Es ist, als wolle die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) der großen alten Dame SPD wieder ein bisschen Leben einhauchen, ein bisschen Mut, sich wieder für ihre alten Ideale einzusetzen, die sie in den vergangenen 20 Jahren so freimütig verramscht und vergessen hat. Wieder mal Flagge zeigen gegen Ungleichheit und für eine gerechtere Gesellschaft. Mit Steuern könnte man steuern. Lang ist das her.
Jedenfalls hat sie auch einen Text der beiden Wirtschaftswissenschaftler Sarah Godar und Achim Truger mit in die WiSo-Reihe („Wirtschafts- und Sozialpolitik“) aufgenommen, in dem die beiden der Frage nachgehen: „Die Rückkehr der progressiven Steuerpolitik?“
Dass es keine Analyse für die Partei der Reichen und Gutgenährten ist, wird ziemlich schnell klar. Den größten Teil der 32 Seiten nutzen die beiden, um die Steuerpolitik der westlichen Länder insbesondere seit der Finanzkrise zu untersuchen. Denn die war auch in der Steuerpolitik eine Zäsur. Die einen hat sie aufgeschreckt, die anderen in Verteidigungsmodus versetzt. Denn zumindest einigen Politikern wurde da spätestens klar, dass es die ganze Zeit um die Verteilung – am Ende sogar den organisierten Raub – gesellschaftlichen Reichtums geht. Das Wachstum war in vielen Ländern nur noch ein fiktives, betraf nur noch die Finanzmärkte, die sich mit immer mehr faulen Papieren aufblähten, während einige Akteure den Volkswirtschaften Milliarden und Billionen entzogen.
Mit der Blase platzte auch der Irrglaube, man könne mit Geld noch mehr Geld verdienen und die Nationen würden dadurch wie durch ein Wunder zu Wohlstand kommen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Einkommensungleichheit wuchs.
Und – das ist jetzt Thema dieser Analyse – die wirklich Reichen und Gutverdienenden zahlten immer weniger Steuern, trugen – wie ein gewisser Herr Trump in Amerika – nicht mehr zum gesellschaftlichen Wohlstand bei, während sich die Steuerlasten der kleinen Einkommen massiv erhöhten.
Und dabei galt doch bis 2007 nur ein Spruch (und die Blitzmerker der CSU sind da irgendwie stecken geblieben): Nur Steuern runter ist das Patentrezept für Wachstum.
Wie es aussieht, ist die Sache komplexer.
„Anlässlich der Finanz- und Wirtschaftskrise und der unrühmlichen Rolle vieler Finanzmarktakteure bei ihrer Entstehung wurde die dramatisch angestiegene Einkommens- und Vermögenskonzentration international thematisiert. Viele Befürworter_innen einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung hofften im Zuge dessen auf eine weitgehende verteilungspolitische Wende. Was ist daraus geworden?“, fragen die beiden Autoren. „Welche steuerpolitischen Spuren hat die Wiederentdeckung der Verteilungsfrage durch eine breite Öffentlichkeit bisher hinterlassen? Hat sich die progressive Steuerpolitik aus der Defensive befreit, und welche konkreten Maßnahmen wurden in der Europäischen Union umgesetzt?“
Ihre Analyse zeigt, dass eine ganze Reihe von Staaten und Regierungen zumindest leichte Korrekturen vorgenommen haben und vor allem den wilden Wettlauf um immer niedrigere Vermögens-, Unternehmens- und Spitzensteuern beendet oder zumindest gebremst haben. Denn bis 2007 waren sie ja allesamt wie närrisch, hat ein Land dem anderen versucht die großen Unternehmen abzujagen, indem es mit ruinösen Steuersparmodellen lockte.
Die Steueroasen sind noch lange nicht ausgetrocknet, die Paradiese der Steuerminderer existieren noch. Keine Frage. Denn all jene Regierungen, die ihre Steuereinnahmen so blindlings zur Verhandlungsmasse für internationale Konzerne gemacht haben, haben dabei auch Macht eingebüßt. Sie sind abhängig geworden von diesen Kolossen, die entsprechend massiv Einfluss nehmen auf Parteien, Gesetze, selbst die EU. TTIP und CETA sind Produkte dieser Zeit.
Und die großen Steuertrickser haben jede Menge Spielgeld, nicht mehr nur Staaten, sondern auch einen Koloss wie die EU zu erpressen.
Meist kommt es ganz moralisch mit Schlips und Kragen aus der Ecke, als dickbackige Forderung, endlich mal wieder die Steuern zu senken. Womit stets die Steuern der Gut- und Besserverdienenden gemeint sind.
Übrigens ein platter Gedanke, der in vielen Wirtschaftslehrbüchern dasteht wie der Weisheit letzter Schluss.
„In den letzten Jahrzehnten wurden das Stabilisierungs- und das Distributionsziel zunehmend dem Allokationsziel untergeordnet. In manchen finanzwissenschaftlichen Lehrbüchern wird die Stabilisierungsfunktion von Steuerpolitik mit dem Verweis auf Makroökonomie-Lehrbücher gar nicht mehr behandelt (z. B. Salanié 2011). Das Verteilungsziel wurde zunehmend als Hindernis für ein effizientes Steuersystem betrachtet und nicht mehr als eigenständiges Ziel“, schreiben die beiden Autoren der Studie. Und das ist schon eine deutliche Kritik an einer Wirtschaftslehre, die sich ganz und gar dem Reichtum angedient hat und den Rest der Gesellschaft nur noch als störend empfindet. „Auch verschob sich die Aufmerksamkeit von der Betrachtung der gesamten Einkommensskala hin zur Armutsbekämpfung am unteren Rand der Verteilung. Dabei gerieten sehr hohe Einkommen und Vermögen und die relativen Einkommenspositionen aus dem Fokus, und die Debatte konzentrierte sich nur noch darauf, der untersten Einkommensklasse ein Existenzminimum zu gewährleisten.“
Was freilich dafür sorgt, dass der ganze Unterbau der Gesellschaft immer starrer und mutloser wird. Erst recht, wenn auch noch ein Bestrafungssystem wie in deutschen Jobcentern eingeführt wird. Trocken Brot und Peitsche für die ganz da unten? Was soll das auf die Dauer ergeben?
Gleichzeitig aber kannten die diversen Regierungen keine Scheu, denen da unten auch noch mehr Steuern aufzuhalsen. Indirekte Steuern nennen die sich und jeder muss sie bezahlen, egal, was einer dafür kauft.
Und das hat man dann wieder mit einer falschen These aus dem Kochbuch der Neoliberalen unterfüttert: „Die Degradierung der Verteilungsfrage zum Härtefallausgleich am unteren Rand der Verteilung folgt der Annahme, dass Eingriffe in die vom Markt erzeugte Primärverteilung schädlich für das Wachstum seien. Dabei ist es fraglich, ob die angebliche Wachstumsfeindlichkeit einkommensbezogener Steuern tatsächlich ein so relevantes Ausmaß hat, das es rechtfertigen würde, das politische Handeln danach auszurichten.“
Das ist alles Mathematik, bekanntlich nicht so sehr die Stärke von Politikern. Da geht es um Prozentsätze und die Frage: Was bleibt von kleinen Einkommen übrig, wenn die Steuerbelastung steigt? Und was von großen Einkommen, wenn die Steuer nicht progressiv mit den Einkommen steigt, sondern gedeckelt ist – nämlich da, wo die Laufburschen der Gutverdiener immer nach einer „Glättung“ rufen, weil ihnen die Progression zu hoch ist?
Aber was mal eine Tugend der Sozialdemokraten war – nämlich die Suche nach einem leidlich gerechten Steuersystem – ist bei diesem ganzen Geschrei nach Steuersenkungen fast in Vergessenheit geraten.
Und die Erkenntnis, die Godar und Truger gewinnen, ist ziemlich ernüchternd. Die Folgen der Finanzkrise haben die Verfechter eines gerechteren Steuersystems keineswegs wieder in eine starke Position gebracht. Sie kämpfen wieder (oder noch) mit den alten Heerscharen, die gar nicht bereit sind, von ihren vor 2007 erworbenen Vergünstigungen zu lassen. Dass die westlichen Gesellschaften immer instabiler werden, weil die zunehmende Ungleichheit auch immer mehr Chancenlosigkeit für immer größere Teile der Bevölkerung bedeutet, interessiert diese Spieler des großen Geldes nicht.
Ergebnis: „Von einer progressiven Wende zu sprechen wäre jedoch verfehlt. Schließlich stieg die Steuerbelastung auch für die unteren und mittleren Einkommen, zum Teil in Form von Sonderaufschlägen auf die Einkommensteuer, in der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten aber in Form von steigender Konsumbesteuerung“, stellen die beiden Autoren fest.
Es waren also vor allem die niedrigen Einkommen, die ordentlich zur Kasse gebeten wurden, um die Folgen der Finanzkrise abzufedern.
„Die gestiegene Aufmerksamkeit für die Verteilungsschieflage hat die steuerlichen Maßnahmen der Nachkrisenzeit also nur so weit beeinflusst, dass eine gewisse Beteiligung der hohen Einkommensgruppen an den Kosten der Krise aus sozialen Gründen für erforderlich gehalten wurde. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das unterste Einkommensquintil nach wie vor der größte Verlierer ist, während sich die oberen Einkommen bereits einigermaßen erholt haben. Ein Umsteuern in Form von gezielter steuerpolitischer Umverteilung ist bisher nicht zu erkennen, zumal gerade die Mehrbelastungen bei der Einkommensteuer nur vorübergehend vorgenommen wurden, während dies für die Mehrwertsteuererhöhungen in den meisten Fällen nicht gilt.“
Die Autoren haben zwar alle westeuropäischen Staaten untersucht. Aber die Bundesrepublik gehört mit in dieses Bild.
Und weil es so ist, kocht es in fast allen Staaten, haben Populisten Zulauf, radikalisieren sich einige linke Bewegungen, geraten Euro und EU unter Beschuss.
Ein bisschen Hoffnung verbreiten die beiden trotzdem, denn die Sache mit den ganzen Steueroasen geht mittlerweile auch vielen konservativen Politikern gegen den Strich: „Gleichzeitig haben die Staaten bewiesen, dass durch internationale Kooperation Steuerhinterziehung und -umgehung wirksam bekämpft werden können. Die Spielräume für eine stärkere Heranziehung der Kapitaleinkommen und Vermögen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben dürften sich daher zukünftig wieder vergrößern. Der öffentliche Bedarf ist nicht zu übersehen. Die Mittel und Wege sind bekannt. Es ist Zeit für eine echte progressive Wende in der Steuerpolitik.“
Wenn das kein Appell an Sigmar Gabriel und Genossen ist, was dann?
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