Meistens sind es die Kleinigkeiten, die die Leipziger Quartalsberichte interessant machen, die kleinen Blicke ins Detail einer wachsenden Stadt. Aber: Wächst sie denn noch? Das ist die Frage, seit die Landeshauptstadt Dresden ihre Bevölkerungsprognose deutlich unter die Landesprognose abgesenkt hat. Hört Dresden nun auf zu wachsen und Leipzig wächst allein weiter? Oder träumt Leipzig nur?

In fast jedem Quartalsbericht aus Leipzig gibt es auch einen Artikel, der sich mit dem Bevölkerungswachstum beschäftigt. Auch Leipzigs Statistiker wollen wissen, woher der Zuwachs kommt und ob sie dem OBM nun sagen, er muss für 700.000 planen – oder reichen doch 600.000?

Das Problem, das die Dresdner Statistiker sehr wohl wahrgenommen haben, ist die Tatsache, dass der Zuzug aus den umliegenden sächsischen Regionen deutlich nachgelassen hat. Aber es sind diese Zuzüge, die dafür gesorgt haben, dass Leipzig, Dresden und Chemnitz wieder wachsende Städte geworden sind. Junge Menschen zogen zu Ausbildung und Arbeit in die Großstädte, verließen die ländlichen Regionen, wo die Bevölkerung überalterte, Infrastrukturen und Arbeitsplätze verschwanden. Was die sächsische Landesregierung in blankes Entsetzen gestürzt hat – die sah das Land schon regelrecht aussterben.

Den Prozess gibt es übrigens überall in Deutschland. Nicht nur aus sächsischen Regionen wandern die jungen Menschen ab. Die ländlichen Räume dünnen aus, die Oberzentren wirken wie Magnete. „Schwarmstädte“ nennen das mittlerweile einige Forscher und schreiben das Phänomen der Attraktivität der Großstädte zu. Wahrscheinlich aber ist es eines der modernen Wirtschaft, die so gern missverstanden wird.

„Mehr Mobilität“ lautete ja jahrelang das Schlagwort und die geldausschüttenden Politiker glaubten, das würde mit mehr Autobahnen und Staatsstraßen bis in den letzten Winkel der Republik funktionieren. Die Arbeitnehmer würden einfach mobiler – ansonsten würden sie ja irgendwie in ihrer Heimat bleiben.

Doch nichts ist so überholt wie der alte Heimatbegriff. Denn Heimat ist für immer mehr Menschen dieser mobilisierten Generation ein Ort, an dem sie sich besser vernetzen können. Da ziehen sie hin. Sie sind zwar mobil – aber das Automobil ist nicht wirklich ihr Lebensmittelpunkt. Sie bevorzugen Züge, Busse, Straßenbahnen und – die wichtigste Mobilität von heute – die mobilen Kommunikationsmittel. Man rüstet nicht das kleine Eigenheim in ländlicher Abgeschiedenheit auf, sondern zieht mitten hinein in die gut ausgestatteten Infrastrukturknoten.

Mittlerweile gibt es auch Überlaufeffekte. In Dresden stark zu beobachten: Wenn die Großstadt selbst nicht mehr genügend bezahlbaren Wohnraum liefert, ziehen die Ersten, die es sich leisten können, wieder hinaus vor die Tore der Stadt. Die zweite Welle der Suburbanisierung nennen es die Statistiker. Die erste fand in den 1990er Jahren statt, als die Städte noch immer nicht saniert waren und draußen auf den Kohlrübenfeldern die neuen Wohnparks aus dem Lehm gestampft wurden.

Jetzt zieht man hinaus, wenn man entweder genug Einkommen hat, um sich ein Eigenheim in Stadtnähe mit möglicher Nähe zu guter Naherholung zu kaufen – oder wenn man bei der Wohnungssuche in der Großstadt nicht mehr fündig wird. Rund um Dresden profitieren davon zum Beispiel der Landkreis Meißen und der Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge. Bei Leipzig sind es die Landkreise Leipzig und Nordsachsen, die vom Wachstum etwas abbekommen – aber nicht flächendeckend. Wer rauszieht aus Leipzig, will trotzdem kurze Wege zur Arbeit. Was dann Städte wie Markkleeberg, Markranstädt, Taucha und Schkeuditz zu Wachstumsstädten macht.

Aber nicht nur diese Suburbanisierung dämpft das Wachstum der Großstädte wieder. In Dresden sieht man durchaus besorgt, dass der „Nachschub“ aus den ländlichen Regionen ausbleibt. Denn nun sind ja auch dort die halbierten Jahrgänge der 1990er Jahre im Ausbildungs- und Familiengründungsalter angekommen. Nur bedeuten eben halbierte Jahrgänge auch nur noch halbierte Wanderungszahlen. Logisch, dass das Wachstum der Großstädte auf Kosten der sächsischen Landregionen zum Erliegen kommen muss.

