Am Donnerstag, 22. September, veröffentlichte das Bundesamt für Statistik seinen alljährlichen Bericht zur Armutsgefährdung in Deutschland. Und wahrscheinlich waren die Statistiker in Wiesbaden selbst erschrocken, als sie feststellen mussten, dass die Armutsgefährdung gerade in den westdeutschen Bundesländern gestiegen ist. „Hartz IV“ lässt grüßen.

Noch immer versuchen CDU und SPD, das 2005 gestartete „Hartz IV“-Projekt als Erfolg zu verkaufen, verweisen auf steigende Erwerbstätigenquoten und sinkende Arbeitslosenzahlen. Nur ist all das ziemlich nutzlos, wenn gleichzeitig die Einkommen von immer mehr Menschen unter die Armutsgefährdungsschwelle sinken und sie vor allem dauerhaft in Verhältnissen landen, in denen sie zwingend auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.

Den Effekt kann man besonders in den deutschen Großstädten beobachten.

„Die Armutsgefährdungsquote lag im Jahr 2015 in allen westdeutschen Bundesländern außer Hamburg über dem Niveau des Jahres 2005“, teilte das Statistische Bundessamt mit. Der Anstieg des Armutsrisikos war „in den letzten 10 Jahren in Nordrhein-Westfalen am stärksten. Dort erhöhte sich das Armutsrisiko im Vergleich zum Jahr 2005 um 3,1 Prozentpunkte auf 17,5 % im Jahr 2015. In Berlin (+ 2,7 Prozentpunkte) und Bremen (+ 2,5 Prozentpunkte) war der Anstieg des Armutsrisikos im Jahr 2015 gegenüber 2005 ebenfalls überdurchschnittlich.“

Im Osten gingen die Zahlen zwar zurück. Dafür ist das Niveau der Armutsgefährdung dort deutlich höher: „Mit Ausnahme von Berlin war die Armutsgefährdung in allen östlichen Bundesländern im 10-Jahres-Vergleich rückläufig. Am stärksten war der Rückgang um jeweils 2,4 Prozentpunkte in Brandenburg (2015: 16,8 %) und Mecklenburg-Vorpommern (2015: 21,7 %), gefolgt von Sachsen-Anhalt mit einer Verringerung um 2,3 Prozentpunkte (2015: 20,1 %).“

In Sachsen sank der Anteil der Armutsgefährdeten gegenüber dem Jahr 2005 nur leicht von 19,2 auf 18,6 Prozent, tatsächlich steigt sie wieder.

Für die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Susanne Schaper, also kein Grund zur Entwarnung: „Die offizielle Statistik belegt es: Trotz zwischenzeitlicher wirtschaftlicher Belebung ist die Armutsquote in Sachsen Ende 2015 gegenüber dem Vorjahr leicht auf 18,6 Prozent gestiegen. Damit verharrt sie seit 2005, dem Einstiegsjahr der Hartz-IV-Regelungen, auf hohem Niveau. Das bestätigt erneut: Hartz IV hat in keiner Weise zur sozialen Entspannung geführt, wie von sächsischen Regierungskreisen bis heute stoisch behauptet. Vielmehr kam es zu einer Verfestigung sozialer Notlagen.“

„Hartz IV“ hat – obwohl anderes behauptet wurde – nicht dazu geführt, dass Menschen leichter den Einstieg in eine besser bezahlte Erwerbsstellung schaffen. Im Gegenteil: Es hat die Armut in einem Tei der Gesellschaft verfestigt und Milieus noch undurchlässiger gemacht.

Zur Berechnung der Quote: Die Armutsgefährdung wird anhand des Medians der Einkommen in der Bundesrepublik ermittelt. Median heißt: Die Hälfte aller Einkommen liegt drüber, die Hälfte liegt drunter. Man hat es also sowieso schon mit der unteren Hälfte aller Einkommen zu tun. Davon wird dann ein Wert von 60 Prozent ermittelt. Wer weniger Einkommen hat, gilt – aus Sicht der Statistiker – als armutsgefährdet. Der Wortteil „gefährdet“ kommt deshalb vor, weil damit auch Einkommen von Personengruppen erfasst werden, die naturgemäß niedrig liegen, und die zumindest die Chance auf später deutlich höhere Einkommen haben dürfen – Azubis zum Beispiel oder Studierende.

Wer aber in scheinbar normalen Lebensumständen in diesem Einkommensniveau leben muss, der ist eben nicht nur armutsgefährdet, sondern wirklich arm – und auf staatliche Beihilfen angewiesen. Wofür der Staat übrigens selbst sorgt: Auf keine andere Bevölkerungsgruppe greift er finanziell so rigide durch wie auf „Hartz IV“-Empfänger, zwingt sie zum Aufbrauchen ihrer Ersparnisse und nimmt ihnen damit auch noch die Handlungsmöglichkeit in Notfällen. Der Staat als Zuchtmeister.

Aber das ganze „Hartz IV“-System nutzt sichtlich nichts, um die Armut als manifesten Gesellschaftszustand abzubauen. Im Gegenteil: Die Armut wächst – trotz guter Konjunktur.

„Zwar hat sich der Abstand zwischen alten und neuen Bundesländern in der Summe etwas verringert, aber eine scharfe Trennlinie zwischen Ost und West besteht nach wie vor. So belegt Sachsen unter den 13 Flächenländern lediglich den 10. Platz und bleibt auch im ostdeutschen Vergleich nur Mittelmaß, wird von Brandenburg weit übertroffen und liegt im Wesentlichen auf dem Niveau von Thüringen“, betont Susanne Schaper. „Ein von uns seit längerem beobachteter Befund wird erneut deutlich: Armut ist in großstädtischen Ballungsgebieten stärker als in Landkreisen verbreitet. So ist die Quote in Leipzig mit 25,1 Prozent am höchsten; aber selbst Dresden übertrifft inzwischen mit 20,1 Prozent den sächsischen Durchschnitt von 18,6 Prozent. Gerade das muss die sächsische Staatsregierung endlich aufrütteln. Wir brauchen einen gerechten Soziallastenausgleich, finanziert aus Landesmitteln.“

Dabei war die Leipziger Armutsquote nach den Krisenjahren 2008 bis 2010 wieder am sinken, lag 2014 kurzzeitig bei 24,1 Prozent. 2005 hat sie übrigens mal bei 23,9 Prozent gelegen. Die Erhöhung der Erwerbstätigenzahl in Leipzig ging also mit einer Erhöhung der Armutsquote einher. Und das nicht gemessen am Leipziger Einkommensniveau, sondern immer am Bundesmedian. Das kann man nicht anders interpretieren als mit dem rasanten Wachstum prekärer Beschäftigungsverhältnisse (Leipzig ist bis heute die Hauptstadt der prekären Beschäftigung in Sachsen) und der bis 2014 massiv forcierten sächsischen Niedriglohnpolitik.

Eines scheint ziemlich deutlich: Mit dem „Hartz IV“-System wird man diese verfestigte Armut für ein Viertel aller Leipziger nicht abbauen können. Dazu ist dieses System völlig ungeeignet. Wofür dann auch der Anstieg des Armutsquotienten insbesondere in westdeutschen Großstädten spricht: Sie sind zwar die Motoren der Wirtschaftsentwicklung, können aber nicht auch gleichzeitig die Verfestigung von dauerhafter Einkommensarmut lösen.

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