Richtig zuversichtlich war Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) am Dienstag, als er die neue Bevรถlkerungsprognose fรผr Sachsen vorlegte โ€“ zuversichtlich, dass sie nun die Entwicklung bis 2030 einigermaรŸen schlรผssig beschreiben kรถnnte. Fรผr Leipzig tut sie das aber auf keinen Fall, stellte Leipzigs OBM Burkhard Jung nun am Mittwoch, 20. April, fest.

Schon in der Vergangenheit differierten die Prognosen aus dem Kamenzer Landesamt fรผr Statistik und der von Leipzig beauftragten Expertengruppe deutlich. Die Leipziger Prognosen lagen jedes Mal deutlich hรถher. โ€žDa waren wir eigentlich immer ganz gutโ€œ, sagt Burkhard Jung.

Und trotzdem wurden auch die Leipziger Prognosen immer wieder รผbertroffen. Was Grรผnde hat.

Und die haben nur zum Teil damit zu tun, dass die sรคchsische Landesregierung die Abwanderung aus den lรคndlichen Regionen immer noch unterschรคtzt. Oder bewusst klein zu rechnen versucht, wie Burkhard Jung betont. Denn wenn man den radikalen Zeitenwechsel in der Wanderungsbewegung der letzten zehn Jahre ignoriert, muss man auch politisch nicht umsteuern und akzeptieren, dass das seit zwei Jahren zu verzeichnende leichte Bevรถlkerungswachstum in Sachsen allein durch die GroรŸstรคdte generiert wird.

Das hat Folgen fรผr das, was die Landesregierung so gern als โ€ždemografische Entwicklungโ€œ benennt, wofรผr sie aber keine Rezepte hat.

Fakt ist aber: Sie kann diesen Trend nicht ausbremsen. Denn er wird von Krรคften angetrieben, die jenseits der Landespolitik wirken.

Zu den dominierenden Trends der Zeit gehรถren:

  1. Infrastrukturen: Nur die GroรŸstรคdte bieten heute noch das komplette Angebot von Bildungs-, Einkaufs-, Gesundheits-, Betreuungs- und Arbeitsplatzversorgung, das junge Familien und Berufs- und Bildungseinsteiger brauchen.
  2. Nur die GroรŸstรคdte bieten noch ein attraktives Mobilitรคtsangebot, das auch ohne Auto den Zugang zu allen Angeboten ermรถglicht.
  3. Nur die GroรŸstรคdte bieten die nรถtigen Arbeitsplรคtze fรผr die steigende Zahl von Hochschulabsolventen. Hier konzentrieren sich auch die Forschungseinrichtungen.
  4. Deswegen konzentriert sich hier seit Jahren auch die Entwicklung der dienstleistungsgetriebenen Wirtschaft.
  5. Bestimmt kann man auch das breite Kulturangebot nennen.
  6. Aber noch wichtiger sind die Angebote zur beruflichen und persรถnlichen Selbstverwirklichung. Wenn eine Gesellschaft wie die westliche die individuelle Entfaltung derart stark promotet, ist es logisch, dass junge Menschen dorthin ziehen, wo sie das kรถnnen. Oder mal so formuliert: Die so gern zitierte โ€žwestliche Lebensartโ€œ ist eine Kultur der Metropolen. Deswegen gibt es den Effekt nicht nur in Sachsen, sondern in ganz Deutschland: Die groรŸen Metropolkerne wachsen, die lรคndlichen Rรคume entvรถlkern sich.
  7. Und deshalb wachsen auch nur die Metropolkerne und vor allem jene Orte im direkten Umfeld, die direkt und attraktiv mit dem ร–PNV angebunden sind. Im Fall Leipzig: alle Stรคdte, die mit der S-Bahn angebunden sind.

Das alles zusammen ergibt natรผrlich einen gewaltigen Drive in die attraktiven GroรŸstรคdte, die sich immer mehr zu Metropolkernen entwickeln. Stรคdte im Westen wie Mรผnchen, Frankfurt oder Hamburg sind da schon viel weiter. Aber gerade die rasanten Wachstumszahlen der letzten Jahre in Leipzig bestรคtigen, dass hier genau derselbe Effekt am Wirken ist. Und er wirkt schon lange รผber die direkt angrenzende Region oder Sachsen hinaus. Nur rund ein Drittel des Bevรถlkerungszuwachses wird noch aus Sachsen generiert. Lรคngst hat Leipzig mit ganz Deutschland einen positiven Wanderungssaldo.

2015 kam dann die Ankunft der Flรผchtlinge noch obendrauf.

