Irgendwann wird man müde. Das hat mit dem Heilsversprechen unserer Gesellschaft zu tun. Und mit der Wahrnehmung einer jubelnden Berichterstattung, die einfach nicht mehr passen will zum eigenen Erleben der Leipziger. Da sinken die Arbeitslosenzahlen, steigt die Erwerbstätigkeit. Und dann gucken die Leipziger auf ihr Konto und sehen: Das Geld ist noch immer genauso knapp wie vor zwölf Jahren.
In Zahlen ist es mehr. Immerhin gibt es auch noch ein paar Branchen und Behörden, wo es seit einiger Zeit wieder regelmäßige Tarifrunden gibt und kräftige Gewerkschaften, die sich die Lohnerhöhungen auch mit ein paar Warnstreiks erzwingen können.
Irgendwie scheint das Einkommensniveau in Leipzig also zu steigen. Das werten Kerstin Lehmann und Andrea Schultz im neuen Quartalsbericht III/2016 aus. Sie messen natürlich nicht die absolute Größe, das ist einfach nicht möglich. In den jährlichen Bürgerumfragen werden ja auch die Einkommen der Befragten erhoben. Aus den ermittelten Werten bilden die Statistiker dann den Median: Das ist die Einkommensgröße genau in der Mitte, da, wo die Hälfte der Befragten drunter liegt und die andere Hälfte drüber.
Wenn der Median steigt, kann man durchaus annehmen, dass auch das durchschnittliche Einkommensniveau so steigt – dass mehr Leute ein bisschen mehr Geld in der Tasche haben. Und dass auch die Leute in der unteren Hälfe im Schnitt etwas mehr Geld haben. Seit 2008 steigt dieser Median in Leipzig. Mitten in der allgemein ausbrechenden Finanzkrise begannen in Leipzig endlich – nach zehn Jahren Rückgang und Stagnation – die Einkommen wieder zu steigen.
Auf denkbar niedrigem Niveau.
Wenn der Median der persönlichen Nettoeinkommen bei 952 Euro lag, kann man sich vorstellen, mit welchen Verrenkungen da die Hälfte der Leipziger versuchen musste, über den Monat zu kommen.
Bei Haushaltseinkommen war es nicht viel besser: 1.317 Euro standen da 2008 als Median. Da kann man auch als Spargemeinschaft wirklich keine großen Sprünge machen.
Den Titel „Armutshauptstadt“ hat sich Leipzig damals redlich verdient. Die Frage ist nur: Ist sie aus diesem Tal der klammen Kassen wieder herausgekommen?
Nicht wirklich. Denn es macht einen großen Unterschied, ob man auf 1.500 Euro jedes Jahr 3 Prozent obendrauf bekommt oder auf 900.
Im Ergebnis lag der Median der persönlichen Nettoeinkommen im Jahr 2015 (zur letzten Bürgerumfrage) bei 1.169 Euro. Das ist immer noch weit unter dem, was man zum Beispiel in einem Vollzeitjob mit Mindestlohn bekäme. Es ist zwar mittlerweile sogar sächsischer Landesdurchschnitt. Aber das sagt im Grunde nur aus, wie schwach ein Land auf der Brust ist, das zehn Jahre lang nicht nur rigide Niedriglohnpolitik gemacht hat, sondern auch das eigene Personal heruntergespart hat. Das ersparte Geld fehlt einfach im Umlauf.
Die Dresdener und Chemnitzer haben im Schnitt zwar um 35 bzw. 66 Euro höhere Einkommen im Monat. Aber man sieht: Das allgemeine Einkommensniveau ist dort nicht wirklich viel besser als in Leipzig.
Der Grund für die Unterschiede dafür ist simpel: Das produzierende Gewerbe ist in Chemnitz deutlich stärker ausgeprägt, was hier deutlich mehr höhere Löhne in die Statistik einfließen lässt, in Dresden kommt noch der relativ gut bezahlte Staatsapparat dazu. Und in Leipzig fällt natürlich der über Jahre hohe Sockel an Leistungsempfängern ins Gewicht.
Und – was diese Statistik auch sichtbar macht: Leipzig ist auch die Hauptstadt der Singles. Hier gibt es anteilmäßig die meisten Single-Haushalte. Wobei die sorgende Politik gern so tut, als wären niedrige Einkommen eine Folge des Single-Daseins. Es deutet aber Vieles darauf hin, dass es umgekehrt ist: Dass die prekären Einkommenslagen junger Menschen dafür sorgen, dass die Basis für eine Familiengründung fehlt.
