Ein typisch Leipziger Problem, könnte man sagen. Die Stadtbevölkerung wächst, die Zahl der Arbeitsplätze steigt. Es müssten jetzt an allen Ecken neue Kitas, Schulen und Wohnhäuser gebaut werden. Aber beim Geld klemmt es. Die Steuereinnahmen der Stadt steigen nicht so schnell wie die Bevölkerungszahl. Aber wie soll dann das Wachstum finanziert werden?
Der Hauptgrund für das Problem ist natürlich die Art der Steuerverteilung in Deutschland. Größte Einnahmequelle der Kommunen sind immer noch die Gewerbesteuern. Wenn sich in einer Stadt große Unternehmen ballen, die auch entsprechend hohe Gewinne erwirtschaften, haben die Kommunen immer Teil an ihrem Erfolg. Doch auch 25 Jahre nach der deutschen Einheit sind diese großen Unternehmen fast alle in den westlichen Bundesländern und in Berlin heimisch. Das größte mit Hauptsitz in Leipzig ansässige Unternehmen ist die VNG. Auch deshalb kämpft die Stadt mit allen Möglichkeiten um einen Erhalt dieses Energieversorgers für Leipzig.
Andererseits wirkt sich das seit 2001 kontinuierlich steigende Bruttoinlandsprodukt in Leipzig natürlich auch bei den Steuereinnahmen der Stadt aus. Denn an den Umsatz- und Einkommenssteuern ist die Stadt ja mit niedrigen Prozenten ebenfalls beteiligt.
Wobei das Jahr 2001 durchaus auffällt. Denn während sachsenweit der Wirtschaftsaufschwung erst ab 2006 spürbar wurde, ist er beim Leipziger Bruttoinlandsprodukt schon ab 2001 ablesbar. Zu einer Zeit also, als sich selbst die Schröder-Regierung noch von einer aufgebrachten Opposition vor sich her treiben ließ mit dem Argument, sie würde „den kranken Mann Europas“ einfach nicht aus der wirtschaftlichen Depression holen können – was Gerhard Schröder und die SPD dann ja mit ihrer „Agenda 2010“ zum großen Kniefall vor der erzürnten Wirtschaftsgesellschaft brachte – etwas, was SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel mittlerweile durchaus als größten Fehler der jüngeren SPD-Geschichte bezeichnete. Denn dieses Preisgeben der Grundmaxime Gerechtigkeit hat der alten Sozialdemokratie mittlerweile die Hälfte ihrer Wähler gekostet.
Und tatsächlich hat die „Agenda“ wirtschaftlich eigentlich wenig bewirkt, außer einen riesigen Markt prekärer Beschäftigung zu schaffen. Die eigentlich wirksamen wirtschaftlichen Korrekturen wurden alle schon Jahre zuvor eingeleitet. Aber das ist dem auf News versessenen Publikum natürlich schwer beizubringen, dass gerade wirtschaftliche Korrektur-Prozesse in der Regel lange dauern. Fünf Jahre sind dafür eher die Untergrenze.
Wie sehr selbst ausgewachsene Politiker glauben, sie könnten wirtschaftliche Fehlentwicklungen quasi in einem kurzen Kraftakt korrigieren, zeigt ja der unbändige Glaube von 1990, man würde den Osten binnen 15 Jahren auf Westniveau hieven. 25 Jahre später ist man gerade bei 80 Prozent angekommen. Und die schlichte Wahrheit dabei ist: Das ist eine echte Leistung. Für beide Seiten, für die Aufbauhelfer genauso wie die Malocher im Osten.
Und dass in Leipzig die Wirtschaft schon 2001 begann, Fahrt aufzunehmen, hat natürlich mit einem Effekt zu tun, der sowohl in der Schröder-Ära als auch in der Merkel-Ära stets ausgeblendet blieb: Die Entwicklung hängt aufs engste zusammen mit der zunehmenden Metropolisierung und Digitalisierung der Wirtschaft. Und so etwas kommt nicht mit Feuerwerk – wie damals die ganze Blase der „Neuen Medien“, in die die wilden Zocker an den Börsen die Milliarden mit wahrer Besessenheit hineinpumpten und damit elementar zum Platzen der Dotcom-Blase 2000/2001 beitrugen. Solche Prozesse brauchen Zeit, gerade weil wirklich nachhaltige Umbauten und Investitionen Planung brauchen, Kreditierung, Justierung und – das ist der schwerste Teil – ein Umdenken bei den Kunden. Da rechnet man nicht in Quartalen, sondern in Mehr-Jahres-Schritten. Und muss auch damit rechnen, dass der Punkt, an dem die Sache endlich Rendite bringt, erst in fünf oder zehn Jahren kommt. Zeiträume, die in Deutschland geradezu halsbrecherisch sind, weil auch die hiesigen Förderprogramme darauf kaum angelegt sind.
Aber für Leipzig lässt sich feststellen: „Hartz IV“ kam 2005 zu einem völlig unsinnigen Zeitpunkt. In anderen großen deutschen Städten war es wohl genauso. 2005 überschritt das Leipziger Bruttoinlandsprodukt erstmals 12 Milliarden Euro, nachdem es fünf Jahre zuvor noch bei 10,6 Milliarden gelegen hatte. Und danach wuchs es kontinuierlich weiter. Auf 13 Milliarden im Jahr 2007, auf über 14 Milliarden im Jahr 2011. 2012 wurden erstmals die 15 Milliarden überschritten. Jüngere Zahlen zum Leipziger BIP liegen leider noch nicht vor, aber man kann wohl davon ausgehen, dass mittlerweile auch die 16 und die 17 Milliarden überschritten wurden.
Das wirkt sich seit 2015 auch erstmals spürbar auf das Einkommensniveau aus, aber weniger auf die Gewerbesteuereinnahmen.
Mit dem Ergebnis, dass Leipzig nach wie vor nur ein Drittel seines 1,4-Milliarden-Euro-Haushaltes aus eigener Steuerkraft finanzieren kann. Der ganze „Rest“ speist sich aus Zuweisungen von Bund und Land.
Die Steigerung in den Einahmen ist sichtbar. Von 2010 bis 2014 stiegen die Leipziger Steuereinnahmen von 342 auf 500 Millionen Euro, nach jüngeren Zahlen der Verwaltung waren es sogar 523 Millionen Euro. Darin enthalten ist auch der sprunghafte Anstieg der Grundsteuer ab 2011 um rund 20 Millionen Euro, ohne den Leipzig einige seiner Haushalte nicht zur Deckung hätte bringen können.
Aber die „Rekordsumme“ von 523 Millionen Euro bedeutetet eben doch nur knapp 38 Prozent im Gesamthaushalt von 1,4 Milliarden Euro.
Und die von Burkhard Jung einst gewünschten 400 Millionen Euro allein aus Gewerbesteuereinnahmen sind noch in weiter Ferne. 2013 wurde da erstmals die 200-Milionen-Marke überschritten. Und weil hier gerade kein regelrechter „Boom“ passiert, plant die Stadt auch eher sehr zurückhaltend mit Gesamtsteuereinnahmen um die 525 Millionen Euro. Ob das tatsächlich so kommt oder die Summe noch anzieht in den nächsten Jahren, weiß niemand. Wenn die Entwicklung so bleiben sollte, hat Leipzig ein Problem, denn bei stagnierenden Steuereinnahmen kann Leipzig die nötigen Investitionen für das Bevölkerungswachstum nicht finanzieren.
Ohne eine wirklich nachhaltige Reform der Kommunalfinanzierung in Deutschland kommt Leipzig aus dieser Klemme nicht heraus, denn tatsächlich muss die Stadt ja sogar vorinvestieren, das Geld ausgeben, bevor die jetzt prognostizierten Bevölkerungszahlen da sind und bevor die dann höheren Einkommenssteueranteile in das Stadtsäckel fließen.
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