โ€žWir wissen jetzt noch nicht, ob das Jahr 2015 in dieser Beziehung ein Ausnahmejahr warโ€œ, sagt Dr. Ruth Schmidt, die Leiterin des Amtes fรผr Statistik und Wahlen der Stadt. Man wisse auch nicht, wie sich die Wanderung der Asylsuchenden innerhalb Sachsens entwickeln wird, wenn sie sich ihren Wohnort selbst wรคhlen dรผrfen. Wandern sie dann ab aus Sachsen? Oder gehen sie in die GroรŸstรคdte, kommen also auch verstรคrkt nach Leipzig?

Aber nicht alle Zuwanderer mit auslรคndischen Wurzeln waren 2015 Flรผchtlinge. Das wird gerade von den Hitzkรถpfen der Zuwanderungsdebatte gern vergessen, dass Metropolkerne wie Leipzig lรคngst auch schon international ausstrahlen. Das zieht auch hunderte Neubรผrger aus der EU in die Stadt. Aber nicht nur neue Bewohner, sondern auch neue Firmen. Denn nur weil Leipzig parallel die ganzen letzten Jahre auch einen Zuwachs an Arbeitsplรคtzen, darunter auch entsprechend sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen, hatte, wurde die Zuwanderung auch verkraftet.

Nur einmal in Zahlen der letzten Jahre:

2010 hatte Leipzig (nach dem Zensus 2011) 510.043 Einwohner.

2012 waren es 520.838.

2013 waren es 531.562.

2014 waren es 544.579.

Fรผr 2015 liegt die amtliche Zahl aus dem Statistischen Landesamt noch nicht vor, lag aber bei ungefรคhr 560.000. Im Melderegister der Stadt standen 568.200.

Und so soll es in den nรคchsten fรผnf Jahren nach den Analyseergebnissen der Expertengruppe auf Grundlage der Zahl im Melderegister weitergehen:

2016 sind danach 584.100 Einwohner zu erwarten.

2017 kรถnnten es 598.300 sein.

2018 ist am Jahresende mit 611.000 Einwohnern zu rechnen.

2019 kรถnnten 622.800 erreicht werden.

2020 sind 633.700 sehr wahrscheinlich.

In der beigefรผgten Tabelle haben wir jeweils 8.000 abgezogen, um die hochgerechneten Zahlen (auf Basis des Melderegisters) mit den amtlichen Einwohnerzahlen der Vorjahre vergleichbar zu machen.

Diese kurzfristigen Werte werden von der Gruppe der Fachleute als relativ zuverlรคssig eingestuft. Dem liegt eine nach wie vor recht niedrige Geburtenrate zugrunde, aber auch ein sehr stabiler Zuwanderungsgewinn von รผber 10.000 neuen Leipzigern pro Jahr. Das schreibt im Grunde die Entwicklung der letzten Jahre fort.

Aber anders als von den Landesstatistikern zugrunde gelegt, bricht die Entwicklung in den 2020er Jahren nicht ab.

Dazu kommen wir hier im nรคchsten Beitrag zum Thema.

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Apropos sรคchsische Regierung โ€“ jene, die CDU pauschal und demzufolge auch die Bundesregierung haben ja immer gepredigt, den โ€œdemografischen Wandel als Chanceโ€ zu sehen. Leider habe sie nie dazu getrรถtet, welche das ist. Aber Herrn OBM Jung sollten wir an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang nicht allzu sehr รผber den grรผnen Bรคrlauch loben, denn er gilt als ausgewiesener Anhรคnger der MutmaรŸungen, daรŸ der โ€œOstenโ€ nicht zu einer zukunftsfรคhigen Entwicklung taugt. Deshalb auch seine Politk der Inaktivitรคt und โ€“ ach man mรถchte weinen โ€“ die des kleinen, mutlosen Mannes,
mit der Schere der Bonner-Arbeitnehmer-Republik im Kopf. Siehe auch vor einigen Jahren, den Artikel in โ€œDie Zeitโ€ , als er, in eitler Pose, sich anmaรŸt, als โ€œLeipzigโ€ auf einen offenen Brief an Leipzig, zu antworten. Es liegt eben nicht nur an dem ggf. fehlendem Geld, es fehlt an der Vision, und es fehlt an dem Schlachtruf zu seiner Verwaltung โ€“ โ€œAufgewacht โ€“ es entwickelt sichโ€ . Aber aus dem vermeintlichen โ€œLeipziger GrรถรŸenwahnโ€ ist das โ€œLeipziger Schlafwandlertumโ€ geworden.
Kein Wunder, daรŸ die LTM von einer Schlafmรผtze angefรผhrt wird, die permanent nur รœbernachtungen zรคhlt. In Leipzig kann man eben saugut pennen.

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