Es gibt immer noch ein paar flankierende Zahlen zu den diversen jüngeren Arbeitsmarktmeldungen und den Analysen zum Mindestlohn und seiner Rolle. Ein paar hat jetzt Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) wieder zusammengepackt. Sie zeigen sehr deutlich, wie der Osten gerade in ein Fachkräftedilemma hineinrauscht.
Wie schwer es in seinen Wirkungen wird, das entscheidet am Ende die Politik – ob sie die Kurve bekommt oder weiter im Rausch der verödenden Provinz weitertanzt. Denn in allen ostdeutschen Bundesländern sinken derzeit die Zahlen der Arbeitsuchenden und der Arbeitslosen massiv. Im Vorjahresvergleich zwischen 5,0 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 7,1 Prozent in Sachsen (Arbeitsuchende) und zwischen 4,6 Prozent in MeckPomm und 9,1 Prozent in Sachsen bei den Arbeitslosen.
Da kann kein einziges westdeutsches Bundesland mithalten. Nicht mal Bayern, wo die Zahl der Arbeitsuchenden sogar um 2,1 Prozent stieg. Es gibt sogar westdeutsche Bundesländer, wo die Zahl der Arbeitslosen gestiegen ist – wie im Saarland um 3,1 Prozent.
All das liegt natürlich nicht daran, dass im Osten so besonders viele neue Unternehmen aus dem Boden schossen. Hier sinkt die Zahl der von SGB Abhängigen schlicht dadurch, dass nicht mehr genug Nachwuchs für den Arbeitsmarkt ankommt. Die niedrigen Geburtenzahlen der 1990er Jahre haben jetzt ihre deutlichsten Folgen. Und die Reserven, die 2010 – als die halbierten Ausbildungsjahrgänge im Markt ankamen – noch da waren, sind abgeschmolzen. All die Jugendlichen, die vor 2010 einfach kein Jobangebot bekamen, all die Selbstständigen, die vor „Hartz IV“ geflohen waren und lieber eine schlecht funktionierende Firma gründeten, als sich im Jobcenter schikanieren zu lassen, mittlerweile auch immer mehr Minijobber. Der 2015 eingeführte Mindestlohn hat den Trend nicht gebrochen, im Gegenteil. Jetzt kommt die Reservenerschließung auch endlich bei jenen an, die noch vor fünf Jahren mit einem trockenen „Tschüss“ aus den Betrieben verabschiedet wurden: den über 50-Jährigen. Sie werden immer öfter im Unternehmen gehalten. Wer Fachkräfte hat, riskiert nicht mehr, sie für immer zu verlieren.
Und trotzdem wird das nicht reichen. Gerade Sachsen liegt in allen Bereichen, was das Abschmelzen der „Arbeitsmarktreserven“ betrifft, an der Spitze. Auch beim SGB II, obwohl die Zahlen erst mal verblüffen, wenn man bedenkt, wie langsam die SGB-II-Quote in der Stadt Leipzig sinkt.
Aber Leipzig und Dresden wirken ja weit über ihre Stadtgrenzen hinaus und beschaffen tausenden Menschen aus umliegenden Landkreisen neue Jobs. Das sorgt in den Landkreisen für einen massiven Rückgang der Zahlen im Land. Denn wer mobil und flexibel ist, der folgt dem Ruf. Der pendelt oder zieht gleich in die große Stadt. Und so sinkt das Gesamtniveau derer, die in Sachsen von SGB II abhängig sind, stärker als in allen anderen Bundesländern – von Juni 2015 bis Juni 2016 um 19.180 Personen oder 8,8 Prozent.
Das sind nur die Arbeitssuchenden im SGB II. Bei den Arbeitslosen im engeren Sinn sank die Zahl um 11.675 oder 9,3 Prozent. Da können eigentlich nur Berlin mit 8,3 Prozent oder Thüringen mit 7,6 Prozent mithalten. Die haben natürlich mit denselben Phänomenen zu tun. Und wo Berlin selbst die Metropole ist, die vor allem attraktiv ist zur Schaffung neuer Jobs in der Dienstleistungsbranche, spielen in Thüringen Städte wie Jena und Erfurt die Rolle, die in Sachsen Leipzig und Dresden spielen.
Und man darf nicht vergessen: Hinter den Zahlen steckt ein permanenter Wanderungsprozess von jungen Menschen, die der Ausbildung und der Arbeit hinterherziehen in die großen Städte. Ein zunehmender Konzentrationsprozess, der natürlich die ostdeutschen Strukturen verändert.
Die Frage ist dabei vor allem: Gehen diesem Prozess irgendwann die Arbeitskräfte aus? Oder bleiben die Knotenpunkte, die wachsenden Städte, dabei so attraktiv, dass der Prozess weiterläuft, auch wenn die lokalen Arbeitsmarktreserven aufgebraucht sind? Manches deutet darauf hin, dass das eng mit der Attraktivität der Hochschulstandorte zusammenhängt und mit der Entstehung neuer Forschungslandschaften und moderner Dienstleistungs-Cluster.
In eigener Sache
Jetzt bis 8. Juli für 49,50 Euro im Jahr die L-IZ.de & die LEIPZIGER ZEITUNG zusammen abonnieren, Prämien, wie zB. T-Shirts von den „Hooligans Gegen Satzbau“, Schwarwels neues Karikaturenbuch & den Film „Leipzig von oben“ oder den Krimi „Trauma“ aus dem fhl Verlag abstauben. Einige Argumente, um Unterstützer von lokalem Journalismus zu werden, gibt es hier.
Keine Kommentare bisher