Ab und zu gibt es ja so einen Kommentar: „Der Begriff Nachhaltigkeit wird aber ganz schön inflationär gebraucht.“ Wird er auch. Stimmt. Ganze Rudel von Unternehmen, die nicht mal daran denken, ihre Produktion nachhaltig zu machen, waschen sich damit weiß. Was aber nichts daran ändert, dass es ohne Nachhaltigkeit keine Zukunft gibt. Wenn wir unsere Lebensgrundlagen zerstören, war's das. Und wie nachhaltig wächst nun Leipzig? Gar nicht.
Das Leipziger Wachstum ist auf Luft gebaut. Es ist ein Wachstum auf Pump. Denn wie Menschen so sind: Sie machen einfach ihren alten Stiebel und glauben, ein paar kosmetische Korrekturen reichen aus, schon hat man „was für die Umwelt getan“ oder wie die Phrasen sonst noch so heißen.
Große Städte sind die Rettungsbojen der Gegenwart. Sie wachsen nicht, weil sie so besonders zukunftsfit sind, sondern weil ringsherum die Strukturen gerade fröhlich den Bach runtergehen. Das hat viele Gründe. Die sind für sich zu beleuchten.
Aber dass diese Gründe am Wirken sind, merkt man an den Leipziger Entwicklungen. An der Zuwanderung genauso wie am Wohnungsbau, um nur zwei Punkte zu nennen, die im aktuellen Quartalsbericht der Stadt aufscheinen, den Leipzigs Statistiker am Donnerstag, 26. Mai, vorgestellt haben.
Über die Zuwanderung freuen sich ja alle möglichen Leute. Um 15.575 wuchs Leipzigs Bevölkerung 2015, über 10.000 davon waren Menschen mit Migrationshintergrund. Da wirkte sich die aktuelle Flüchtlingssituation aus und sorgte noch einmal für einen Zuwanderungsrekord, während eine andere Zahl leicht zurückging: der Wanderungsgewinn durch Menschen, die vorher schon in deutschen Landen ansässig waren. Nachdem dieser Zuwachs 2013 und 2014 über 6.000 gelegen hatte, ist er nun erstmals wieder unter die 6.000 gefallen. Denn so langsam wird spürbar, dass jene Gebiete, aus denen Leipzig in den letzten Jahren seine Hauptzuwanderung bekam, so langsam leer gezogen sind.
Schon in den letzten Jahren waren dabei immer mehr junge Menschen zwischen 25 und 35 gewesen, die also schon Beruf und Familie hatten und deswegen auch ihre Kinder mitbrachten nach Leipzig. Was das für die Regionen bedeutet, die sie verlassen, weiß man eigentlich. Das ist ein sich selbst verstärkender Prozess. Und wie sich dieser Prozess binnen vier Jahren verstärkt hat, das machen im Quartalsbericht Mareike Mierau und Andrea Schlutz deutlich. Sie haben nämlich einmal in Karten aufgezeigt, wie groß das Einzugsgebiet der drei großen sächsischen Städte ist. Das größte Einzugsgebiet hat natürlich Leipzig. Es umfasst nicht nur fast komplett Sachsen und große Teile Thüringens, Sachsen-Anhalts und Brandenburgs, sondern reicht bis nach Vorpommern, Niedersachsen und in Teile von Hessen.
Leipzig wirkt mittlerweile deutschlandweit wie ein Magnet, hat mit fast dem ganzen Bundesgebiet einen positiven Wanderungsaldo – nur ein Kreis sticht deutlich heraus: der Landkreis Leipzig, der vom Leipziger Wachstum dadurch profitiert, dass viele gut verdienende Menschen lieber dort ihren Wohnsitz suchen und zur Arbeit nach Leipzig pendeln.
Es gibt auch wieder einen einschlägigen Beitrag zum Pendeln im Quartalsbericht. Und auch dort wurde 2015 ein neuer Rekord verzeichnet. Dumm nur, dass die Statistiker aus den Daten der Arbeitsagentur nicht herauslesen können, wie oft und mit welchem Verkehrsmittel die 93.787 Menschen unterwegs waren, die mit Arbeitsort in Leipzig registriert waren, mit ihrem Wohnort aber außerhalb. Oder die 55.742 Leipziger, die raus aus der Stadt zur Arbeit gependelt sind.
