Der Monat geht zu Ende, die Arbeitsagenturen legen die neuesten Arbeitslosenzahlen vor. Und die Maschine lรคuft. Noch immer. Trotz allem, was auรenherum passiert. Die Landesarbeitsagentur meldet einen Rรผckgang der Arbeitslosenzahl um 2.249 auf 159.399, Leipzig meldet einen Rรผckgang um 650 auf 25.504. Macht erstmals eine rechnerische 8,9 Prozent seit 1990.
โDas ist die wohl erfreulichste Zahl dieses Herbstes. Wir haben die Acht vor dem Komma erreicht! Es ist noch nicht lange her, da litt unsere Stadt unter einer Arbeitslosenquote von mehr als 20 Prozent. Wir sind nicht nur auf dem richtigen Weg, sondern wir haben in den vergangenen Jahren wirtschaftlich mehr erreicht als die meisten anderen deutschen Groรstรคdteโ, zeigte sich am Donnerstag der Oberbรผrgermeister Leipzigs, Burkhard Jung, รผberzeugt.
650 Menschen weniger als noch im September und 1.262 weniger als vor einem Jahr waren bei der Arbeitsagentur und dem Jobcenter Leipzig arbeitslos gemeldet. Im Rechtskreis SGB III betrug der Rรผckgang 318 und im Rechtskreis SGB II (Jobcenter) sank die Zahl um 332.
โDamit wurde die bisherige Tiefstmarke von 9,1 Prozent aus dem vorigen Monat wiederum unterschritten. Noch dazu ist die Schwelle von 9 Prozent gefallen. Das ist eine ganz besonders erfreuliche Entwicklung. Diese spricht fรผr einen starken Herbst auf dem Leipziger Arbeitsmarkt und liegt damit im stabilen Trendโ, freut sich Reinhilde Willems, Vorsitzende der Geschรคftsfรผhrung der Agentur fรผr Arbeit Leipzig, bei der Vorstellung der Arbeitsmarktzahlen des Monats Oktober.
Trend heiรt: Seit 2010 hรคlt der Beschรคftigungsaufbau in Sachsen und Leipzig ungebrochen an. Und das meint auch wirklich Beschรคftigungsaufbau, auch wenn dazu bislang erst die Zahlen fรผr den Mรคrz vorliegen. Von Mรคrz 2014 bis Mรคrz 2015 stieg die Beschรคftigtenzahl in Leipzig von 237.382 auf 246.564. Klammer auf: Das sind nur die sozialversicherungspflichtig gemeldeten Stellen.
Das Bild fรผr Sachsen: 1.514.111 sv-pflichtige Stellen wurden hier im Mรคrz gezรคhlt. Gegenรผber dem Vorjahresquartal war das eine Zunahme um 20.541.
Die Zahl kann man durchaus neben die 9.182 allein in Leipzig neu entstandenen Stellen legen und sieht auf einen Blick: Leipzig hat allein fast die Hรคlfte des Stellenzuwachses erzeugt. Schon lange hat sich die wirtschaftliche Konzentration auf die drei Groรstรคdte verlagert. Und damit versorgen sie schon lange all die jungen Leute, die aus den lรคndlichen Rรคumen umziehen und ihr Umfeld mit.
Was andererseits natรผrlich dazu fรผhrt, dass hier die Arbeitslosenraten langsamer sinken. Deswegen ist die offizielle Arbeitslosenzahl binnen eines Jahres in Leipzig nur um 4,7 Prozent gesunken โ Riesa schaffte hingegen einen Rรผckgang von 15,4 Prozent, Freiberg 9,2 Prozent.
Deswegen haben Arbeitsagenturbezirke wie Annaberg-Buchholz oder Pirna mittlerweile Arbeitslosenquoten von 6,3 und 6,4 Prozent. Das klingt geradezu gesund. Ist es aber nicht. Denn zu den Effekten, die die bestรคndige Abwanderung junger Arbeitskrรคfte in die Groรstรคdte mit sich bringt, gehรถrt eben auch der Verlust an jungen Familien, an Kindern, es entsteht genau jene Melange der Tristesse und Zukunftslosigkeit, die dann vor Asylunterkรผnften ihre seltsamen Tรคnze auffรผhrt.
Und auch von Pegida in Dresden wird ja berichtet, dass der grรถรte Teil der 10.000 Demonstranten nicht aus Dresden kommt, sondern aus den umliegenden Landschaften. Es ist genau jener Teil der demografischen Entwicklung, den die sรคchsische Regierungspolitik nun seit Jahren einfach ignoriert hat. Und es deutet Vieles darauf hin, dass viele dieser verlorenen Gemeinden tatsรคchlich verloren sind, denn in der Regel sind sie mit den Entwicklungs-Clustern in den und um die Groรstรคdte viel zu schlecht vernetzt. Da hilft auch keine Breitbandinitiative.
