Endlich mal Pause? Endlich mal raus aus dem Hamsterrad? Selbst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat mitgekriegt, dass die Ostdeutschen wesentlich mehr arbeiten als ihre Brüder und Schwestern im Wesen: „Ostdeutsche arbeiten zwei Wochen mehr als Westdeutsche“, erzählte sie am Samstag, 26. März. Zitierte dann aber wieder so eine Art „Arbeitsmarktexperten“.

„Gerade in Ostdeutschland wird unfreiwillige Teilzeitarbeit aufgestockt bis hin zu Vollzeitstellen, weil die Betroffenen Interesse an einem höheren Einkommen haben“, wird der stellvertretende Leiter des Ifo-Instituts in Dresden, Joachim Ragnitz, zitiert.

Die Kamellen aus dem ifo-Institut sind nun schon Legion.

Aber mit weniger plüschigem „Interesse an einem höheren Einkommen“ beschäftigte sich in einer Meldung vom 23. März auch das Sächsische Landesamt für Statistik mit dem Thema.

Das ging erst einmal nur nüchtern auf die Zahlen ein: „Im Jahr 2015 betrug das durchschnittliche Arbeitspensum eines Erwerbstätigen in Sachsen 1.428 Stunden und war damit sechs Stunden bzw. 0,5 Prozent höher als im Vorjahr.“

Die Sachsen haben also just im Jahr der Einführung des Mindestlohns auf einmal (durchschnittlich) länger gearbeitet als im Vorjahr. Was ja wohl eher nichts mit einer Aufstockung von Teilzeitstellen „bis hin zu Vollzeitstellen“ zu tun hat, sondern damit, dass tausende Mini-Jobs gestrichen wurden, weil die Sachsen dafür nicht mehr Schlange stehen. Gewachsen ist dafür das Angebot echter Vollzeitstellen, die auch von bisherigen Mini-Jobbern dankend genommen werden.

Weiter im Text des statistischen Landesamtes: „Im Vergleich zum Jahr 2000 reduzierte sich die Pro-Kopf-Arbeitszeit um 7,9 Prozent bzw. 123 Stunden je Person.“

Wer sich die Grafik dazu anschaut sieht, welche Verwüstung die Einführung all der neuen Mini- und Midi-Job-Modelle in Sachsen seit 2000 angerichtet hat. Besonders der Handel, die Gastronomie und die Unternehmensdienstler haben durch die massive Einführung solcher klein portionierten Job-Modelle dafür gesorgt, dass in ihren Branchen die Gesamtarbeitszeit der Beschäftigten (und damit auch ihr Einkommen) deutlich sank.

In den meisten Branchen gab es dann den großen Knick ab 2013. Bis dahin wirkte noch der große Puffer aus den geburtenstarken Jahrgängen, die ins Berufsleben eintraten. Aber das war 2010 vorbei. Danach mussten sich fast alle Unternehmen etwas einfallen lassen, um die aufreißenden Lücken in der Nachwuchsgewinnung durch das Erschließen anderer Ressourcen aufzufüllen. Und dazu gehörten natürlich alle Menschen, die bis dahin irgendwie mit lauter Mini-Jobs versuchten, über die Runden zu kommen. Die Einführung des Mindestlohns 2015 hat aber nun auch Branchen wachgerüttelt, die – auch mit Schützenhilfe des ifo Dresden – immer noch glaubten, sich weiter mit Mini-Jobs zum Billigpreis durchmogeln zu können.

Doch auch hier sind die Unternehmen gezwungen worden, umzudenken und ihre Dienstleistungen wieder auf Grundlage fest angestellten und in Vollzeit bezahlten Personals zu berechnen. Denn der Bedarf an diesen Leistungen ist da. Nur die Zeit, dass diese Arbeiten nur ganz billig zu haben waren, sind zumindest vorerst vorbei.

Und damit wird wieder deutlicher, dass die Ostdeutschen eigentlich viel mehr arbeiten müssen – nach wie vor für weniger Geld als ihre Kollegen im Westen.