Aber da sind wir jetzt einfach frech und befragen die Bürgerumfrage von 2013, weil es da eine besondere Auswertung gab, nämlich mit welchem Verkehrsmittel die Leipziger zur Arbeit unterwegs sind – unterschieden nach innerhalb und außerhalb Leipzigs. Simple Erkenntnis: 81 Prozent der Leipziger, die außerhalb jobben, waren mit Pkw oder Motorrad unterwegs.
Das ist nicht nachhaltig.
Eindeutig nicht. Unter anderem trägt es zu den in der Rushhour verstopften Straßen bei, zu riesigen Flächenversiegelungen für Parkplätze, für Parkplatzprobleme in der Stadt, Energieverschwendung usw. Und je mehr die Wirtschaft um Leipzig brummt, umso mehr Leute sind mit Pkw unterwegs. Unter anderem auch, weil die ÖPNV-Verbindungen nicht an die Gewerbestandorte angepasst sind. Und alle wissen: Die Zahl der Firmen und der Arbeitsplätze wächst. Das ist der Sprit in Leipzigs Motor, der auch die Leute aus der ganzen Region dazu bringt, nach Leipzig zu ziehen. Denn viele haben irgendwann die Nase voll vom Pendeln, wollen doch lieber dort wohnen, wo die Jobs sind.
Das steht jetzt nicht in Peter Dütthorns Beitrag „Berufspendler 2015“ im Quartalsbericht, sondern in einem Beitrag, den Andrea Schultz mit „Sozialstruktur wird durch städtisches Wachstum beeinflusst“ überschrieben hat. Darin wertet sie aus, worin sich Leipziger, die erst seit Kurzem (max. 5 Jahre) hier wohnen, an Qualifikation und Erwerbsstatus von denen unterscheiden, die schon länger da sind.
Bei jungen Leuten (18–24 Jahre) ist klar: Die meisten Zuzügler (74 Prozent) stecken noch in der Ausbildung. Das Ergebnis hätte man genau so erwartet.
Viel interessanter ist ein Ergebnis bei den 35- bis 44-Jährigen, der Altersgruppe, die eigentlich schon mitten im Erwerbsleben steht, Familie gegründet und Kinder bekommen hat. Hier fällt auf, dass die Arbeitslosenrate der schon länger in Leipzig Wohnenden bei 6 Prozent liegt (offizielle Gesamtarbeitslosenquote in Leipzig 2015: 8,8 Prozent), bei den Neuankömmlingen in der Altersgruppe aber lag der Anteil der Arbeitslosen bei 17 Prozent. Die Zahl haben die Statistiker natürlich noch einmal auseinandergenommen. Bei Frauen in dieser Gruppe lag die Arbeitslosigkeit bei 22Prozent, bei Männern bei 13 Prozent.
Womit beiläufig eines der vielen Motive sichtbar wird, die mittlerweile auch die Menschen in der mittleren Altersgruppe nach Leipzig ziehen. Ruth Schmidt, Leiterin des Amtes für Statistik und Wahlen, erklärt es so: Da scheint in der Regel ein Ehepartner schon einen Arbeitsplatz in Leipzig gefunden zu haben, der andere noch nicht. Aber wie das in Sachsen so ist: Von einem Job allein kann man hier keine Familie ernähren, beide Elternteile brauchen Arbeit.
Aber da sie nicht mehr auf das Wunder hoffen, dass dieser zweite Arbeitsplatz in ihrer ländlichen Region entsteht, packt die ganze Familie die Koffer und zieht nach Leipzig in der Hoffnung, dort auch noch den zweiten Arbeitsplatz zu finden. Was wahrscheinlich auch genauso passiert. Wenn nicht gleich, dann etwas später. Selten wird so deutlich, wie es die simpelsten wirtschaftlichen Grundbedingungen sind, die Menschen dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen.
Nachhaltig ist das nicht. Im Gegenteil. Für die verlassenen Regionen ist es tödlich. Und für Leipzig eigentlich unbezahlbar. Denn das Dumme ist: Die Leipziger Steuereinnahmen wachsen nicht mit. Aber mit Steuern und Wohnraum beschäftigen wir uns im nächsten Beitrag.
Vielleicht kommt ja so eine Ahnung auf, was nachhaltig ist und was nicht.
Der Statistische Quartalsbericht I / 2016 ist im Internet unter www.leipzig.de/statistik unter „Veröffentlichungen“ einzusehen. Er ist zudem für 7 Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) beim Amt für Statistik und Wahlen erhältlich.
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