kulturwechsel: Vor jeder Ausgabediskussion muss die Frage beantwortet werden, ob die Erwirtschafter selbst verdientes Geld dafรผr auch ausgeben wรผrden. Ich bin sicher, wir hรคtten weniger sinnlose Symbolpolitik in dieser Stadt und deutlich mehr Pragmatismus.โ
Mal so ganz am Rand: Nur knapp 500 Millionen Euro werden in Leipzig durch eigene Steuereinnahmen erwirtschaftet โ darunter 243 Millionen aus der Gewerbesteuer und 140 Millionen aus der Einkommenssteuer. Der Rest sind Zuweisungen von Bund und Land.
Aber auch FDP-Stadtrat Sven Morlok hat so eine eigene Sicht auf Leipzigs Einnahmen und Ausgaben: โZuerst muss an die gedacht werden, die etwas erwirtschaften oder erwirtschaften wollen. Und erst danach kommen die Empfรคnger von steuerfinanzierten Leistungen. Die Ratsversammlung hat mit unzรคhligen รnderungsantrรคgen zu Kleinigkeiten in der Haushaltsdebatte mal wieder gezeigt, dass die Verteilung von Geld an die eigenen Leute wichtiger ist als grundlegende Weichenstellungen fรผr eine zukunftsfรคhige Stadt.โ
Das war dann die Kritik an den Stadtratsfraktionen, die ihr Recht wahrgenommen haben, ihre Vorstellungen von wichtigen Investitionen in den Doppelhaushalt 2017/2018 mit hineinzubekommen. Die Verwaltung hat die Antrรคge abgelehnt, weil es an Verteilungsmasse fehlt. Ob sie dennoch aufgenommen werden, entscheidet die gesamte Ratsversammlung.
Aber wo Marcus Viefeld eigentlich der Schuh drรผckt, bringt er auch zum Ausdruck: โSolange man als Grรผnder im Gewerbeamt wie ein Bittsteller behandelt wird und solange die Verwaltung auf allen Ebenen den Bรผrgern grundsรคtzlich misstraut, lรคuft etwas grundsรคtzlich falsch.โ
Da lรคsst er nicht seine Erfahrungen als sozialversicherungspflichtig Beschรคftigter durchblicken, sondern die als Freiberufler und Unternehmensgrรผnder. Die haben es nicht nur in Leipzig, sondern in ganz Sachsen schwer.
Aber das ist ein anderes Thema als das mit den sv-pflichtig Beschรคftigten.
Denn wenn Viefeld die โknapp 250.000 Sozialversicherungspflichtigenโ benennt, sind das die Menschen, die in Leipzig eine Arbeit gefunden haben. Davon sind rund 42.000 keine Leipziger, sondern Pendler. Sv-pflichtig beschรคftigt sind in Leipzig โnurโ rund 211.000 Leipziger. Mittlerweile wahrscheinlich schon wieder mehr. Aber so schnell rechnet die Bundesagentur fรผr Arbeit nicht.
Weitere zehntausende Leipziger pendeln รผbrigens zur Arbeit in andere Landkreise, Stรคdte und Lรคnder.
Erwirtschaftet also wirklich eine Minderheit das Geld, das โdie Anderenโ verprassen?
Nicht wirklich.
Und da haben wir jetzt eine Zahl, die bestimmt auch die FDP freuen wird: Leipzig bietet tatsรคchlich sogar 323.000 Menschen Beschรคftigung. Wahrscheinlich schon eher 335.000, denn die Zahl stammt von 2014.
Woher kommt die Differenz? Die Zahlen zu Sozialversicherungspflichtigen blenden immer aus, dass es auch noch andere Erwerbstรคtige gibt. Solche wie Marcus Viefeld zum Beispiel: Selbststรคndige. Das sind in Leipzig allein rund 31.000. Die werden โ da hat Viefeld Recht โ von den amtlichen Instanzen gern vergessen oder mit bรผrokratischen Finessen beschwert, die das Leben sauer machen. Nicht alle von den 323.000 kommen aus Leipzig.
2015 hatten โ so stellt das โStatistische Jahrbuchโ der Stadt fest โ 266.000 Leipziger eine Erwerbstรคtigkeit: 228.000 als Angestellte, 30.800 als Selbststรคndige (inklusive helfender Familienangehรถriger) und auch noch die 7.500 Auszubildenden gehรถren dazu.
Das sind dann 47,1 Prozent der Bevรถlkerung, die eifrig das Bruttosozialprodukt steigern.
Und der Rest?
23,4 Prozent der Leipziger sind Rentner, stehen also dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfรผgung. 17,9 Prozent bekommen โUnterhalt durch Angehรถrigeโ. Klingt komisch โ aber das sind vor allem die Kinder und Jugendlichen, die noch gar nicht arbeiten.
Und 9 Prozent sind eigentlich Arbeitsmarktreserve. Sie bekommen Arbeitslosengeld, Sozialgeld, Grundsicherung usw. Freiwillig sind die Meisten dort nicht vorstellig. Das eigentliche Problem, das hinter der Klage der FDP steckt, ist eigentlich die Leere des Leipziger Stadtsรคckels und vor allem ein enormer Druck durch die steigenden Soziallasten, die jene Verteilungsmasse verschlingen, die eigentlich dringend fรผr Investitionen gebraucht wird.
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Ich finde es eine Frechheit von Herrn Viefeld, die Gesellschaft so pauschal in zwei โLagerโ einzuteilen! Ich selbst bin beispielsweise nicht sozialversicherungspflichtig beschรคftigt, zahle aber trotzdem vierstellige Betrรคge an Einkommen- und Umsatzsteuer in die Kasse des Finanzamtes Leipzig. Und ich besitze kein Auto, also fรผr mich muss die Stadt Leipzig schon mal nicht die ganzen Straรen bauen.