Vielleicht spricht es sich ja auch in Kamenz einmal herum, dass Berlin nicht ganz so unwichtig ist. Gerade wenn es um wirtschaftliche Betrachtungen des Ostens geht. Und um die Einordnung, was da gerade am sächsischen Arbeitsmarkt passiert – und was nicht.
Am Dienstag, 13. Dezember, hatten die sächsischen Landesstatistiker so eine schöne, weil auch erhellende Meldung gebracht: „Um 1,1 Prozent bzw. rund 23.000 Personen erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen in Sachsen auch im dritten Quartal des Jahres 2016 im Vergleich zum Vorjahresquartal.“
Was sogar eine mehrfach positive Meldung ist. Denn mit den 1,1 Prozent gehört Sachsen zu den Bundesländern mit überdurchschnittlichem Wachstum.
Aber es steckt noch etwas in der Zahl: „Damit stand aktuell einem deutlichen Anstieg der Zahl der Arbeitnehmer ohne marginal Beschäftigte ein Abbau bei der marginalen Beschäftigung gegenüber. Die Zahl der Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen ging um 0,7 Prozent zurück.“
Der Abbau der marginalen Beschäftigung geht also weiter. Es war also kein Einmaleffekt in Verbindung mit Einführung des Mindestlohnes 2015, sondern es ist ein langfristiger Trend, nachdem zuvor der Sektor der marginalen Beschäftigung in Sachsen über 10 Jahre massiv ausgebaut worden war.
Nur haben Menschen, die eine Erwerbstätigkeit suchen, mittlerweile die Wahl zwischen leidlich gut bezahlter Vollzeitarbeit und längst nicht mehr so attraktiven marginalen Angeboten. Weil aber alle Leute davon leben wollen, wechseln natürlich Viele in eine echte Vollzeitstelle. Übrigens auch Selbstständige, denn auch dieser Teil der Beschäftigung schmilzt seit Jahren ab. Kleinunternehmer haben in Sachsen ein hartes Brot. Da lohnt meist die Rückkehr in eine Festanstellung mehr.
„Die positiven Impulse bei der Entwicklung der Erwerbstätigkeit kamen zum einen aus dem Verarbeitenden Gewerbe, das einen Anstieg um 1,4 Prozent bzw. rund 5.000 Personen verzeichnete. Zum anderen wurde im gesamten Dienstleistungssektor ein Zugang um 1,4 Prozent bzw. reichlich 20.000 Erwerbstätige festgestellt“, melden die Kamenzer Statistiker noch. „Hier trugen insbesondere der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit mit einem Plus von 1,8 Prozent bzw. reichlich 11.000 Personen sowie der Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation mit einem Zuwachs um 1,4 Prozent bzw. knapp 7.000 Personen zum positiven Gesamtbild bei der Erwerbstätigkeit in Sachsen bei. Im gesamtdeutschen Vergleich fielen in allen genannten Bereichen die Zuwächse im dritten Quartal 2016 überdurchschnittlich aus.“
Kommen wir also zu Berlin, das scheinbar völlig aus dem Rahmen fällt.
„Deutschlandweit stieg die Erwerbstätigenzahl im dritten Quartal 2016 im Vergleich zum Vorjahresquartal um 0,9 Prozent. Dabei erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen in den alten Ländern (ohne Berlin) ebenfalls um 0,9 Prozent und in den fünf neuen Ländern mit 0,6 Prozent etwas verhaltener. Berlin lag mit 2,4 Prozent Anstieg an der Spitze der Länder.“
Das mit Berlin ist kein Zufall und auch kein Ausreißer, sondern mittlerweile Normalzustand. Es sind die Metropolen in Deutschland, wo heute die Arbeitsplätze entstehen. Und Berlin ist für den kompletten Nordosten die zentrale große Stadt, wo vor allem die neuen Dienstleistungsjobs entstehen, egal was die großen Zeitungen über die rot-rot-grüne Politik in Berlin an schrecklichen Mutmaßungen schreiben.
Und eine Nummer kleiner trifft der Effekt auch auf Sachsen zu: Auch hier entstehen die neuen Arbeitsplätze in den Großstädten. Nach den letzten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sind in Leipzig auch in diesem Jahr wieder über 7.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Was für Leipzig einen Zuwachs der Erwerbstätigen um ungefähr 2,8 Prozent bedeuten würde. Womit Leipzig sichtbar wird als ganz ähnlich funktionierende Metropole wie Berlin. Wenn auch eine Nummer kleiner.
In Dresden wird es ganz ähnlich sein, ebenso in Chemnitz. Womit der Freistaat sichtlich vom Aufschwung in seinen Großstädten profitiert – was aber aus dem Blick gerät, wenn man nur 1,1 Prozent über alles rechnet.
Das heißt aber eben auch, dass sich auch die Bevölkerungsentwicklung weiter auf die drei Großstädte fokussieren wird. „Ohne Arbeitsplätze kein Bevölkerungswachstum“, wie OBM Burkhard Jung so schön sagt.
Da laufen Prozesse ab, die sind mit konservativer Wirtschaftsbetrachtung nicht mehr zu fassen. Sie haben viel mit Dienstleistung zu tun, mit Infrastrukturen, realer Mobilität und digitaler Kommunikation.
Und mal als Stoßseufzer zwischendurch: Ach, was würde sich unsereiner freuen, wenn das mal mit wissenschaftlicher Fundierung in den Meldungen von Wirtschaftsinstituten und statistischen Landesämtern auftauchen würde.
Aber es tut’s nicht.
Wir sind ja schon froh, dass es dieses einsame Berlin gibt, das – arm, aber trendy – zeigt, dass da ein völlig anderer Prozess im Gang ist, als er mit dem föderalen Länderspiel der parteigewordenen Wirtschaftskompetenz je sichtbar gemacht werden könnte.
Die komplette Meldung des Statistischen Landesamtes.
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