Warum wandern Menschen? Und: Wann wollen sie Kinder und zwar möglichst viele davon? - Das sind die eigentlichen Fragen, die beantwortet werden müssen, wenn über demografische Entwicklungen diskutiert wird. Ab Mittwoch, 9. März, zum Beispiel in Leipzig, wenn hier Demografen aus allen Himmelsrichtungen zur Tagung einfliegen. Manche werden sich freuen, da auch gleich den neuen Quartalsbericht der Stadt in die Hände zu bekommen.
Natürlich steckt Demografie drin. Jede Menge. Denn kein Thema beschäftigt Leipzigs Statistiker derzeit so sehr wie das erstaunliche Bevölkerungswachstum der Stadt. Schon 2014 lag Leipzig beim Wachstumstempo auf Platz 1 unter den 15 größten Städten: 2,4 Prozent Wachstum in einem Jahr, da konnte nur Frankfurt am Main noch mithalten mit 2,3 Prozent. Dresden, Hannover und Nürnberg hat Leipzig von der Bevölkerungszahl längst hinter sich gelassen, auch wenn 544.479 Einwohner für den 31. Dezember 2014 mittlerweile mickrig klingen.
550.000 Einwohner vermeldeten die Landesstatistiker für August 2015. Im Melderegister wurde im Februar 2016 die 570.000 überschritten.
Zehntgrößte Stadt in der Bundesrepublik
Die Stadt Bremen wird man dann ungefähr im September überholt haben, so dass Leipzig jetzt die zehntgrößte Stadt der Bundesrepublik ist und gerade dabei ist, Essen (573.000) und Dortmund (580.511) einzuholen. Und das bei einem Einkommensniveau, das mit 16.109 (Stand: 2013) selbst deutlich unter dem von Dormund (17.714) und Essen (19.545) liegt, erst recht deutlich unter den Einkommensniveaus von München mit 25.529 Euro je Einwohner Jahreseinkommen oder 23.970 in Düsseldorf.
Alles nachzulesen in Lars Kreymanns großem Städtevergleich im neuen Quartalsbericht.
Und dabei war Leipzig noch vor kurzem die deutsche „Armutshauptstadt“. 2013 war das. 25,1 Prozent der Leipziger Wohnbevölkerung hatte weniger als die 900 Euro Monatseinkommen, die damals als bundesdeutsche Armutsgefährdungsschwelle galten. Der Wert geht Jahr für Jahr ein wenig zurück, je mehr neue Arbeitsplätze in Leipzig entstehen. Aber erst 2014 konnte der Spitzenplatz an Duisburg abgegeben werden.
Zu diesem Beitrag im Quartalsbericht kommen wir noch extra. Denn hier steckt eines der größten Rätsel der Stadt: Wie kann man das Leben in Leipzig mit derart geringem Einkommen überhaupt attraktiv finden? Da staunen selbst gestandene Leipzig-Besucher: Wie kann man da noch derart optimistisch sein?
Prekäre Jobs als Einkommensbremse
Ein mögliches Antwortbündel auf die Frage ist natürlich der Blick aufs Einkommensniveau: Selbst die Duisburger verdienten 2013 im Schnitt mit 16.386 etwas mehr als die Leipziger. In Dresden war es noch ein Happen mehr mit 17.260 – was aber für Dresden auch eine deutlich niedrigere Armutsgefährdungsquote von 18,5 Prozent (Leipzig 25,1 Prozent) ergab.
Eine Antwort steckt in einem dritten Artikel: Kerstin Lehmanns „Frauen und Männer in Leipzig – Ausgewählte Ergebnisse Leipziger Umfragen“. Den müssen wir eigentlich heute noch behandeln, denn er gehört zum 8. März.
Aber da gibt es auch eine kleine Statistik zur Arbeitszeit – Männlein und Weiblein im Vergleich. Aber das Ausschlaggebende sind die hohen Anteile von Teilzeitarbeit insbesondere bei Frauen: 38 Prozent der Leipzigerinnen zwischen 18 und 64 Jahren arbeiteten 2014 in Teilzeit. Logisch, dass man da weniger verdient. Aber es darf auch nicht vergessen werden: Auch 15 Prozent der Männer hatten nur einen Teilzeitjob.
Testfeld für prekäre Beschäftigung
Denn zur „Armutshauptstadt“ gehört eben auch ein anderer Titel: Leipzig war in den vergangenen Jahren auch immer die Hauptstadt für prekäre Beschäftigung in Deutschland. In keiner anderen Großstadt gab es so hohe Anteile an Teilzeit-Modellen in der Beschäftigung und an Leiharbeit – was die Durchschnittseinkommen ebenfalls drückt. Dazu kamen dann ebenfalls noch tausende Jobs im Niedriglohnbereich: Man war zwar in Vollzeit beschäftigt, bekam aber deutlich weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Auch deshalb hat sich Leipzig seit dem tiefen Tal von 2005 zu einer ausgewachsenen Dienstleistungsstadt entwickelt. Und es waren nicht nur ostdeutsche Unternehmen, die mit dem niedrigen Gehaltsniveau um ihre Konkurrenzfähigkeit kämpften. Auch große internationale und überregionale Dienstleister nutzten die idealen Bedingungen, in Leipzig zum Teil hochqualifizierte Arbeitskräfte für wenig Geld zu finden.
Und sie sind – trotz “Niedriglohn”-Einführung 2015 – noch immer da. Denn im Vergleich mit westdeutschen Regionen sind das noch immer paradiesische Zustände mit Arbeitsuchenden, die auch schon über 10 und 10,50 Euro die Stunde glücklich sind. Damit kann man in Leipzig schon mal einen Hausstand aufbauen.
Bleiben die Mieten erschwinglich?
Oder wird es gekonnt haben. Denn das ist die große Frage im Jahr 2016: Was passiert mit den Mieten, wenn die Wohnungsmarktreserve aufgebraucht ist? Denn noch ist das Mietniveau mit durchschnittlich 5,38 Euro je Quadratmeter (2015) aushaltbar. Selbst Dr. Ruth Schmidt, Leiterin des Amtes für Statistik und Wahlen, grübelt, wie das funktionieren kann. Denn das Mietniveau der derzeit in Leipzig neu entstehenden Wohnhäuser liegt mit 10 Euro je Quadratmeter in Bereichen, die mit dem normalen Verdienstniveau der meisten Leipziger nichts mehr zu tun haben.
Das Nettoeinkommen steigt zwar – aber vor allem in den höheren Einkommensgruppen und für Doppelverdiener. Was in Leipzig wichtig ist. Denn wenn es mehr Vollzeitarbeitsplätze für junge Eltern gibt, dann steigt ziemlich zwangsläufig die Zahl der Geburten an. Ein Wanderungsplus hat Leipzig schon seit über 15 Jahren, ein Geburtenplus gegenüber den Sterbefällen aber erst seit zwei Jahren. 2014 gab es zum ersten Mal eines mit 352, 2015 war es nun eins von 423.
Das ist zwar nicht viel im Vergleich mit einem Wanderungsplus von 16.669. Aber damit ist Leipzig trotzdem in guter Gesellschaft, denn mittlerweile sind es die deutschen Großstädte, die das Geburtenplus haben, nicht mehr die ländlichen Regionen. Logische Folge der permanenten Abwanderung junger Leute vom Land in die Stadt. Und diese Abwanderung hält auch in Sachsen an.
Ein Thema, das in den nächsten Jahren immer prägender für die Landespolitik werden muss. Denn was fängt man mit den ganzen Dörfern und kleinen Städten an, wenn weder die jungen Leute noch die Asylsuchenden dort bleiben wollen?
Mehr dazu in Kürze an dieser Stelle.
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