Das rasante Wachstum der Großstädte in Sachsen hat auch noch andere Folgen - zum Beispiel für die Politik. Schon heute sind die drei sächsischen Großstädte im Sächsischen Landtag völlig unterrepräsentiert. Jahrelang wurde darum gefeilscht: Bekommt die Stadt Leipzig nun ein halbes oder ein ganzes zusätzliches Direktmandat? Selbst das Zugeständnis von 2014 ist heute völlig überholt.
2009 hatte Leipzig bei einer Einwohnerzahl von 518.000 gerade einmal 6,5 Wahlkreise und damit letztlich immer nur sechs Direktkandidaten, die für die Stadt in den Landtag einzogen. Der Wahlkreis „Leipzig 7“, den sich die Stadt mit dem Landkreis Nordsachsen teilte, ging immer wieder an den CDU-Abgeordneten Rolf Seidel, der sich in seiner Abgeordnetentätigkeit fast völlig auf den Landkreis konzentrierte.
In der letzten Regelung zum Sächsischen Wahlgesetz sah sich der Landtag dann zu einem leichten Zugeständnis bereit: Leipzig bekam – bei 544.000 Einwohnern – sieben volle Wahlkreise zugestanden. Zu diesem Zeitpunkt hätten es aber zwingend schon acht Wahlkreise bzw. Direktmandate sein müssen, die Leipzig zugeständen hätten. Ganz ähnlich in Dresden. Nur so hätte sich das durch die Bevölkerungswanderung wachsende Gewicht der Großstädte in der Landespolitik auch in der Zusammensetzung des Landtags widergespiegelt.
Durch die Überhangmandate im Landtag, die dadurch entstehen, wenn eine Partei (in diesem Fall die CDU) deutlich mehr Direktmandate bekommt als ihr prozentual Mandate insgesamt im Landtag zustehen, wird das Missverhältnis nur teilweise ausgeglichen. Erst recht, wenn man weiß, wie penibel und penetrant viele in Dresden ansässige Wirtschaftsverbände zwischen „richtigen“ – also Direktmandatsträgern – und „nur“ Listenmandatsträgern unterscheiden.
Das Wachstum der Großstädte aber ist so rasant, dass im Grunde heute schon über neue Regelungen zum Wahlgesetz für die nächste Landtagswahl im Jahr 2019 diskutiert werden müsste.
Denn allein wenn man die jetzt aktuell jüngste amtliche Einwohnerzahl für Leipzig nimmt (die für Oktober 2015), dann hat sich die hiesige Bevölkerungszahl gegenüber 2014 schon wieder um über 12.000 auf 556.727 erhöht. Die sächsische Einwohnerzahl ist übrigens auch gewachsen auf 4.073.646. Da der Zuwachs fast nur in den Großstädten passierte, wächst deren Gewicht weiter.
Und nun wird es spannend. Denn es macht auch 2019 einen Unterschied, ob die Stadt so wächst, wie es das Landesamt für Statistik prognostiziert hat – nämlich auf rund 592.000 Einwohner im Wahljahr. Oder ob die eigene Leipziger Prognose zutrifft, nach der es mindestens 622.000 Leipziger sein werden.
Wenn man davon ausgeht, dass die Prognose fürs ganze Land vielleicht einigermaßen zutrifft, dann könnten 2019 rund 4,16 Millionen Menschen im Freistaat Sachsen leben. Mit den vom Land prognostizierten 592.000 Einwohnern stünden Leipzig 8,5 Wahlkreise zu, eine Zahl, die ahnen lässt, dass Leipzig am Ende wieder froh sein kann, wenn es tatsächlich acht Wahlkreise zugestanden bekommt.
Aber wie ist es, wenn Leipzig weiter so rasant wächst wie in den vergangenen fünf Jahren? Wenn da tatsächlich eine 622.800 steht, wie von den Leipziger Statistikern ausgerechnet?
Dann würde die Stadt schon an den vollen 9 Direktmandaten kratzen. Von der Logik her müsste Leipzig die sogar bekommen, denn bis zur dann folgenden Wahl würde die Stadt (nach Leipziger Berechnung) auf 672.000 Einwohner wachsen. Es wäre schlicht notwendig, um die Interessen der Stadt tatsächlich zukunftsfähig in den Landtag einzubringen, dass das auch mit den nötigen (Direkt-)Abgeordneten im Landtag unterstützt wird.
Denn gegen Ende der 2020er Jahre wird die Entwicklung noch viel markanter. Dann überschreitet Leipzig eine Einwohnerzahl (Größenordnung: 690.000), die ihr eigentlich 10 Wahlkreise und damit auch 10 Direktmandate im Landtag bringen müsste.
Es sei denn, es kommt alles ganz anders. Zum Beispiel: Die Bevölkerung im Freistaat wächst stärker als erwartet. Oder wächst überhaupt weiter. Etwas, was sich die Landesstatistiker partout nicht vorstellen können. Sie nehmen ab 2025 wieder schrumpfende Einwohnerzahlen an. Aus ihrer Sicht hat sich die Schrumpfung der Sachsen mit der neuen Prognose nur um zehn Jahre vertagt.
Man kann eigentlich schon heute drauf wetten, dass sie auch diesmal daneben liegen.
Anders kommen könnte auch die Schwerpunktsetzung in der Landespolitik, die derzeit ihre Großstädte noch sehr stiefmütterlich behandelt. Dass sie in der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung das Tempo vorgeben, wird zuweilen geradezu mit wilder Abneigung wahrgenommen, weil das ja – im politischen Macht-Denken – eine „Schwächung“ der Landkreise bedeutet. Was es nicht bedeuten muss, wenn man einfach akzeptiert, dass die Metropolen „ihre“ Region mitziehen und eine Gießkannenpolitik übers ganze Land nur Geldverschwendung ist.
Aber da die „Landkreise“ den aktuellen Landtag dominieren, wird wohl auch die nächsten Jahre nicht mit einer sinnvollen Änderung der Politik zu rechnen sein. Es ist also damit zu rechnen, dass Sachsen sich weiter selbst ausbremst, weil die Landtagsmehrheit gern die alten Verhältnisse erhalten möchte, die aber sichtlich wegbrechen – und zwar mit jedem neuen Jahrgang junger Menschen, der in die Großstädte zieht, weil hier die Arbeitsplätze der Gegenwart entstehen.
Die jüngsten amtlichen Bevölkerungszahlen für Oktober 2015.
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