Einen kleinen – und auch für Statistiker – verblüffenden Hüpfer gab es in der neuen „Bürgerumfrage2015“ (deren Schnellbericht seit Dienstag vorliegt) beim Thema Mieten: 2015 scheinen die Nettokaltmieten erstaunlicherweise nach dem starken Anstieg 2014 von 5,08 auf 5,39 Euro je Quadratmeter wieder gefallen zu sein.
2015 scheinen laut Bürgerumfrage auf einmal die Mieten gesunken zu sein – auf 5,29 Euro je Quadratmeter.
Einen ähnlichen Effekt gab es übrigens auch schon mal 2005. Aber das liegt nicht am tatsächlichen Mietniveau, sondern an den Leipzigern, die sich an der Befragung beteiligt haben. Die 5,29 Euro sind auch kein Mittelwert, sondern der Median.
Und Median heißt: Die Hälfte aller Teilnehmer an der Bürgerumfrage gab an, mehr Nettokaltmiete zu zahlen als die 5,29 Euro, die andere Hälfte weniger. Da kann der Wert dann scheinbar sinken, wenn sich mehr angeschriebene Leipziger zurückmelden, die noch mit kulanten älteren Mieten wohnen. „Wir haben es hier mit Bestandsmieten zu tun“, betont Dr. Andrea Schultz, Abteilungsleiterin Stadtforschung im Amt für Statistik und Wahlen der Stadt Leipzig.
Da können die aktuellen Angebotsmieten durchaus schon in anderen Regionen sein – was sie für den aktuellen Neubau gerade in innerstädtischen Bereichen auch längst sind. Die Mehrheit der Leipziger wird sich diese Mietpreissprünge noch lange nicht leisten können. Dazu sind die Durchschnittseinkommen noch viel zu niedrig. Andererseits haben sie auch wenige Möglichkeiten auszuweichen. Denn die meisten Leipziger sind Mieter, da können die Bausparkassen und ihre politischen Vertreter noch so sehr trommeln: Stadtleben ist normalerweise ein mobiles Leben. Man baut sich kein (Schnecken-)Haus und klebt bis zum Alter an einer Stelle fest, sondern zieht um, wenn sich die Familie vergrößert oder verkleinert, wenn sich der Arbeitsort verlagert oder sich das Klima im Kiez verändert.
61 Prozent der 2015 befragten Leipziger betonten zwar, dass sie auf keinen Fall umziehen wollen. Aber wenn 39 Prozent mit dem Gedanken spielen, dann ist das Geschäftsfeld der Umzugsfirmen für die nächsten Jahre gesichert. Der Wert ist übrigens seit Jahren so hoch, war er auch schon 1993 und 2001, als ja bekanntlich noch ganz andere Rahmenbedingungen herrschten.
Womit eine alte These vom Tisch ist: Die Leipziger würden so oft umziehen, weil sie so eine riesige Auswahl freier Wohnungen in guten Wohnlagen hätten. Die These ist einfach Quatsch.
Und das führt uns auch zu einem Thema, das wir am Montag, 11. April, schon gestreift haben im Zusammenhang mit Familien, die auf SGB II angewiesen sind: den familiengerechten Wohnungsmarkt. Den hatte Leipzig in der Vergangenheit nur ansatzweise deshalb, weil ein Überangebot bezahlbarer Wohnungen in allen Stadtteilen zur Verfügung stand. Diesen Bestand gibt es nicht mehr. Und auch der nächste Wohnungsmarktbericht der Stadt wird bestätigen, was längst Realität ist: Einkommensschwache Familien werden zunehmend aus innerstädtischen Gebieten abgedrängt. Die Verfügbarkeit von Wohnraum wird nicht mehr über den tatsächlichen Bedarf definiert, sondern über die Zahlkraft des Mieters. Das hat mit Familiengerechtigkeit nichts (mehr) zu tun.
So schaffen sich die zahlungskräftigen Mieter zunehmend homogenisierte Stadtquartiere in bester City-Lage, während diejenigen, die sich höhere Mieten nicht leisten können, zunehmend über einen Umzug in einen anderen Stadtbezirk nachdenken (müssen). Denn das ist die Angabe, die seit Jahren am deutlichsten steigt, wenn nach den Umzugsgründen gefragt wird. 2009 lag der Wert mal bei 19 Prozent, 2015 waren es dann 28.
Das kann natürlich auch andere Beweggründe beinhalten, den Stadtbezirk zu wechseln – auch die Gelegenheit, mit höherem Einkommen in bessere Wohnlagen zu ziehen. Wahrscheinlich braucht es da eine genaue Analyse, wie sich das alles im Detail zusammensetzt.
Aber eines bestätigt die Bürgerumfrage jetzt schon: Die Stadt ist voll.
Denn wenn in Leipzig immer weniger (attraktive) freie Wohnungen gefunden werden, orientieren sich wieder mehr Leipziger (wie bis zum Jahr 2001) ins nähere Umland. Genau diese Zahl ist nämlich deutlich gestiegen: Wo 2014 noch 8 Prozent der Umzugswilligen sagten, sie würden „in die nähere Umgebung von Leipzig“ ziehen, waren es 2015 schon 11 Prozent. Das ist zwar erst mal nur eine Schwalbe. Richtig spannend wird es, wenn wieder die Werte von 1999 (16 Prozent) oder 1997 (24 Prozent) erreicht werden. Aber damals beschrieben die abgefragten Zahlen tatsächlich einen Trend, der schon länger im Gang war: Stadtflucht bzw. Suburbanisierung.
Genau dieser Trend aber scheint jetzt wieder in Gang zu kommen. Was sicher etlichen Gemeinden im Leipziger Umland wieder einen ordentlichen Bevölkerungsschub geben wird.
Aber das ist letztlich nur eine Ausweichbewegung. Denn damit reagieren die Betroffenen ja auch darauf, dass Leipzig es nicht schafft, wirklich zu einer kompakten und familiengerechten Stadt zu werden, die für alle Lebensphasen und Einkommensgruppen genug Angebote parat hält. Die Ersten sind gezwungen, auszuweichen, weil sie auf dem Leipziger (Wohnungs-)Markt keine guten Karten haben.
„Wir werden die Ergebnisse wieder genau unter die Lupe nehmen“, versprach Bürgermeister Ulrich Hörning, Beigeordneter für Allgemeine Verwaltung, am Dienstag. Aber solche Versprechen kennt man von Leipzigs Bürgermeistern nun seit Jahren. Und trotzdem tut man sich schwer, die Vorgänge am Wohnungsmarkt wirklich ernst zu nehmen und Lösungskonzepte zu entwickeln. Am liebsten überließe man das Thema ja den „Wohnungsmarktakteuren“. Aber das ist am Ende zu wenig, wenn man tatsächlich verhindern will, dass sich die Stadt dauerhaft und auf heillose Weise entmischt.
Was uns zur Frage eines klugen Kollegen bringt – auf die er am Dienstag auch nur eine vage Antwort bekam.
Gleich mehr dazu an dieser Stelle.
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