Für all jene, die sich für die Verkehrsentwicklung einer Großstadt wie Leipzig interessieren, bietet der neue Quartalsbericht III/2016 ein ganzes Kapitel zum „Modal Split“. Und das beantwortet auch gleich mal die Frage, warum das Auto in Leipzig derzeit nicht totzukriegen ist.
Denn irgendwie will Leipzig ja bis 2025 den Anteil des Autoverkehrs an den täglichen Wegen der Leipziger von fast 40 Prozent auf 30 Prozent drücken. Oder senken. Oder zwingen. So richtig nachgedacht darüber, wie das gehen soll, hat ja noch niemand. Man kann hoffen, dass es im Rahmen der Entscheidungsfindung zum neuen Nahverkehrsplan passiert. Aber so zaghaft, wie das Thema angegangen wird, darf man wohl zu Recht skeptisch sein.
Denn das Wachstum einer Stadt wie Leipzig macht auch deutlich, wo es deutliche Lücken im Verkehrsnetz gibt. Und zwar gerade in jenen Teilen, die eigentlich zum Umweltverbund gehören: ÖPNV, Radwege, Fußwege.
Dass der Radverkehr in Leipzig seit 1994 überdurchschnittlich gewachsen ist, darüber haben wir schon berichtet. Dass der ÖPNV irgendwie aus dem Tal der 17 bis 18 Prozent nicht herauskommt, auch. Was übrigens nicht nur ein Leipziger Thema ist: Alle bundesdeutschen Großstädte versuchen, den Radverkehr auszubauen und den ÖPNV zu stärken. Gerade westdeutsche Großstädte haben nun lange und schmerzliche Erfahrungen damit, was passiert, wenn sich der Großteil des Berufsverkehrs in Autokolonnen durch die Stadt wälzt – die Straßen verstopfen, wertvolle Lebenszeit geht in stundenlangen Staus verloren.
Wenn Großstädte beweglich und attraktiv bleiben wollen, müssen sie den ÖPNV deutlich stärken.
Was in Leipzig übrigens 2013 in einem ersten Schritt ja tatsächlich passiert ist. Man blendet ja gern aus, was für ein Quantensprung der Bau des City-Tunnels und die Einführung des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes war. Vorher hatte die Region keinen echten S-Bahn-Betrieb. Entsprechend voll waren die Bahnen auf den neuen Hauptstrecken, entsprechend knapp war das bestellte Zugmaterial.
Eine Frage, die sich Leipzigs Verkehrsplaner stellten, war natürlich: Befeuert die S-Bahn nun die ÖPNV-Nutzung in Leipzig?
Deswegen ließen sie gleich zwei Mobilitätsbefragungen machen – eine vor Eröffnung des City-Tunnels im Jahr 2013, eine danach im Jahr 2015.
Das Ergebnis ist ein „Es könnte sein“. Oder um einmal Dieter Auspurg und Cornelia Kreymann aus dem Verkehrs- und Tiefbauamt, die den Artikel im Heft geschrieben haben, zu zitieren: „Die erwartete Erhöhung des Anteils des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) durch Eröffnung des City-Tunnels ist so noch nicht eingetreten.“
Die Planer haben also noch Hoffnung, dass der Effekt noch eintritt.
Aber dann müssen sie umdenken. Richtig umdenken.
Denn tatsächlich zeigt dieser Vergleich der Jahre 2013 und 2015 deutlich, dass im Leipziger Verkehrsdenken etwas Grundsätzliches noch nicht stimmen kann.
Denn die Wahrheit, die dazu gehört, ist auch: Der City-Tunnel hatte wahrscheinlich sogar einen Effekt.
Dazu haben die Verkehrsplaner die beiden Jahre 2008 und 2015 verglichen. Aufs Stadtgebiet gerechnet, ging die ÖPNV-Nutzung in diesem Zeitraum von 18,8 auf 17,6 Prozent zurück. (2013 waren es 17,1 Prozent).
Und die heftigsten Verluste hat der ÖPNV genau in den Bereichen ausgelöst, wo 2015 die heftigsten Diskussionen aufflammten, wenn man das Beispiel der Linie 9 vor Augen hat.
In den Außen- und Siedlungsgebieten nahm er von einem 12,3-Prozent Anteil auf 9,9 Prozent ab.
In den peripheren Großwohngebieten (Grünau, Lößnig, Paunsdorf) ging er von 27,7 auf 20,5 Prozent Anteil zurück – was schon heftig ist, wenn man bedenkt, dass er hier eigentlich am stärksten genutzt wurde.
Im urbanen Kern (Gebieten wie Plagwitz, Südvorstadt, Gohlis usw.) ging der Anteil hingegen nur leicht zurück von 19,7 auf 19 Prozent.
Und das ist jetzt etwas für die Grübler: In den citynahen Geschäftsbereichen gewann er von 14,4 auf 19 Prozent kräftig hinzu.
Was natürlich mit der Inbetriebnahme des City-Tunnels und der wachsenden Attraktivität der City zu tun hat. Mit dem City-Tunnel kamen gleich drei neue Stationen direkt im City-Bereich hinzu, eine davon direkt unter dem Markt. Es liegt nahe, diesen Effekt einer kompakten und guten Anbindung in den steigenden Zahlen zu sehen.
Nur hat das an der Autonutzung nichts geändert. Die ist sogar weiter gestiegen, gerade in der City: von 21,8 auf 28,3 Prozent.
Zwei völlig konträre Verkehrskonzepte prallen hier aufeinander: der über 20 Jahre forcierte Ausbau von Garagen und Stellplätzen in der City, der durch das Konzept „autoarme Innenstadt“ nicht wirklich gebremst wurde, im Gegenteil: Jedes neue Großbauvorhaben brachte weitere hunderte Stellplätze direkt in die City.
Was natürlich die Frage aufwirft: Wer fährt dann eigentlich mit der S-Bahn in die City?
Die Antwort ist unübersehbar: Es sind vor allem all jene Leipziger, die vorher zu Fuß hingelaufen wären. Der Wegeanteil der Fußgänger in die City-Bereiche nahm deutlich ab von 41,6 Prozent im Jahr 2008 auf 29,6 Prozent im Jahr 2015. Der City-Tunnel hat die Innenstadt also vor allem für Fußgänger besser erschlossen. Autofahrer hat er aber nicht dazu animiert, ihr Gefährt zu Hause zu lassen und die S-Bahn zur Fahrt ins Herz der Stadt zu nutzen.
Was viele Gründe haben kann. Einer springt beim Lesen des Artikels aber ins Auge.
Dazu gleich mehr an dieser Stelle.
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https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/11/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Es gibt 2 Kommentare
Der Bus 70 kann die Linie 9 halt nicht ersetzen und die S-Bahn ist halt nur was für die Innenstadt, also nicht für die die zur Arbeit wollen. Da ist es schon verständlich, das die Leute Rad oder Autofahren.
Ich kann hier nur zum wiederholten Mal darauf hinweisen, dass zur guten Nutzung des S-Bahnnetzes auch die Verknüpfung mit den Bussen und Bahnen der LVB gehört.
Da ist bisher wenig bis nichts geschehen:
Es fahren viel zu wenig Busse über die Semmelweissbrücke, das Umsteigen am Bahnhof Connewitz ist eine Zumutung, Infos zu beiden Systemen gibt es nur an der Messe und am Peterstor (W.-Leuschner-Platz), keine in Plagwitz, Gohlis und weiteren Haltepunkten. Die Aufzählung ist alles andere als vollständig.