Und keine Stadt hat so viele prekäre Jobs im Angebot gehabt wie Leipzig. Die Haushaltseinkommen stiegen zwar von 1.345 Euro im Jahr 2010 auf 1.563 im Jahr 2014, aber 2015 gab es mit 1.545 Euro wieder einen Dämpfer.
Den es so in ähnlicher Form auch in Dresden gab. Von einem wirklich spürbaren Anstieg der Einkommen kann da wirklich nicht geredet werden. Erst recht nicht, wenn man die Einkommen dann auch noch um die Inflation bereinigt. Denn entscheidend ist ja nicht die Zahl auf dem Konto, sondern das, was man sich dafür leisten kann. Eine durchaus spannende Frage in einer Zeit, in der gerade elementare Preise wie im Supermarkt, im ÖPNV oder auf dem Wohnungsmarkt spürbar anziehen.
Das Ergebnis ist dann statt eines aufstrebenden Gipfelsturms eine Delle. In allen drei Großstädten und auch in ganz Sachsen haben die Einkommen bis einschließlich 2007 deutlich nachgelassen, ist die echte Kaufkraft tatsächlich gesunken. Und zwar (nach heutigen Preisen) um 200 Euro je Haushalt.
Das ist eine Menge Geld und ganz bestimmt einer der vielen Gründe, die in Sachsen nun seit ein paar Jahren für spürbares Rumoren sorgen. Denn die „Besorgtheit“ der Bürger wird ja nicht durch die ankommenden Flüchtlinge ausgelöst oder irgendwelche bombigen Nachrichten über islamistische Terroristen. Das sind nur noch die Auslöser einer Angst, die unterschwellig die ganze Zeit da ist.
In unterschiedlicher Form. In den ländlichen Räumen erleben es die Sachsen als schleichenden Prozess der Entvölkerung und des Verlustes von Infrastrukturen.
In den Großstädten aber können die jungen Sachsen das Dilemma nicht wirklich hinter sich lassen. Sie finden zwar Arbeit, aber nicht alle in einem tariflich gut bezahlten Segment. Die meisten neuen Arbeitsplätze entstehen nach wie vor in einer stressigen, aber auch prekären Dienstleistungswelt.
Logisch, dass die Leipziger Haushaltseinkommen faktisch um über 200 Euro (genauer: 224 Euro) unterm sächsischen Median liegen – was ja übers Jahr gerechnet noch einmal ein volles Monatseinkommen wäre, das aber für die meisten Leipziger Haushalte einfach nicht da ist – mit allen Folgen bis hin zur Verschuldung.
Wenn dann auch noch die Inflation eingerechnet wird, liegt die durchschnittliche Kaufkraft der Leipziger Haushalte heute erst wieder leicht über dem Wert von 2005 (und noch deutlich unter dem von 2004). Was auch daran liegt, dass die im Gefolge der „Agenda 2010“ entstandenen Jobs zum größten Teil prekäre Jobs waren.
Und prekär heißt nun einmal auch, dass sie eigentlich nicht reichen, um das Lebensnotwendigste zu finanzieren plus all die staatlich verordneten Abgaben, die wenig bis keine Rücksicht nehmen auf die tatsächliche Kaufkraft der Betroffenen.
Daran ändert auch nichts, dass der Rückgang der Erwerbsfähigenquote in Leipzig seit 2011 gestoppt ist. Vorher machte sich auch statistisch bemerkbar, dass die Stadt immer mehr alterte und immer mehr Senioren das Bild bestimmten. Seitdem aber ist Leipzig eine „Schwarmstadt“, die junge Menschen anzieht und zumindest erst einmal Arbeit bietet, egal, welcher Art. Was dann doch ein paar Leute zur Familiengründung animiert.
Dazu kommen wir im nächsten Beitrag zum Quartalsbericht III/2016.
Der Statistische Quartalsbericht III / 2016 ist im Internet unter www.leipzig.de/statistik unter „Veröffentlichungen“ einzusehen. Er ist zudem für 7 Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) beim Amt für Statistik und Wahlen erhältlich.
In eigener Sache: Für freien Journalismus aus und in Leipzig suchen wir Freikäufer
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/11/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Keine Kommentare bisher