Diese komische Produktivität. Wenn die nicht wäre, könnte der Osten den Westen einfach einholen, überholen und links liegen lassen. Aber wie schafft man das, wenn die Unternehmen mit den höchsten Produktionskennzahlen fast alle im Süden liegen? Man nähert sich auf leisen Socken und in winzigen Schritten. Zumindest hat das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) das jetzt mal so ausgerechnet.

Und kommt zu der durchaus mutigen Feststellung: „Ostdeutschland holt langsam weiter auf“.

„Ostdeutschland holt bei der Produktivität weiter auf, aber eben nur sehr langsam“, heißt es aus dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). „Nach zügigen Fortschritten in der ersten Hälfte der 1990er Jahre hat sich der Aufholprozess bei der Produktivität gegenüber Westdeutschland danach deutlich verlangsamt und kommt inzwischen höchstens in Trippelschritten voran.“

Wobei das Wort „Produktivität“ hier nicht missverstanden werden darf: Es besagt nicht unbedingt, dass die Leute fleißiger sind oder sich die Produkte besser verkaufen. Es ist schlicht die Berechnung des „Bruttoinlandsprodukts in jeweiligen Preisen je Erwerbstätigen“. Da macht sich deutlich bemerkbar, wenn große Handelsunternehmen oder Banken den Standort dominieren – sie katapultieren die Bruttoumsätze pro Beschäftigten deutlich in die Höhe. Deswegen sind immer Hamburg und Hessen an der Spitze dieser „Produktivitäts“-Hitliste zu finden, obwohl die richtig großen deutschen Produzenten hier gar nicht ansässig sind. Die sitzen in Bayern und Baden-Württemberg und sorgen dort dafür, dass ein hoher Ausstoß hochwertiger Güter auch den Bruttoumsatz pro Beschäftigten in die Höhe treiben.

Und noch ein Faktor spielt eine Rolle: das Lohnniveau. Denn da die Löhne immer in die Produktionskosten eingepreist werden müssen, sorgt ein allgemein hohes Lohnniveau auch mit dafür, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) höher ausfällt. Deswegen spiegelt sich im langsamen Aufholprozess des Ostens auch ein langsamer Nachholprozess bei den Löhnen.

Die gute Nachricht lautet also: Der Osten stagniert nicht. „Aber er ist, wie die Veränderung im Jahr 2015 zeigt, nicht zum Stillstand gekommen. Im Jahr 2015 hat sich die Produktivität, gemessen in jeweiligen Preisen, im Vergleich zum Vorjahr um 0,8 Prozentpunkte an das westdeutsche Niveau angenähert und erreicht, je nachdem, ob Ostdeutschland mit oder ohne Berlin betrachtet wird, rund 81 % beziehungsweise 77 % des westdeutschen Niveaus“, schreibt das IWH in seiner Mitteilung zum Thema, tut sich aber schwer, den Osten als einheitlichen Wirtschaftsraum zu betrachten, was 26 Jahre nach Vollzug der Deutschen Einheit eigentlich verblüfft.

„Aber selbst das Flächenland  im Osten mit der höchsten Produktivität – Brandenburg – hat bislang nicht das Niveau des produktivitäts-schwächsten westdeutschen Flächenlandes –Schleswig-Holstein – erreicht. Auffällig ist ferner, dass die Spreizung der ostdeutschen Flächenländer bei der Produktivität auch 25 Jahre nach der deutschen Vereinigung deutlich geringer ausfällt als jene zwischen den westdeutschen Ländern. So liegt die Differenz zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Produktivitätswert bei den westdeutschen Flächenländern mehr als doppelt so hoch wie bei den ostdeutschen.“

Was auch ein Trugschluss sein kann. Denn der Blick auf die Reihenfolge der Bundesländer zeigt, dass Berlin sehr wohl mithalten kann im Konzert der westdeutschen Bundesländer. Aber es ist eindeutig kein westdeutsches Bundesland, sondern ein ostdeutsches. Und es zieht – weil es eindeutig die Rolle als Metropole ausfüllt – vor allem das angrenzende Bundesland Brandenburg mit. Und im Schatten von Brandenburg nimmt auch Sachsen eine etwas überdurchschnittliche Entwicklung. Mit Betonung auf „etwas“, denn dadurch, dass die Landesregierung nun seit Jahren versucht, die Entwicklung der Metropolkerne (Dresden und Leipzig) zugunsten der ländlichen Räume auszubremsen, bremst sie natürlich auch die Entwicklung des gesamten BIP aus. Und es sind im Osten nun einmal nur die Metropolkerne (mit Ansätzen auch in Jena/Erfurt oder Potsdam), die die wirtschaftliche Entwicklung in ihrem Einzugsgebiet tragen. Alles drängt zur Metropole. Und Berlin ist da im Osten der größte Motor.

Die Pressemitteilung des IWH.

In eigener Sache

Jetzt bis 13. Mai (23:59 Uhr) für 49,50 Euro im Jahr die L-IZ.de & die LEIPZIGER ZEITUNG zusammen abonnieren, Prämien, wie zB. T-Shirts von den „Hooligans Gegen Satzbau“, Schwarwels neues Karikaturenbuch & den Film „Leipzig von oben“ oder den Krimi „Trauma“ aus dem fhl Verlag abstauben. Einige Argumente, um Unterstützer von lokalem Journalismus zu werden, gibt es hier.

Überzeugt? Dann hier lang zu einem Abo …

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar