Einen ganz witzigen Beitrag zu Hin-und-Her-Wanderung in Deutschland haben die beiden IAB-Mitarbeiterinnen Michaela Fuchs und Antje Weyh für den neuen Quartalsbericht Nr. II/2016 geschrieben. Denn es gibt im so gern verteufelten Osten tatsächlich echte Re-Migranten. Also Leute, die in den vergangen 17 Jahren mal in den wilden Westen gezogen sind und nun tatsächlich heimkehren in dieses menscheinfeindliche Eckchen Welt.

Das so menschenfeindlich nicht ist, wie es medial gern inszeniert wird. Was wieder an der extrem westdeutsch geprägten Sicht auf den Osten zu tun hat. Man sieht PEGIDA durch Dresden latschen und die AfD einen Wahlgewinn nach dem anderen einfahren – aber man tut gern so, als wäre sonst (bis auf die so schön inszenierbare Fremdenfeindlichkeit) alles paletti im Osten. Ist es aber nicht.

Im Gegenteil: Die industrielle Kahlrasur der 1990er Jahre wirkt bis heute nach – und zwar mehrfach. Und hätte es in Helmut Kohls Beraterstab auch nur einen Menschen gegeben, der mal über die Folgen dieses Kahlschlags nachgedacht hätte, hätte vielleicht die eine oder andere Bundesregierung auch schon gegengesteuert.

Zu den Folgen gehört nicht nur der Verlust von nachhaltigen und selbsttragenden Arbeitsplätzen, die gerade in ländlichen Regionen nicht wieder ersetzt werden konnten. Im Gefolge gab es den Verlust von mindestens 2 Millionen vor allem jungen und gut ausgebildeten Arbeitskräften, die im Westen ihre Zukunft suchten. Was auch bedeutete, dass damit eine Menge kritisches Potenzial verloren ging, das den eher weniger gut gebildeten, schlechter verdienenden und ressentimentbeladenen Zurückgebliebenen Paroli hätte bieten können. Dieses Potenzial stärkt im Westen die Zivilgesellschaft – und fehlt im Osten.

Folge des industriellen Kahlschlags war logischerweise auch, dass viele Kommunen ihre finanzielle Basis verloren, wichtige Infrastrukturen konnten nicht mehr erhalten werden – von Schulen bis zum Landarzt. Was wieder zur Folge hatte – wie im hier untersuchten Zeitraum 1999 bis 2012: die jungen Menschen wanderten ab, anfangs noch in den Westen, seit zehn Jahren vor allem in die Großstädte des Ostens, die sich wirtschaftlich leidlich stabilisiert haben.

Nächste Folge: Wirtschaftlich und politisch drifteten Großstädte und ländliche Regionen zusehends auseinander. Diesen Effekt bekommt jetzt auch der Westen zu spüren. Aber im Osten war er früher da und: Er beschleunigt sich noch. Denn je mehr gut gebildete junge Menschen die ländlichen Regionen verlassen, desto stärker gewinnen dort Depression und Extremismus die Überhand.

Was nicht heißt, dass es sie in den Großstädten nicht gibt. Die haben zwar ihre wirtschaftliche Funktionsfähigkeit bewahrt – aber auf einem Niveau, bei dem immer noch 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung von Aufstiegschancen abgeschnitten sind.

Und das betrifft Bildungschancen genauso wie die Chance, auf einen der besser bezahlten Arbeitsplätze zu kommen, für die ein hohes Qualifikationsniveau die Voraussetzung ist.

Und darüber freuen sich zwar die Rückkehrer aus dem Westen nicht unbedingt. So viel Schadenfreude werden sie auch in der westfälischen Provinz nicht geschluckt haben. Aber sie haben eindeutig die besseren Chancen, wenn solche Arbeitsplätze ausgeschrieben sind, den Zuschlag zu erhalten. Denn in der Regel haben sie nicht nur den Westerfahrungs-Bonus, sondern auch den der ungebrocheneren Berufskarriere. Und es sind vor allem solche Chancen, die zwischen 1999 und 2012 über 46.000 Ostdeutsche (von über 300.000) dazu bewegt haben, wieder in den Osten zurückzukehren. Zumindest in die fünf ostdeutschen Flächenländer.

