Da waren Leipzigs Statistiker sehr euphorisch, als sie im Vorspann des Quartalsberichts III/2016 kurzerhand titelten: „Gebärfreudige Sachsen“. Mal ganz zu schweigen, dass es zwingend Sächsinnen heißen muss. Na ja, und dann ist da die Zahl. Auf den ersten Blick sieht sie ganz hübsch aus: 1,59. Bundessieger in der Disziplin Gebärfreude, oder?

Na ja, wenn man Statistiker fragt, beginnt ihre Euphorie für gewöhnlich erst bei 2,1. 2,1 Kinder pro Frau müssen in einem Land geboren werden, damit es seinen Bevölkerungsstand halten kann. Liegt der Wert unter 2 – und das auch noch dauerhaft – dann schrumpft die Bevölkerung. Darüber wird zwar viel geredet in Sachsen. Aber den grimmigen Straßenschlurfern von Dresden hat das augenscheinlich noch niemand erzählt. Oder sie begreifen es nicht, was schon allein der Absturz auf 0,7 Geburten pro Frau in den 1990er Jahren für ein Land wie Sachsen bedeutet hat. Und zwar binnen einer einzigen Generation.

1,5 sind zwar doppelt so viele Geburten pro Frau – statistisch betrachtet. Aber auf zwei erwachsene Elternteile kommen eben doch nur 1,5 Kinder. Macht ein Minus von 0,5. Sachsen lag mit einer „zusammengefassten Geburtsziffer“ von 1,59 im Jahr 2015 nicht nur überm Bundesdurchschnitt von 1,50, sondern führte sogar das Ranking an, vermeldete das Bundesamt für Statistik.

Mit 36.466 Geburten erreichte Sachsen übrigens einen neuen Höchststand in diesem Jahrhundert. Den absoluten Tiefpunkt hatte es 1994 gegeben mit nur 22.734 Geburten.

Nur zum Vergleich: 1990 wurden in Sachsen noch 49.774 Kinder geboren. Und eigentlich wäre das auch die Messlatte, wenn der Freistaat irgendwann mal so etwas wie eine stabile Bevölkerungsentwicklung haben möchte. Aber dazu ist aus Regierungskreisen nichts zu hören. Da spart man lieber – bei Kitas, Schulen und anderen  Dingen, ohne die sich das ganze Familiending nicht organisieren lässt. Auch das ein Nachhaltigkeitsthema.

Logische Folge: Sachsen muss bei derartiger Politik zwangsläufig zum Einwanderungsland werden. Entweder jetzt schon mit entsprechenden Integrationsprogrammen. Oder später eben, wenn die alten Bewohner dieser Region aus Nachwuchsmangel einfach ausgestorben sind.

Kluge Regierungen setzen da lieber auf Einwanderung und Integration, wenn sie schon die Familienförderung nicht auf die Reihe kriegen (und die kriegen sie nun einmal trotz allem gerade in Sachsen nicht auf die Reihe).

Denn andererseits kann der Freistaat sogar froh sein, auch wenn der Vergleich mit dem reicheren Westen immer so deprimierend ausfällt. Im Weltvergleich ist Sachsen heute ein attraktives Land. Vielleicht nicht jede Ecke und schon gar nicht die, wo sich die dicken weißen Bewohner aufs homogene Aussterben eingerichtet haben. Aber die Großstädte auf jeden Fall. Leipzig wirkt auch in der überregionalen Wahrnehmung als attraktiver Ort zur Integration, zum Gründen einer Existenz, zum Heimischwerden.

6.622 Babys wurden übrigens 2015 in Leipzig geboren. Auch das ein neuer Höchstwert. Und 972 Babys (14,7 Prozent) hatten dabei mindestens einen ausländischen Elternteil, bei Eltern mit Migrationshintergrund erhöht sich dieser Wert auf 16 Prozent, hat Andreas Martin für seinen Beitrag im Quartalsbericht ausgerechnet.

Was die Sitzenbleiber aus der „Wir sind das Volk“-Ecke meistens auch nicht verstehen, sondern nur als beängstigend empfinden: Wie können „diese Ausländer“ nur so viele Kinder kriegen, mehr als ihrem Bevölkerungsanteil von 8,1 Prozent bzw. 12,3 Prozent entspricht, wenn man alle Leipziger mit Migrationshintergrund mitrechnet?

Die Antwort steht in der Jahrgangstabelle: Die Menschen, die nach Sachsen zuwandern, sind in der Regel und egal, aus welcher Himmelsrichtung sie kommen, jung, meistens im Ausbildungsalter und in dem Alter, in dem alle Menschen für gewöhnlich eine Familie gründen. Was übrigens nicht nur Syrer, Vietnamesen, Polen oder Russen betrifft (um mal ein paar der stärksten Ausländergruppen in Leipzig zu nennen), sondern auch Franzosen, Spanier, US-Amerikaner oder Engländer. Wer Augen und Ohren aufsperrt, der merkt, wie viele junge Menschen aus diesen Ländern schon in Leipzig leben, hier studieren, arbeiten und – nu ja – Kinder kriegen.

Und das hat natürlich Folgen. Denn wenn der Anteil junger Menschen mit Migrationshintergrund bei den werdenden Eltern höher ist, dann wird auch der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in den Kitas und Schulen höher. Die sächsische Bildungspolitik tut zwar gern so, als wäre das nicht so. Aber die Erzieherinnen und Lehrer wissen es und müssen damit umgehen. Wobei sich ja Leipzigs Sozialpolitik bemüht, die Kinder aus diesen Elternhäusern möglichst frühzeitig in die Kindertagesstätten zu bekommen, weil die Kleinen so auch früh das Rüstzeug bekommen, um mit unserer nicht ganz einfachen Gesellschaft, Kultur und Sprache umgehen zu lernen.

Ein Jahrgang mal herausgegriffen: Bei den 3- bis 4-jährigen Kindern in den Kitas kommen auf 5.153 Kinder immerhin schon 821 Kinder mit Migrationshintergrund, was immerhin knapp 16 Prozent entspricht. Wobei sich die Quote nach Ortsteil deutlich unterscheiden kann.

Die meisten Kinder mit wenigstens einem ausländischen Elternteil wurden 2015 in Volkmarsdorf (74) und Neustadt-Neuschönefeld (67) geboren. Gleich dahinter folgten Reudnitz-Thonberg (55), die Südvorstadt und Zentrum-Südost (beide 44). Völlig ohne Babys mit ausländischen Eltern blieben nur ein paar verträumte Dörfer am Stadtrand wie Baalsdorf, Meusdorf oder Hartmannsdorf.

Und wo geht die Reise 2016 hin? Bis Ende September wurden schon 5.209 Geburten gezählt, rund 200 mehr als im Vorjahr. Die Geburtenzahl könnte in diesem Jahr in Leipzig also auf rund 6.900 springen. Was dann für den Sozialbürgermeister mindestens noch eine zusätzliche Kita bedeutet, die er bauen muss.

Der Statistische Quartalsbericht III / 2016 ist im Internet unter www.leipzig.de/statistik unter „Veröffentlichungen“ einzusehen. Er ist zudem für 7 Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) beim Amt für Statistik und Wahlen erhältlich.

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