Denn die Unternehmen siedeln sich dort an, wo schon belastbare Infrastrukturen existieren โ und dazu gehรถren neben Autobahnen, Gรผterterminals, Flughรคfen und Gewerbezentren nun einmal auch ein moderner, dicht vertakteter รPNV, gehรถren Schulen, Kitas, Krankenhรคuser, Kultur.
Mit 8,9 Prozent Arbeitslosigkeit sieht Leipzig heute irgendwie wie das Schlusslicht in Sachsen aus, obwohl es so viele Arbeitsplรคtze wie keine andere Region schafft. Aber dahinter steckt auch die Tatsache, dass die Langzeitarbeitslosen in Betreuung des Jobcenters nach wie vor wenig bis gar nicht von der Entwicklung profitieren. Was seine Logik hat: Wenn fitte junge Leute aus Dรถbeln, Oschatz oder Pirna sich um einen Job in Leipzig bewerben, dann sind sie fรผr die Arbeitgeber immer noch attraktiver als all die Menschen, die sich nun seit Jahren in den Mรผhlen des Jobcenters quรคlen.
โBesonders erfreulich ist, dass auch wieder die Arbeitslosen, die im Jobcenter betreut werden, von dieser positiven Entwicklung profitieren. Bei mehr als 25.000 Arbeitslosen in dieser Stadt bleibt fรผr alle Beteiligten noch viel zu tun. Deutlich wird aber, dass die Richtung stimmt und die Arbeitsagentur und das Jobcenter diesen Fortschritt mit befรถrdernโ, meint Reinhilde Willems.
Aber dann schaut man sich an, wohin denn nun die Jobcenter-Klienten verschwinden, wenn sie im Oktober 2015 aus der Statistik verschwinden. Und dann sieht man: Von 4.867 SGB-II-Klienten haben immerhin 1.298 eine Erwerbstรคtigkeit aufgenommen, 1.079 sind in eine Ausbildung gekommen. Bleiben รผbrig: 2.490, die dann wohl eher in die Nichterwerbstรคtigkeit verschwanden, einen prekรคren Ruhestand. Und genau das sorgt auch dafรผr, dass der Bestand an Bedรผrftigen im Jobcenter Leipzig weiterhin hoch bleibt und nur langsam abschmilzt: von 69.804 im September auf 69.387 im Oktober.
Sie werden nach wie vor in 41.117 Bedarfsgemeinschaften betreut, 287 weniger als im September. Aber รผber 41.000 Haushalte in Leipzig, die immer noch auf die Zuweisungen des Jobcenters angewiesen sind, das bedeutet eben nach wie vor einen hohen Armutspegel in der Stadt. Und eine hohe Belastung fรผr den Stadthaushalt.
Das wird noch etliche Jahre dauern, bis Leipzig tatsรคchlich prosperiert, auch wenn der Beschรคftigungsaufbau weitergeht. Die Cluster, wo das passiert, sind bekannt: Verarbeitendes Gewerbe, wirtschaftliche Dienstleistungen, Verkehr und Lagerei. Aber nach wie vor haben auch noch Zeitarbeit, Gastgewerbe und Gesundheitswesen ihren Anteil daran. (Der รถffentliche Dienst nicht โ der spart noch immer, als wolle gleich einer im Land das Licht ausschalten.)
Und im ganzen Zahlensalat gibt es auch noch eine Zahl, die den Unternehmern in der Region richtig zu denken geben sollte: Binnen Jahresfrist ist (trotz Beschรคftigungssteigerung in allen Bereichen) die Zahl der Beschรคftigten unter 25 Jahre um 1.298 zurรผckgegangen (- 6,3 Prozent). Das ist der Effekt der drastisch reduzierten Altersabgรคnge. Und womit haben die Unternehmen das Loch gestopft? Sie haben verstรคrkt ihr รคlteres Personal gehalten: Die Zahl der Beschรคftigten von 50 bis 65 Jahre stieg um 3.171, die der 25- bis 50-Jรคhrigen sogar um 7.081. Da ahnt man, warum mittlerweile ganze Familien in den lรคndlichen Rรคumen ihre Koffer packen und nach Leipzig ziehen.
Man ahnt aber auch, was passiert, wenn diese Reserve aufgebraucht ist und die Landkreise keine jungen Familien mehr schicken kรถnnen und wenn sich Politiker und Unternehmer in Leipzig in den Hintern beiรen, weil jetzt auf einmal der ausbildungsfรคhige Nachwuchs wirklich fehlt.
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
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Wenn in Leipzig mittlerweile jeder zweite neue Job in Sachsen entsteht, liegt das wohl auch daran, dass Leipzig in Sachsen liegt.