Erste Zeichen sind auch längst in Leipzig sichtbar.

Aber Ruth Schmidt, Leiterin des Leipziger Amtes für Statistik und Wahlen, hat für ihren  Beitrag „Zu- und Fortzüge 2015 in Chemnitz, Dresden und Leipzig“ die Zahlen nicht nur für Sachsen aufbereitet, sondern für die gesamte Bundesrepublik. Und da werden mehrere Dinge sichtbar, die eigentlich auch die Landespolitik munter machen sollten. Denn Sachsen ist seit drei Jahren kein Bundesland mehr, aus dem die jungen Einwohner abwandern. Im Gegenteil: Der Trend hat sich umgedreht. Alle drei Großstädte profitieren mittlerweile von Zuwanderung aus der gesamten Bundesrepublik, Chemnitz zwar eher schwach, Dresden schon stärker. Aber Leipzig hat mit fast der gesamten Bundesrepublik einen positiven Wanderungssaldo, den stärksten übrigens mit dem kompletten Gebiet der ostdeutschen Bundesländer. Was dafür spricht, dass Leipzig nicht nur wie eine Rettungsinsel für die umliegenden Regionen wirkt, sondern hochattraktiv ist als lebendige Metropole. Das Einzugsgebiet ist also deutlich größer als das Dresdener.

Was natürlich dasselbe Problem auf anderer Stufe mit sich bringt, denn auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern ist irgendwann das Reservoir von Wanderlustigen erschöpft. Was dann?

War es das dann mit dem exorbitanten Bevölkerungswachstum?

Die Frage ist völlig offen. Im zweiten Halbjahr 2016 jedenfalls hat sich der Zuwachs erstmals wieder leicht abgeschwächt. Insbesondere die Zuzüge aus Sachsen gingen zurück, während die aus dem Ausland leicht anstiegen.

Was immer noch ein im Vergleich hohes Wachstum ergibt. War Leipzig mit 567.846 Einwohnern ins Jahr 2016 gestartet, so waren es im Sommer schon 572.890 und im September dann 575.979. Die aktuellste Zahl sind 579.802 für den November. Alles Zahlen aus dem Melderegister der Stadt, die im Schnitt 8.000 über denen des Landesamtes für Statistik liegen. Aber die Landesstatistiker haben ein kleines IT-Problem und deshalb keine neuen Zahlen. Die stecken zahlenmäßig noch im Dezember 2015 fest.

Aber sicher ist jetzt schon, dass Leipzig bis Jahresende die 580.000 überschreiten wird und wohl auch (ganz planmäßig) 2018 die 600.000 erreicht. Nur was danach passiert, ist höchst ungewiss. Die Leipziger Statistiker jedenfalls wollen sich sehr genau anschauen, was da noch kommt. Und was nicht. Und ob die 700.000 am Ende nur ein schöner Traum waren.

Ausgebremst durch einen Haufen selbst gemachter Probleme.

Um eins kümmern wir uns in Kürze an dieser Stelle: die leidige Sache mit dem Wohnungsbau.

Der Statistische Quartalsbericht III / 2016 ist im Internet unter www.leipzig.de/statistik unter „Veröffentlichungen“ einzusehen. Er ist zudem für 7 Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) beim Amt für Statistik und Wahlen erhältlich.

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Es gibt 4 Kommentare

Nein die Kräne haben nichts mit Wohnungsbau zu tun.
Es ist die Baustelle der Höfe am Brühl, also eher das Gegenteil. Da wurde viel innenstädtischer Wohnraum beseitigt. Darüber will ich aber nicht klagen, den dort hätte ich eh nie wohnen wollen.
Das Foto müsste aus dem Sparkassenhochhaus, in der Nordstraße, herraus entstanden sein.

Hallo R.J.,
ich habe da mal zwei Fragen.

1 – Haben die Kräne mit dem Thema des Artikels zu tun, sind es also Baukräne bei der Arbeit an der Wohnsituation Leipzigs und

2 – erstehen die Kräne?

LG.JG

Ob die 700.000 ein “schöner Traum” oder ein Alptraum werden, hängt stark davon ab, ob es gelingt die sich jetzt schon abzeichnenden Probleme am Wohnungsmarkt und im Verkehr in den Griff zu bekommen. Wenn nicht, dann findet hier ein Verdrängungswettbewerb statt, den man nicht wollen kann.

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