Berlin hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das zur Bundesagentur für Arbeit gehört, hier wieder ausgenommen. Peinlich genug. Aber auch typisch: Etliche Institute dieser Art begreifen Berlin bis heute nicht als wirtschaftlichen Bestandteil des Ostens. Und so begreifen sie auch die Stabilisierungstendenzen im Osten nicht, die noch viel stärker auf einige wenige Metropolkerne ausgerichtet sind als im Westen.

Es ist gut möglich, dass in einem Vergleich, in dem auch Berlin erfasst worden wäre, eben nicht Potsdam in dieser speziellen Kategorie vorn gelegen hätte, sondern Berlin. Eine Hitliste ist das schon, denn die Rückkehrer aus dem Westen sind nur zum Teil in ihre ursprünglichen Heimatkreise und Heimatstädte zurückgekehrt. Auch weil es in vielen schlicht nicht die Arbeitsplatzangebote gibt. Bis heute nicht. Deswegen werden natürlich jene Städte bevorzugt, die im Osten mit gut bezahlten Arbeitsplätzen locken. Was nicht mal heißen muss, dass die Ostdeutschen, die jetzt in Potsdam landen, auch in Potsdam arbeiten – mit der S-Bahn ist es ein Katzensprung nach Berlin. Das gilt auch für Potsdam-Mittelmark, das auf Platz drei in dieser Re-Migrations-Hitliste landet.

Leipzig landet auf Platz 2: 43,8 Prozent der Ost-Rückkehrer, die es nach Leipzig verschlägt, stammen ursprünglich nicht aus Leipzig, sondern aus einer anderen Region Ostdeutschlands.

In Potsdam sind es 52 Prozent, in Potsdam-Mittelmark 42,7 Prozent. Man kann nur vermuten, dass der Wert in Berlin deutlich über 60 Prozent liegen könnte.

Wobei bei dieser Statistik zu berücksichtigen ist: Erfasst wurden nur die Jahre 1999 bis 2012, also die Zwischenzeit zwischen der Massenabwanderung der 1990er Jahre und der nach 2012 einsetzenden Stabilisierungsphase, die die Abwanderungsraten gerade in Sachsen deutlich hat sinken lassen. Man muss nun nicht mehr in den Westen, um einen Berufseinstieg zu schaffen. Man wird jetzt auch hier mit Kusshand genommen.

So gesehen sind dann 11.316 aus Leipzig Abgewanderte in 13 Jahren schon überschaubar. Und die Zeiträume sind kurz genug, um eine Rückkehr nach Leipzig nicht nur mit einem neuen Job, sondern auch einer Familienetablierung zu verbinden. 1.415 Rückkehrer wurden in dieser Zeit gezählt.

Und natürlich wird im Detail deutlich, wer da wieder zurückkommt: der größte Teil der Rückkehrer – 1.126 – ist jünger als 45 Jahre, hat also in Leipzig noch den größeren Teil des Berufslebens vor sich. 651 hatten einen Berufsabschluss, 211 einen Hochschulabschluss.

Bei 382 wissen es die IAB-Forscher nicht, was schon verblüfft bei der ganzen Datensammelei der Arbeitsagentur. Fuchs und Weyh sprechen in ihrem Fazit zwar von Leipzig als einer „der attraktivsten Rückkehrregionen Ostdeutschlands“. Aber damit liegen sie wieder mental völlig daneben, blenden die wirtschaftliche Misere in großen Teilen Ostdeutschlands einfach aus. Lägen die in Leipzig angebotenen Arbeitsplätze in Görlitz oder Frankfurt/Oder, würden die jungen Leute dorthin ziehen. Aber Leipzig hat sich – gegen allen politischen Klamauk, der drumherum stattfand – zu einem wichtigen Netzknoten in der mittelostdeutschen Wirtschaftslandschaft entwickelt und wird damit auch im Westen wahrgenommen. Zumindest bei den Leuten, die sich nicht nur auf den Kladderadatsch im Fernsehen verlassen. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema, hat aber mit den ganzen Illusionen zu tun, die sich die westlichen Medienspezialisten so über den Osten zusammengeschrieben haben.

In eigener Sache – Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“

Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar