Nein, Pipi Langstrumpf arbeitet nicht bei der Arbeitsagentur. Sie singt nur manchmal im Bundestag. Aber was sollen Arbeitslosenverwalter tun, wenn sie ihre Arbeitsergebnisse bestmöglich verkaufen sollen und eigentlich genau wissen, dass ihr Geschenkebeutel eigentlich immer leer war? Beispiel: Unterstützung für Existenzgründer. Heißt zwar so, war aber nie eine.
Nicht 2003 bis 2006, als das Förderinstrument mal “Ich AG” hieß (und dann als eines der ersten Teile aus dem “Hartz”-Paket gestrichen wurde), nicht seit 2006, seit das Ding Gründungszuschuss heißt.
Dass es nie besonders hilfreich funktioniert hat und Gründern schon gar nicht bei einer Existenzgründung half, das wissen die Arbeitsagenten natürlich auch. Als Lebensbeihilfe bei ersten Versuchen, sich eine eigene Ein-Personen-Unternehmung aufzubauen, hat es wahrscheinlich geholfen. Aber der starke Rückgang der Selbstständigenzahl in Sachsen seit 2010 spricht Bände: Die meisten Gründer haben nur den letzten Strohhalm ergriffen, um wenigstens so eine gewisse Würde zu wahren und nicht im Apparat der Jobcenter-Verwaltungen zermahlen zu werden.
Und nun hat das zur Bundesarbeitsagentur gehörende Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) einmal nachgerechnet, was dieses Förderinstrument in den letzten Jahren gebracht hat und kam zu dem berauschenden Ergebnis: “Knapp 90 Prozent der von den Arbeitsagenturen mit einem Gründungszuschuss Geförderten waren rund 18 Monate nach dem Beginn der Förderung noch selbstständig. 7,5 Prozent der ehemals Geförderten waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt, weniger als 2,5 Prozent arbeitslos.”
Und so zeigt man sich beim IAB recht zufrieden: “Nach der Reform des Gründungszuschusses Ende 2011 ist die Nachhaltigkeit der Gründungen damit leicht gestiegen. Vor der Reform lagen die entsprechenden Anteile bei rund 80 Prozent Selbstständigen, gut zehn Prozent sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und etwas über fünf Prozent Arbeitslosen.”
So beschreiben Bürokraten Nachhaltigkeit: Sie reduzieren die Fördergelder für ein Förderinstrument radikal und freuen sich dann, dass prozentual weniger Leute gleich wieder in die Arbeitslosigkeit rutschen, weil das Geschäftsmodell nicht funktioniert.
„Die Verbesserungen der Nachhaltigkeit der Gründungen könnten auch auf eine günstigere konjunkturelle Lage zurückzuführen sein“, vermuten die Arbeitsmarktforscher. Wohl nicht zu unrecht. Wenn die Wirtschaft derart hungrig ist nach Fachkräften, ist es natürlich lukrativer, wieder in eine feste Anstellung zu wechseln, als sich wegen Erfolglosigkeit arbeitslos zu melden.
Nicht zu vergessen: Die Zuschussberater haben sich mittlerweile zu echten Experten entwickelt, die beurteilen können, ob eine Geschäftsidee funktioniert oder nicht. Nur wenn sie zustimmen, gibt es den Gründerzuschuss.
Während vor der Reform des Gründungszuschusses ein Rechtsanspruch auf die Förderung bestand, muss der Gründungswillige jetzt den Arbeitsvermittler davon überzeugen, dass seine Existenzgründung förderungswürdig ist. Die Förderung einer Existenzgründung kommt dabei erst dann in Betracht, wenn die Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung nicht aussichtsreich erscheint, betont die sächsische Arbeitsagentur.
Irgendwie muss man das Ganze ja verkaufen, auch wenn es von Anfang an nur darum ging, Geld einzusparen. Da wundert sich dann zwar die hohe Politik, dass Deutschland zu den Schlusslichtern unter den Industriestaaten gehört, was die Existenzgründungen betrifft. Aber kaum ein Land betrachtet ausgerechnet Gründungen als eine Art Wunder, das bitteschön ohne Geld oder gar Risiko passieren soll.
Und so gibt denn auch Sachsens Arbeitsagentur zu: “Mit der Reform strebte die Politik erhebliche Budgeteinsparungen an. Die Ausgabensparziele wurden auch erfüllt: Die Zahl der Geförderten sank von gut 130.000 im Jahr 2011 auf rund 20.000 im Jahr 2012 und damit um mehr als 80 Prozent, und auch die Ausgaben pro Gefördertem gingen im Zuge der Reform zurück. Die Ausgaben für den Gründungszuschuss verringerten sich von 1,7 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf rund 220 Millionen im Jahr 2013.”
Und dann kommt der Zuchtmeister in den deutschen Arbeitslosenverwaltern auch hier zum Vorschein: “Die Reform sollte zudem Mitnahmeeffekte reduzieren. Eine potenzielle Mitnahme liegt dann vor, wenn Arbeitslose auch ohne Förderung eine Gründung vorgenommen hätten und die Gründung auch ohne Förderung erfolgreich gewesen wäre.”
Mitnahmeeffekte. Das ist wie “soziale Hängematte”, Vortäuschen von Bedürftigkeit.
Nur seltsam ist dann, was das IAB nun feststellen musste: Der Anteil von potenziellen Mitnahmen an allen geförderten Gründungen stieg nach Kürzung der Mittel von 19 Prozent auf 28 Prozent. Aufgrund der gesunkenen Förderzahlen ist gleichzeitig die absolute Zahl von potenziellen Mitnahmen gesunken.
„Überträgt man die ermittelten Anteilswerte auf die Gesamtzahl der Geförderten in den Jahren 2009 und 2012, sind vor der Reform ca. 27.800 und nach der Reform ca. 5.700 geförderte Gründungen als potenzielle Mitnahmen einzustufen“, schreiben die Arbeitsmarktforscher.
Was ja nur einen Schluss zulässt: Die Berater in den Arbeitsagenturen haben von Unternehmensgründungen keine Ahnung, sonst wäre ja der Prozentsatz der “Mitnahmen” nach der Umreformierung nicht gestiegen.
In Wirklichkeit hat die Bundespolitik hier die Chance völlig vergeigt, wirklich eine echte Existenzgründungsförderung auf die Beine zu stellen. In Sachsen ist die Zahl der bezuschussten Gründer von 7.424 im Jahr 2011 auf 1.845 im Jahr 2014 gerutscht. Wenn man einfach mal annimmt, dass auch ohne die “Reform” der “Mitnahme”-Effekt bei 28 Prozent gelandet wäre (was eher zu bezweifeln ist), dann hat die “Reform” allein in Sachsen 4.000 echte Gründungsversuche verhindert. Da kann man nur fragen: War das die Absicht?
Es sieht ganz so aus.
Und dann rühmt sich die sächsische Arbeitsagentur auch noch der Nachhaltigkeit. Was ist daran nachhaltig, wenn mit weniger Gründungszuschüssen der Mitnahme-Effekt deutlich höher ist, zwei Drittel der potenziellen Gründer aber gar nicht erst zum Zuge kommen?
“Im Oktober 2015 wurde für 1.571 Frauen und Männer aus Sachsen, die sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbständig gemacht haben, der Gründungszuschuss gezahlt. Im gesamten Jahr 2014 wurden insgesamt 1.845 Menschen mit dieser finanziellen Unterstützung gefördert. Damit liegt die Inanspruchnahme der Arbeitsagentur-Förderung für die Start-Ups etwa auf dem Niveau der vergangenen Jahre. In der Entwicklung zeigt sich jedoch ein deutlicher Rückgang der geförderten Existenzgründungen. Von Januar bis Oktober 2015 haben sich insgesamt 1.469 Frauen und Männer mit dem Gründungszuschuss selbständig gemacht. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 1.619”, zieht die sächsische Arbeitsagentur Bilanz und macht allein damit schon deutlich, was man bei der Arbeitsagentur eigentlich von Gründern hält.
“Aktuell liegt die Nachhaltigkeit der Gründungszuschuss-Förderung auf recht hohem Niveau”, befindet die Arbeitsagentur. “Insgesamt 97,4 Prozent aller mit dem Gründungszuschuss geförderten Menschen sind sechs Monate nach dem Auslaufen der Förderung nicht in die Arbeitslosigkeit zurückgegangen – ein Indiz für die Nachhaltigkeit dieses Förderinstrumentes. Damit liegt die Verbleibsquote über dem bundesweiten Durchschnitt (in dieser Förderart) von 96 Prozent. Beobachtet wurden bei dieser Analyse die im Zeitraum von Oktober 2013 bis September 2014 ausgelaufenen Förderungen (1.673) und sechs Monate nach dem Förderende wurde geprüft, ob diese Menschen wieder arbeitslos waren. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass auch Menschen, die aus der Selbständigkeit heraus in eine versicherungspflichtige Beschäftigung gewechselt sind, in dieser Verbleibsquote mit erfasst werden können.”
Die IAB-Auswertung besagt an der Stelle zumindest für Ostdeutschland, dass 5 bis 6 Prozent der Bezuschussten ein halbes Jahr nach der Förderung wieder eine sozialversicherungspflichtige Arbeit haben, 91 Prozent sind weiterhin selbstständig, nur 2 Prozent wieder arbeitslos.
Es gibt 2 Kommentare
Vielen Dank, Kathrin, für diese erhellenden Bemerkungen.
Als kleiner Selbständiger kann ich also froh sein, ohne diesen seltsamen Laden an der Huyghensstraße auszukommen. Die für die Bürokratie verausgabte Zeit wäre bei mir ein echter Verdiensausfall.
Auch im Artikel scheint durch, dass dieses JC eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit als etwas Höheres ansieht als eine selbständige. Wie man sieht, hat das JC also den vollständigsten Durchblick, wie wirtschaftliche Entwicklung funktioniere. Tatsache ist, dass die BRD nicht wegen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten reich geworden ist, sondern weil sich vor Zeiten einige wenige selbständig gemacht haben und hohe Risiken eingegangen sind, um letztlich große Konzerne zu hinterlassen, die ihre sozialversichterungspflichtig Beschäftigten nach Hundertausenden zählen…
Und das schreibt einer, der von der Wirtschaft eigentlich erstmal nicht so sehr viel hält…
Mit oder ohne Gründerzuschuss: arbeitslos sind die Selbständigen ja nicht. Zumindest nicht in der Statistik. Auch wenn sie anfangs oder dauerhaft nur kleine Umsätze generieren und noch kleinere Gewinne, so sind sie nicht arbeitslos. Jedoch fast alle sind als Aufstocker in der besonderen Verfolgungsbetreuung der Jobcenter. Und was das heißt, das kann jeder Selbständige in endlos langen Balladen singen, besser als Püppi Langstrumpf.
Ob das noch immer rechtswidrige Bestandteile in Eingliederungsvereinbarungen sind, rechtswidrige Kürzungen von Investitionen, Nichtanerkennen von betrieblichen Ausgaben, Gängeleien mit Bewerbungen, Drohungen mit Maßnahmen, rechtswidrige Eingriffe in die Unternehmensführung, immer wieder die Drohung die Selbständigkeit zu verbieten, Forderungen nach Kundendaten, Unternehmensdetails etc. All das lässt die Aufstocker nicht zum Arbeiten kommen, behindert sie und bereitet schlaflose Nächte. Da sind die Forderung nach Genehmigung für Ortsabwesenheit zur Durchführung eines Auftrags oder Akquise natürlich ebenso rechtswidrig wie störend und nur die Spitze des Eisbergs.
Statt froh zu sein über jeden, der auf eigene Faust und eigenes Risiko seine Bedürftigkeit zumindest mindert, werden diesen Menschen die Hürden des heiigen Bürokratius tagtäglich um die Ohren gehauen. Und immer schwebt über allem das Schwert der Sanktion, der Existenzvernichtung, der permanenten Unsicherheit. Hut ab vor jedem, der sich da nicht unterkriegen lässt und sein Ding durchzieht und irgendwann hoffentlich vom Jobcenter weg ist. Wer das schafft, unter diesen widrigen Umständen, der kann sich bei sich selbst bedanken. Denn niemand hat ihm geholfen, kein Kredit bei Bank oder Jobcenter (ja, auch das wäre möglich wenn man wollte, die Gesetze geben die Möglichkeit dazu), dazu noch Knüppel und jede Menge Hindernisse. Doch, wer das schafft, der schafft das auch auf Dauer.