„Das Baugewerbe war auch aktuell mit 1.650 Stunden die Branche mit der längsten Pro-Kopf-Arbeitszeit in Sachsen“, schreiben die Landesstatistiker aus Kamenz. „Im Gegensatz dazu fiel die durchschnittliche Arbeitszeit im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit mit 1.367 Stunden am niedrigsten aus. Die Pro-Kopf-Arbeitszeit in Sachsen lag 2015 um 57 Stunden über der durchschnittlichen Arbeitszeit je Erwerbstätigen in Deutschland, die 1.371 Stunden erreichte. Während in den fünf neuen Ländern diese Durchschnittszeit je Erwerbstätigen 1.436 Stunden betrug, kamen die Beschäftigten in den alten Ländern (ohne Berlin) auf eine Pro-Kopf-Arbeitszeit von 1.359 Stunden.“

Und das hat auch mit der Art der Arbeit zu tun. Denn die ostdeutsche Wirtschaft ist noch viel stärker durch die Dienstleistungsbranche geprägt, wo dann oft lange Arbeitszeiten mit einer nicht gerade üppigen Bezahlung einhergehen. Dazu kommt, dass deutlich mehr Frauen im Osten in Vollzeit arbeiten, um das Familienbudget zu stärken. Auch das erhöht die durchschnittliche Arbeitszeit.

„Von den 2,02 Millionen Erwerbstätigen, die ihren Arbeitsplatz in Sachsen hatten, wurden insgesamt fast 2,9 Milliarden Arbeitsstunden erbracht. Damit stieg das Arbeitsvolumen um 0,2 Prozent gegenüber dem Jahr 2014, war aber um 7,3 Prozent geringer als im Jahr 2000.“ Was dann auch die Landesstatistiker zu dem Ergebnis bringt: „Die aktuelle Entwicklung resultiert aus der deutlichen Abnahme der marginalen Beschäftigung und der Tatsache, dass es 2015 drei Arbeitstage mehr gab als im Vorjahr. Bei der langfristigen Betrachtung ist die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung die Hauptursache für das geringer gewordene Arbeitsvolumen.“

Das gemessene Arbeitsvolumen in Sachsen ist übrigens seit 2003 relativ konstant, auch wenn es jährlichen Schwankungen unterliegt.

Und es entspricht nicht dem tatsächlich notwendigen Arbeitsvolumen, was gern vergessen wird. Befürworter der Mini-Jobs nehmen ja oft die tatsächlich abgerechnete Zahl von Arbeitsstunden als einzige Basis ihrer Behauptung, Arbeit an sich würde immer mehr verschwinden. Was auch in Sachsen nicht stimmt. Während sich in der Pro-Kopf-Arbeitszeit die grassierenden Mini-Job-Modelle widerspiegeln, verschleiert das Gesamtstunden-Budget, dass ein Großteil gesellschaftlich notwendiger Arbeit überhaupt nicht bezahlt wird (obwohl der Wegfall die gesamte Gesellschaft in echte Nöte bringen würde) und dass insbesondere der öffentliche Dienst die ganze Zeit massiv Stellen abgebaut hat, die eigentlich nicht hätten abgebaut werden dürfen. Das heißt: Hier wurde entweder eine Menge Arbeit nicht geleistet, obwohl sie dringend gebraucht wurde (man denke nur an Lehrer und Polizisten), oder die Arbeit wurde anderen Beschäftigten zusätzlich aufgehalst und nicht honoriert und auch nicht in der bezahlten Stundenzahl abgebildet.

Hinter der Ignoranz steckt natürlich auch das falsche Denken, Geld würde „arbeiten­“, das eigentlich erst dazu führt, dass Arbeit „knapp“ wird. Die Wahrheit ist: Nur Arbeit schafft gesellschaftlichen Reichtum – und es ist eine sogar kontraproduktive Haltung, der Gesellschaft mit dem Geld auch die bezahlte Arbeit zu entziehen. Das darf man dann ruhig falsches Wachstum nennen.

Noch viel mehr als die Sachsen arbeiten übrigens die Thüringer (1.454 Stunden), die Brandenburger (1.444) und die Sachsen-Anhalter (1.431). Zumindest im Durchschnitt betrachtet.

Die komplette Meldung aus dem Statistischen Landesamt mit Grafiken.

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